Ob Kupfer, Nickel oder Zink (von links nach rechts): Diese Schwermetalle können von manchen Pflanzen in den Wurzeln gespeichert werden. So lassen sich Bodenschätze fördern, die sonst kaum abzubauen wären.
In einem Gewächshaus in Bochum wachsen 3000 Pflänzchen, die helfen könnten, einige der größten Sorgen der Menschheit in den Griff zu bekommen: Umweltverschmutzung, Rohstoffknappheit, Mangelernährung, auch Armut und Regenwaldzerstörung könnte man mit ihnen bekämpfen. Das Problem ist nur: Man darf nicht.
Ute Krämer, Professorin für Pflanzenphysiologie an der Ruhr-Universität mit Doktor aus Oxford und buntgeringeltem Poloshirt, steht zwischen den Pflanzen und pult Schädlinge von den Blättern. Schön sind die Pflanzen nicht: Sie erinnern an zu klein geratenen Löwenzahn und vertrocknete Balkonkräuter, zehn Zentimeter hohes, blütenloses Blattwerk. Doch die Hallersche Schaumkresse, Arabidopsis halleri, hat fast schon übernatürliche Fähigkeiten: Sie gedeiht auf Böden, die so verseucht sind, dass dort eigentlich nichts wachsen dürfte.
Schaumkresse gehört zur Gruppe der Hyperakkumulatoren, kaum erforschte Pflanzen, die Schwermetalle aus dem Erdreich holen und in ihren Blättern speichern können: Zink und das krebserregende Cadmium entzieht sie dem Boden in so großen Mengen, dass man kontaminiertes Brachland damit wieder fruchtbarer machen könnte. Ein Bio-Staubsauger für Bodengifte. »In Deutschland gibt es in der Nähe von alten Bergwerken Zehntausende verseuchte Felder, die durch solche Pflanzen wieder nutzbar gemacht werden können«, sagt Krämer. Dann seufzt sie. »Aber so schnell wird das nichts.«
Warum die Pflanzen kaum zum Einsatz kommen, ist ein großes Rätsel. Es geht um Geld, Patente und die Frage: Was muss passieren, damit sich eine
revolutionäre Idee durchsetzt?
Die Pflanzen können ja nicht nur staubsaugen. Zwei Wissenschaftler namens Alan Baker und Rufus Chaney haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sich die Pflanzen, vollgesogen mit Bodenmetallen, zu Geld machen lassen. Eine spezielle Zucht, die sich leicht ernten und verbrennen lässt – und in der Pflanzenasche findet sich dann so viel hochwertiges Erz, dass man daraus Metall herstellen kann. Baker, britischer Botaniker, und Chaney, amerikanischer Agrarwissenschaftler, gaben ihrer Idee den Namen Phytomining, übersetzt in etwa: pflanzlicher Erzabbau. Weil der Preis von Zink sich in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt hat, könnte Phytomining ein lukratives Geschäft sein.
Doch die Technik liegt brach wie verseuchter Boden. Nichts wächst, nichts passiert: Die Patente für Phytomining gehören der texanischen Investmentfirma Viridian Environmental, sie hat vor mehr als zwanzig Jahren erkannt, was für ein Potenzial in Phytomining steckt. Viridian hat Baker und Chaney schon früh mit Geld unterstützt – und sich dafür die Patente für alle eventuellen Erfindungen gesichert. Das Patent mit der Nummer 5711784, eingereicht am 6. Juni 1995, ist das Problem. Denn die Geldgeber haben jede kommerzielle Nutzung verboten. Viridian Environmental forscht nicht, sie bringen Phytomining nicht zur Marktreife, sie lassen das Patent einfach liegen. Warum, weiß niemand, sie selbst wollen es nicht erklären. Alle Anfragen des SZ-Magazins blieben unbeantwortet.
»Dass die Firma die Patente nicht verwendet, ist rechtlich einwandfrei«, sagt Alan Baker, einer der Erfinder von Phytomining, »aber für uns Forscher ist es ein Albtraum.« Baker war Professor für Botanik, mittlerweile ist er fast siebzig und im Ruhestand. Er ist als Student beim Spazierengehen durch ein stillgelegtes Bergwerk in England auf die Pflanzen aufmerksam geworden, die dort prima gedeihen, in hochgradig verseuchter Erde. Seitdem kennt seine wissenschaftliche Karriere nur ein Ziel: herauszufinden, was es mit diesen Pflanzen auf sich hat.
Nickel, das man ernten kann?
Alan Baker, Botanik-Professor aus England, gilt als einer der Entdecker von Phytomining. Die Idee, dass manche Pflanzen Schwermetalle speichern können, kam ihm schon als Student. Seitdem forscht er an Techniken, die die Pflanzen besser wachsen lassen. Lange galt er als Exot - bis auch die Wirtschaft erkannt hat: Mit diesem Verfahren lässt sich Geld verdienen.
Fast 200 Fachaufsätze über die Hyperakkumulatoren hat Baker verfasst. Dafür ist er um die Welt gereist, nach Japan, Australien, Thailand, auf die Philippinen, immer auf der Suche nach alten Landkarten, in denen stillgelegte Minen verzeichnet sind. Dort hat er Pflanzen gesammelt und im Labor untersucht. Einige enthalten so viel Schwermetall, dass sie für pflanzenfressende Tiere giftig sind. Und manche, wie das unscheinbare Strauchgewächs Phyllanthus balgooyi, speichern so viel Nickel, dass der dickflüssige, metallhaltige Pflanzensaft einem schon grün entgegenschimmert, wenn man den Stamm nur flach einritzt. Die Untersuchung ergab: neun Prozent Nickel, ganz ohne speziellen Dünger. Wenn man die Pflanzen entsprechend züchtet, kann es noch viel mehr sein.
Baker ist Wissenschaftler, aber er hat auch einen Sinn fürs Geschäft. Seine revolutionäre Idee: Statt Erze mühsam aus dem Boden zu schürfen, züchtet man Pflanzen, die das erledigen. Entweder auf Feldern, die Mensch und Industrie mit Schwermetallen verseucht haben – oder auf sogenannten Serpentinböden, wo von Natur aus so viele Schwermetalle in der Erde liegen, dass dort außer Hyperakkumulator-Pflanzen kaum etwas wächst. Statt Weizen könnte es also Felder voller Nickel geben oder voller Cobalt, Thallium und anderen teuren Erzmetallen, die Hightech-Firmen so dringend brauchen.
Diese Idee hatte Baker schon vor mehr als vierzig Jahren, doch damals hat das niemanden interessiert. Umweltschutz? Ein Thema für Langhaarige. Rohstoffe waren billig damals, um das verseuchte Gelände stillgelegter Minen herum wurden Zäune gebaut und Warnschilder angebracht, und die Sache war erledigt. Außerdem konnten Baker und Chaney, die Entdecker von Phytomining, damals noch nicht beweisen, dass ihre Idee tatsächlich funktioniert. Der einzige Fachaufsatz, der damals die Nickel-Speicherfähigkeit der Pflanze Allysum beschrieb – die Arbeit eines italienischen Forschers aus dem Jahr 1948 –, wurde von Kollegen als Ergebnis eines Rechenfehlers abgetan. Eine Pflanze, die bis zu zwanzig Prozent Schwermetall speichert? Kann nicht sein. Nickel, das man ernten kann? Hirngespinst.
Baker und Chaney schrieben Anträge für Forschungsgeld ihrer Universitäten. Vergeblich. Sie beantragten Förderung beim amerikanischen Umweltministerium und bei Stiftungen – nur Absagen. Allein die Investmentfirma Viridian in Texas erkannte die Geschäftsidee. Wie viel Geld damals floss, will Baker nicht verraten, aber ein einstelliger Millionenbetrag wird es schon gewesen sein – anders wäre die aufwendige Grundlagenforschung kaum finanzierbar.
Zunächst lief alles nach Plan: Bei einem Versuch in Oregon Ende der Neunzigerjahre schaffte es ein Team um Baker und Chaney, aus 500 Kilo Pflanzenasche 100 Kilo Nickel zu gewinnen. Chaney hat vorgerechnet, dass man so pro Hektar 4500 Euro verdienen kann, bei Anbau- und Düngekosten von gerade mal 300 Euro. Ein Bombengeschäft bei steigenden Rohstoffpreisen, großer Nachfrage und sinkenden Ressourcen. Chinas Bauboom gierte damals schon nach rostfreiem Stahl, und der wird oft mit Nickel angereichert. In Handyakkus und Euromünzen steckt es ebenso.
Perfekte Bedingungen also, um mit Phytomining viel Geld zu verdienen. Doch als der erste Feldversuch erfolgreich abgeschlossen war, zog sich Viridian zurück. Warum bloß? Die Forscher wurden nicht mehr angerufen, Briefe blieben unbeantwortet, die Treffen wurden seltener. Selbst als der Konzern Inco – heute zweitgrößter Nickellieferant der Welt – mit Viridian zusammenarbeiten wollte, passierte: nichts. Es scheint, sagt Chaney heute, dass die Firma auf eigene Faust experimentieren wollte – doch ohne die erfahrenen Forscher ging vieles schief. Andere mit dem Fall vertraute Personen sagen, dass Viridian auch ein wenig verpeilt sei – schlecht organisiert und außerstande, die Idee zu Geld zu machen. Das ist schwer zu prüfen, da die Firma nicht mit Journalisten spricht. Immerhin ein Hinweis lässt sich finden, da er in staatlichen Unterlagen vermerkt ist: Ein Viridian-Versuchsfeld in Oregon geriet außer Kontrolle, die Samen verteilten sich so hartnäckig in der Umgebung, dass plötzlich überall Unkraut wuchs. Einer der Chefs von Viridian musste sich deswegen 2009 vor einem Umweltausschuss rechtfertigen, kleinlaut versprach er, die Versuche in Oregon einzustellen. Und Phytomining geriet fast in Vergessenheit. Wer will schon an einer Geschäftsidee forschen, die er nicht umsetzen darf ohne die Genehmigung von Patentinhabern – die nichts genehmigen wollen?
Doch bald wird alles anders. Denn Viridians Patent läuft bald aus. Der Vertrag ist zwanzig Jahre gültig, ab Datum der Einreichung. Damit wäre ab dem 6. Juni 2015 wieder alles offen. »An dem Tag wird gefeiert«, sagt Alan Baker. »Und am Tag darauf machen wir uns wieder an die Arbeit.« Er und Chaney sind mittlerweile alte Männer, aber sie haben junge Forscher um sich geschart, die jetzt richtig loslegen wollen. Ein Niederländer namens Antony van der Ent reist bereits um die Welt und sucht nach Anbauflächen, im Urwald von Borneo war er schon, in Indonesien und Malaysia. Die Idee: Bauern könnten dort Hyperakkumulatoren pflanzen – und müssten vom Verkauf der Erzasche einen Teil abgeben. »Aber nur so viel, dass sie selbst genug verdienen«, sagt Chaney.
Kostenloser Nebeneffekt: Die Böden, vom Metall befreit, taugen irgendwann auch wieder für den Gemüseanbau. Es könnte eine Idee sein, die das Modewort Nachhaltigkeit in Perfektion umsetzt: Phytomining hilft der Natur, sich selbst zu heilen – und macht aus den Abfallstoff noch Gewinn. Menschen in Entwicklungsländern könnten damit ihren Lebensunterhalt sichern. Und mit dem Feuer, das die Pflanzen in erzreiche Asche verwandelt, ließen sich Maschinen antreiben, die das Material weiterverarbeiten. Ein fast geschlossener Kreislauf. Das amerikanische Wissenschaftsmagazin New Scientist hat den Pflanzen vor ein paar Monaten einen langen Artikel gewidmet. Das Fazit: Hyperakkumulatoren haben bewiesen, dass sie das Geschäft mit Rohstoffen grundlegend verändern können.
»Einige Firmen rennen uns schon die Türen ein«
Ute Krämer betreibt in Deutschland eines der größten Experimente mit Pflanzen, die Schwermetalle aus dem Boden holen können. Die Professorin für Pflanzenphysiologie an der Universität Bochum interessiert sich dabei vor allem für Cadmium - einen Giftstoff, der in Deutschland besonders oft vorkommt.
Und, das ist den Forschern wichtig: Es könnte auch ein effektives Mittel gegen die Armut sein. Denn Phytomining klappt dort besonders gut, wo sonst kaum etwas wächst – und wo sich auch normale Minen nicht lohnen: In abgelegenen Gebieten, im Regenwald (der für Minen erst abgeholzt werden müsste) oder auf Böden, deren Metallgehalt für Schürfverfahren zu gering ist. »Bei den aktuellen Rohstoffpreisen ist Phytomining schon ab 0,1 Prozent Nickelkonzentration im Boden rentabel«, sagt Rufus Chaney. Bei traditionellen Verfahren braucht es zehnmal so viel.
Für Ute Krämer, die Professorin aus Bochum, geht es nicht um Geld. Alan Baker war einer der Betreuer ihrer Doktorarbeit, sie kennen sich ganz gut, aber im Gegensatz zu ihm interessiert sie sich einfach nicht fürs Geschäft. »Wir betreiben Grundlagenforschung, um die wirtschaftliche Anwendung müssen sich andere kümmern.« Bisher ist die Szene der Forscher, die sich mit Hyperakkumulatoren befassen, recht klein, vielleicht zwanzig Arbeitsgruppen weltweit, schätzt Krämer, die meisten unterfinanziert.
Und auch in Deutschland fehlt das Geld. Hier wird vor allem an der Staubsaugerfunktion der Pflanzen geforscht. Ein möglicher Einsatz: die in Deutschland besonders hohe Cadmiumbelastung der Böden. In ehemaligen Industriegebieten an der Ruhr und im Harzgebirge sind ganze Landstriche verseucht, landesweit sind rund drei Prozent der Nutzfläche unbrauchbar. Und auf zwanzig Prozent der Böden in Deutschland ist der Schwermetallanteil zu hoch für sicheren Anbau von Nahrungsmitteln, schätzt Krämer – ein Erbe der Industrie und des Düngens mit cadmiumhaltigem Phosphatdünger. Große Firmen in Deutschland haben bisher aber so gut wie kein Interesse, die Forschung an Hyperakkumulatoren zu fördern, sagt Krämer. »Deutschland hat kaum Gesetze, die den Verursacher von Umweltverschmutzung zum Saubermachen zwingen.« Deshalb gibt es hierzulande keinen Markt für Produkte, die große Ackerflächen von Bodengiften befreien – anders als in den USA. Wer dort eine Mine betreibt, muss sich auch um die zurückgelassenen Böden kümmern. Daher kann man dort mit Phytomining doppelt verdienen: mit dem Saubermachen der Böden – und dem Verkauf der dabei gewonnenen Erze.
Und jetzt, wo der Ablauf des Patents in greifbare Nähe rückt, interessieren sich auch Firmen wieder für Phytomining. Im Juli dieses Jahres fand in Brisbane, Australien, die bisher größte Konferenz zu diesem Thema statt. Auch Baker und Chaney waren dort, als gefeierte Veteranen des Fachs, und haben Vorträge über ihre dreißig Jahre lange Erfahrung gehalten. Das Ziel: einen neuen Sponsor zu finden. »Einige Firmen rennen uns schon die Türen ein«, sagt Baker. Diesmal wollen sie sich genauer anschauen, mit wem sie zusammenarbeiten. Und neue Patente geben sie nicht mehr aus der Hand.
Illustration: Luca Schenardi