Jacobs’ Krönung

In der Designwelt galt Marc Jacobs erst als Gott, dann geriet er selbst aus der Mode – und jetzt ist er eine Instagram-Sensation. Unsere Stilkolumnistin vermutet: Das könnte die Rolle seines Lebens sein.

Foto: Instagram

Marc Jacobs kam eher »late to the party«, wie man so sagt. Der Designer hat Social Media vergleichsweise spät entdeckt beziehungsweise erst mal darüber gelästert. Instagram widere ihn an, er wisse auch überhaupt nicht, wozu das gut sein solle. Anfang 2015 war das, in App-Versionen gerechnet also Lichtjahre her, und zwischenzeitlich hat Jacobs dann doch noch entdeckt, was man damit alles anstellen kann: Hunde- und Avocado-Fotos posten, mit Kate Moss alle anderen als »basic bitches« verspotten, aus Versehen Nacktbilder teilen. Die üblichen digitalen Jugendsünden.

Danach hat sich @themarcjacobs wacker im gehobenen Influencer Mainstream etabliert, aber erst in den letzten Monaten sind der Account und sein Protagonist zu voller Blüte gereift. Zunächst fing der 57-Jährige an, fast nur noch Highheels zu tragen. Pumps aus der eigenen Linie, silberne Plateau-Sandalen von Celine, vor allem hochgebockte Plateau-Stiefel von Rick Owens. So sehr Fan wie Designer war er ja schon immer. Während die meisten anderen Modemacher sich eher ein Hosenbein ausreißen würden als die Sachen der Konkurrenz zu tragen (abgesehen von Lagerfeld und seiner Liebe zu Dior Homme oder Raf Simons mit Prada), trägt und tagged Jacobs mit Begeisterung Balenciaga, Hermès und massenhaft Prada.

Dann kamen die Cat-Eye- und Schmetterlings-Sonnenbrillen, Kopftücher, Perlenkette und Armreifen dazu. Vor allem seit dem Lockdown trägt er häufig auch noch bunten Nagellack (mit Strassrand) und dramatisches Augen-Make-up – Jacobs hat schließlich eine eigene Beauty-Linie, bei der er aus dem vollen Schöpfen kann. Gelegentlich macht er sogar Schmink-Tutorials. An sich selbst, in seinem Badezimmer, fürs eigene Wohlbefinden, wie er sagt, Gesicht und Nase so dicht an der Kamera, dass man als Zuschauer manchmal fürchtet, der eigene Bildschirm werde gleich beschlagen.

Man kommt Marc Jacobs hier wahrscheinlich in jeder Hinsicht so nah wie noch nie. Wer sich erinnert: Der Superstar der amerikanischen Mode wurde in den Neunzigern mal als scheuer, langhaariger, etwas dicklicher Nerd mit Brille bekannt, legte dann eine Verwandlung zum selbstbewussten Posterboy hin, stürzte gelegentlich ab, um danach im Gegenzug an Muskelmasse und Ego nur noch zuzunehmen. Nun sind die schwarzen Haare kinnlang, meist mit Spängchen zur Seite geklemmt, der Bart akkurat gestutzt und gefärbt, die Augenringe werden mit eisgekühlten Pads in Schach gehalten. Auch wenn Jacobs während des Lockdowns in seinen Captions gelegentlich selbst fragte, ob er jetzt vollkommen durchdrehe – zumindest äußerlich scheint er so sehr in seinem Element wie noch nie.

Die New York Times veröffentlichte vor gut zwei Jahren einen ziemlich bösen, allerdings auch wahren Text mit dem Titel »Wie Marc Jacobs aus der Mode kam«. Von den einst 250 Läden sind nur noch fünf übrig, einiges hatte mit Missmanagement zu tun, viel allerdings auch mit den etwas aus der Zeit gefallenen Kollektionen. Diesen Februar schob die gleiche Zeitung nun ein wohlwollendes Portrait über Jacobs’ »viele Leben« hinterher. Natürlich nicht zuletzt, weil die aktuelle Herbst-Winter-Kollektion die stärkste seit sehr langer Zeit war. Im Text wird sein ehemaliger Geschäftspartner Robert Duffy zitiert, er habe Marc noch nie so »glücklich« gesehen, »nüchtern, gesettled, glücklich verheiratet«. Im vergangenen Jahr heiratete der Designer seinen zwanzig Jahre jüngeren Lebensgefährten, außerdem zogen sie nach Rye, außerhalb von New York, in ein Frank Lloyd Wright Haus. (Seine Suite im Mercer Hotel behält er natürlich trotzdem). Eines der jüngsten Selfies zeigt ihn dort in der Natur mit einem Fernglas, natürlich formvollendet mit hauseigenen Pumps, Steven Jones Hut, Hermès-Armreif. Die Vogue schrieb sogleich über sein neues Hobby »Birdwatching«. Zumindest marketingtechnisch ist der neue Look Gold wert, zeitgemäß ist genderless fashion sowieso.

Die amerikanische Harper’s Bazaar machte vor ein paar Monaten deshalb gleich eine ganze Modestrecke mit Jacobs als Model, die einzelnen Bilder versah er mit persönlichen Kommentaren. Der Beste: »Eines Tages kam ich von meinem Psychiater und trug einen Leo-Mantel von Celine und Strass-Spangen im Haar – ich war zurechtgemacht. Da bemerkte ich wie ein Müllmann mich anstarrte und ich dachte ein hater, aber dann sagte der: ›Love that outfit, man, you go!‹« Besser kann man es nicht ausdrücken. Zumindest Marc Jacobs selbst ist wieder voll in Mode.

Erinnert an: Helmut Newton mit Pumps fotografiert von ihm selbst, Grayson Perry
Typischer Instagram-Kommentar: »Der neue Jacobs-Weg«
Passender Song: »Come as you are« (Nirvana)