Wer sich in den letzten 14 Monaten nicht nach draußen in die Natur sehnte, war bei Corona nicht dabei. Jeder, der einen Garten hatte, nutzte ihn, bis sich die neue Gartengarnitur amortisiert hatte, der Rest schaffte sich ein Bataillon Topfpflanzen an. Ausflugsziele wurden überrannt, das Picknick im Park war zwar kein Restaurantbesuch, aber zählte immerhin als Auswärtsessen.
Es ist also nur so mittel überraschend, dass die Farbe dieses Sommers Grün ist, und zwar nicht irgendein Grün, sondern ein sehr leuchtendes Chlorophyll. So als würden die Daunenwesten, Kleider, Schuhe und vor allem all die Handtaschen gerade live Photosynthese betreiben. Sehr natürlich also. Andererseits hat dieser Ton auch etwas versuchslaborhaftes. Biologie trifft Hightech, was ja auch ganz gut in diese Zeit passt.
Knalliges Blattgrün war schon in der Gucci-Männerkollektion des vergangenen Winters zu sehen. So richtig groß raus kam es jedoch erst im Dezember, als die Bilder der aktuellen Sommerkollektion von Bottega Veneta veröffentlicht wurden. Der erste Look: ein grünes Strickkostüm mit passenden Wedges. Der dritte Look: fast das Gleiche, ebenfalls in Grün. Dazu war die ganze Showlocation in passend grünes Licht getaucht, die Models trugen dicke grüne Fingerfarbe als Lidschatten und in der Kampagne erschien die deutsche Künstlerin Rosemarie Trockel an einem See in Brandenburg, in einen langfloorigen grünen Bademantel gehüllt. Seitdem wird in Modekreisen nur noch von »Bottega Grün« gesprochen. Die Marke selbst nennt es übrigens »Parakeet«, Sittichgrün. Unschwer zu erraten, welche Farbe die neuen Verpackungen des Labels haben.
Diesen Sommer taucht der Ton nun auch bei Kleidern von Bimba & Lola auf, bei Pullovern von Anita Hass, Emily Ratajkowski trug gerade ein Cappy in knallgrün. Denn jetzt passt der Ton ja doppelt hervorragend in die Corona-Zeit: Grün ist bekanntlich nicht nur Natur, sondern auch die Hoffnung. Und die Farbe für niedrige Inzidenzen auf der Landkarte.
Der perfekte Trend für Annalena Baerbock? Eben genau nicht
Das alles hat natürlich rein gar nichts mit dem deutschen Wahlkampf zu tun. Außer, dass es hier eben ein ähnliches Momentum für Grün gibt. Also der perfekte Trend für Annalena Baerbock? Voll mit der Mode gehen und gleichzeitig plakativ auf Parteilinie liegen? Eben genau nicht.
So sehr wir uns Frau Baerbock in einem grünen Rippstrickkleid, grünen Wedges oder mit einer grünen Handtasche vorstellen können – das würde sie mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht machen. Sie trägt alle möglichen Farben, Grün hingegen fast nie. Lediglich beim Presseball 2019 erschien sie in einem grünen Neckholderkleid, ansonsten bevorzugt sie Schwarz, Blau oder Rot. Denn das politische Motto-Dressing steht eher für eine andere Generation. Claudia Roth trägt gern grüne Schals, grüne Perlenketten. Genscher trug bekanntlich gelbe Pullunder, Guido Westerwelle malte sich die gelbe »18« unter die Schuhsohle. Alles von gestern.
Das Allzu-Offensichtliche erscheint Frauen wie Baerbock – wie übrigens auch Angela Merkel – zu stumpf, zu plakativ. Es soll vor allem um Inhalte gehen. Dass man Grüne ist und grüne Interessen vertritt, weiß ja eh jeder, das muss man nicht noch vor sich her tragen. Oder erst am siegreichen Wahlabend. Bis September hält sich das eine oder andere Grün sicher.
Wird getragen mit: noch mehr Sittichgrün
Typischer Instagram-Kommentar: »Grüner wird’s nicht«
Passende Band: Green Day