Was gibt s denn da zu gucken?

Die Nase überall reinstecken? Die Nummer, die wir auf der Titelseite zeigen, sofort anrufen? Die Neugier hat einen zweifelhaften Ruf. Dabei ist sie eine unserer wichtigsten Eigenschaften. Und eine gefährliche. Was wir Ihnen darüber verraten, könnte Sie sehr interessieren.

Sie so: »Ui, ein Käfer!« Er so: »Laaangweilig.« Neugier ist nicht bei allen Menschen gleich stark ausgeprägt.

Wollen Sie wissen, wie Angela Merkel von ihrem Mann genannt wird, wenn er sie ein bisschen ärgern will? Ja?
Sollen wir es Ihnen verraten? Dann scrollen Sie zum Ende der Seite.*

Kein Grund zum Schämen. Wir hätten auch nachgesehen. Wenn es ein Geheimnis gibt, will man die Wahrheit wissen. Ist doch das Natürlichste der Welt.

Seit den Menschen interessiert, was sein Mitmensch so macht, hat die Neugier einen fragwürdigen Ruf. Dabei ist die Neugier im Grunde die wichtigste unserer menschlichen Eigenschaften. Jahrtausendelang hat sie gewährleis-tet, dass wir neue Erkenntnisse gewinnen, dass wir herauskriegen, wo es das beste Essen gibt, wie man Feuer macht und wie man ein Balkendach so auf eine Ziegelwand setzt, dass das Gebilde eine Familie trocken hält. Die Neugier ist der Motor aller Neuerungen, sie hat uns das Feuer, Penizillin und die Mondfahrt gebracht.

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Heute aber überdreht der Motor. Neben Sex und Geld zählt nichts so viel wie die Jagd nach Neuigkeiten. Facebook-Posts, Twitter-Meldungen, Newsticker, Werbebanner, Kinotrailer, Fernsehspots, Verpackungsdesign – absolut alles soll unsere Neugier wecken. Uns bei der Stange halten. Uns dazu bringen, hinzuschauen, noch mal hinzuschauen, ununterbrochen hinzuschauen. Von ihrem ursprünglichen Ziel, dem Gewinn von nützlichem Wissen, hat sich die Neugier gelöst. Sie ist Selbstzweck geworden. Wir wollen Neuigkeiten, weil sie Neuigkeiten sind. Weil wir das Gefühl haben, das Leben setze einen Moment aus, wenn wir keine Impulse bekommen.

Aber mit unserer Sucht nach winzigen News-Partikeln betäuben wir die Neugier im Grunde nur. Es ist natürlich nett, per Facebook-Post zu erfahren, dass Heinz an seinem Urlaubsziel angekommen ist und Claudia sich ein schickes Sofa gekauft hat. Die Informationen aber, die wir auf diesem Weg finden, vergessen wir schnell wieder, sie halten eine Smartphone-Wischbewegung lang. Es sind News, die kein Wissen im eigentlichen Sinn darstellen. Wer sich allen üblichen Einflüssen aussetzt – Facebook, Twitter, Plakate, Online-Nachrichten, Werbung –, kommt ohne Weiteres auf ein paar Hundert Mini-News am Tag. Das heißt, der Kopf ist ununterbrochen in Alarmbereitschaft, wir sind ständig damit beschäftigt, kleinste Info-Teilchen wahrzunehmen, die uns nicht viel weiter bringen.

Früher haben Eltern ihren Kindern Kaugummi verboten mit dem Hinweis, durch die Kauerei werde dem Körper vorgegaukelt, man esse, in Wahrheit aber bleibe man hungrig, ohne es zu merken. Genauso ist es mit den Schnell-befriedigungen unserer Neugier: Wir machen uns vor, wir erhielten wichtige Informationen – in Wirklichkeit kauen wir nur, ohne uns zu ernähren.

Es ist schwierig mit dieser Neugier. Geht ja schon damit los, dass sie seit jeher die menschliche Entwicklung antreibt und trotzdem so einen jämmerlichen Ruf hat. Wer als neugierig gilt, ist bei anderen schnell unten durch, er wird gesehen als jemand, der keine Grenzen kennt, der in Dingen rumschnüffelt, die ihn nichts angehen. Schon das Wort ist unsympathisch: Neu-GIER. Klingt nach Geifern und Süchteln und Lechzen.

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Markus Gabriel, 34, ist Professor für Philosophie an der Universität Bonn. Sein Fachgebiet ist die Erkenntnistheorie, ein Forschungsfeld, das es ohne Neugier nicht gäbe.

Herr Gabriel, warum hat die Neugier so einen schlechten Ruf?
Weil sie jahrhundertelang als eine Form von Sünde galt, im religiösen wie auch im weltlichen Sinne. Man durfte nicht neugierig sein, sondern sollte sich auf das
beschränken, was einem zugänglich ist. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Philosophie lange Zeit sehr von der katholischen Kirche geprägt war.

Und was hatte die Kirche gegen die Neugier?
Der Verdacht war, dass der Mensch, der nach Wissen strebt, über die Grenzen der menschlichen Existenz hinausschießt, also über unsere Endlichkeit. Er macht sich größer, als Gott ihn haben wollte. Aber das finden Sie auch schon bei den alten Griechen. Nehmen Sie Ödipus: Der will zu viel wissen. Dann erfährt er die erschreckende Wahrheit über seine Mutter und sich selbst. Und am Ende sticht er sich die Augen aus, weil er einsieht: Sein Wissenwollen war zu viel.

Wann hat sich diese Sicht verändert?
Erstaunlich spät. Man könnte denken, das hätte mit der Neuzeit aufgehört. Aber noch René Descartes sagt in den Meditationen: Sünde ist dadurch möglich, dass wir mehr wollen können, als wir wissen können. Neugier ist in diesem Sinne also immer Anmaßung.

Warum will der Mensch überhaupt so viel wissen?
Weil die Welt für uns offen ist, wir kennen ihre Grenzen nicht. Und wir wollen diese Lücke unbedingt füllen, mit Informationen oder Dingen. Egal, ob das jetzt ein neues Auto ist oder eine Nachricht von Freunden – wir wollen, dass die Offenheit aufhört. Weil wir dann endlich etwas Bestimmtes sind.

Und diese Sehnsucht treibt uns auch dazu, ununterbrochen Online-News und Facebook-Posts zu verfolgen?
Genau. Das tägliche Sammeln von Informationen dient der Erzeugung von Sicherheit.

Aus philosophischer Sicht gibt es also keinen Grund, unser ständiges Jagen nach News-Schnipseln und Twitter-Häppchen kulturpessimistisch zu verdammen.
Nein, gar nicht. Durch das Überwachen von allem und jedem verschaffen wir uns den Eindruck, dass alles stabil zusammenhängt. Je mehr Feststellungen ich über die Welt da draußen treffe, desto stabiler erscheint mir mein Bezug zur Welt. Dafür ist eine Nachricht über das politische Weltgeschehen subjektiv genauso wichtig wie die Facebook-Information, dass Hans sich ein neues Fahrrad gekauft hat.

* Geht Sie doch nichts an.

»Wir leiden alle unter einem permanenten Zuviel an Neugier.«

»Was’n da drin los?« - »Kann ich nicht richtig erkennen.« - »Macht mich wahnsinnig.« - »Mich erst.«

Für die Naturwissenschaften aber ist die Neugier noch ein ziemliches Rätsel. Klar ist nur: Manche Menschen sind neugieriger als andere. Liegt es am Elternhaus? An den Genen? Der Ausbildung? Ein Nachweis ist schwierig: Man müsste zwei genetisch gleiche Menschen in völlig unterschiedlichen Kontexten aufwachsen lassen, um dann zu betrachten, warum einer von ihnen bei einem Spaziergang im Wald jede ihm unbekannte Pflanze betrachtet, während der andere einfach blindlings vor sich hintrottet.

Bei Tieren sind solche Experimente einfacher. Neurologen der Universität Dresden haben Mäuse mit fast identischem Erbgut in einem großen Käfig aufwachsen lassen, in dem es von Spielzeug und Beschäftigungsmöglichkeiten nur so wimmelte. Manche Tiere wuselten von Anfang an neugierig umher und wollten jedem Reiz sofort nachgehen – andere wurden immer passiver und zeigten kaum Interesse an der Umgebung. Bei den aktiveren Tieren zeigte sich, dass sich deutlich mehr Nervenzellen in ihrem Hippocampus gebildet hatten, einer Hirnregion, die für das Verarbeiten neuer Informationen zuständig ist. Neugierige Tiere haben also ein anders vernetztes Gehirn – ob als Folge ihres Verhaltens oder als dessen Ursache, ging aus dem Experiment nicht hervor. Aber es war belegt: Neugier ist messbar.

Und das nicht nur bei Mäusen. Forscher des Max-Planck-Instituts haben die Neugier von Kohlmeisen untersucht. Dafür stellten sie einen rosaroten Panther aus Plastik neben den Futternapf der Vögel – und merkten, dass manche Tiere das komische Ding ausgiebig untersuchen wollten, während manche Artgenossen sich kaum dafür interessierten. Die Forscher fanden heraus: Ein Gen namens DRD4 war bei den neugierigen Tieren anders ausgebildet als bei den eher passiven Vögeln. Dieses Gen ist mitverantwortlich für die Aufnahme von Dopamin im Vogelhirn, einem Belohnungstoff, der auch beim Sex ausgeschüttet wird. Und je mehr Dopamin das Vogelhirn aufnehmen kann, desto erkundungsfreudiger ist das Tier.

Momentan wird an mehreren Instituten daran geforscht, wie sich dieser Mechanismus auf andere Lebewesen auswirkt. Denn aus evolutionsbiologischer Sicht kann Neugier durchaus Nachteile haben: So fanden Forscher in Neuseeland heraus, dass eine als besonders neugierig geltende Papageienart namens Kea auffallend oft an Vergiftungserscheinungen leidet. Die Tiere neigen dazu, alles Neue auf seine Essbarkeit zu prüfen – was in ihrem unwirtlichen Lebensraum überlebenswichtig ist. Doch leider macht ihre Neugier auch vor den bleihaltigen Nägeln der Dächer alter Berghütten nicht Halt: Die Keas pulen die süßlich schmeckenden Nägel mit ihren Schnäbeln aus dem Holz und sterben an Bleivergiftung.

Wer die vermischten Meldungen in der Zeitung liest, hat das Gefühl, dass es der Mensch kaum besser macht. Wenn wir uns in Gefahr bringen, ist erschreckend oft die Neugier daran schuld: In den Zeitungen finden sich Meldungen von Unfällen, weil Leute …
… beim Holzfällen im Wald zugeschaut hatten und von einer Fichte getroffen wurden.
… beim verbotenen Betreten einer Kläranlage ins Abwasser gefallen sind.
… beim Beobachten eines Autounfalls auf der Gegenfahrbahn einen Auffahrunfall verursacht haben.
… fast vom Zug überfahren wurden, weil sie von den Gleisen aus einen ICE beobachtet hatten.

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Herr Gabriel, hat Neugier ihre Schattenseiten?
Ja, wir leiden alle unter einem permanenten Zuviel an Neugier. Man muss Heidegger nicht mögen, aber er hatte recht mit der Diagnose, dass die Moderne als Ganzes eine radikalisierte Form der Neugier ist. Wir alle warten jede Minute darauf, dass das entscheidende Neue passiert. Ganz egal, ob Gutes oder Schlechtes. Wir schauen ständig aufs Handy, sind ununterbrochen im Netz, Online-Medien schalten alle paar Minuten neue Nachrichten frei.

Wir wollen eben informiert sein.
Um Information geht es längst nicht mehr. Im Grunde warten wir darauf, dass Jesus zurückkommt. Uns treibt die Hoffnung auf die ultimative Nachricht. Lieber wäre uns doch der sofortige Alienangriff oder der plötzliche totale Klimawandel, als dass wir ertragen, wie alles banal und alltäglich weitergeht. Wir wollen aus der Banalität des Alltags fliehen. Den Gedanken finden Sie sogar schon bei Aristoteles. Der hat gesagt, dass die Menschen sich lieber etwas Schreckliches ansehen, als gar nichts zu sehen. Da haben Sie Antike und Gegenwart auf einmal: die griechische Tragödie und unsere heutigen Abendnachrichten.

Aristoteles ging es aber nicht nur um Sensationslust, sondern um das Streben nach Wissen.
Natürlich, der Mensch braucht Wissen, um sich ernähren zu können, jagen zu können, ein Haus bauen zu können. Aber ich finde, die Perspektive passt nicht mehr. Die Neugier hält uns ja auf. Sie verursacht Depressionen, sie gibt uns ständig das Gefühl, etwas zu verpassen.

Warum ist es so schwer, die Neugier zu bremsen?
Weil wir Angst haben.

Wovor?
Vor dem Unbekannten. Das Tier kennt nur Furcht vor der konkreten Bedrohung. Der Mensch aber kennt auch die Angst, das vage Gefühl, da könnte irgendetwas Bedrohliches sein, das er noch nicht kennt. Im Gegensatz zum Tier versucht der Mensch, sich selbst und sein Verhältnis zur Welt zu definieren. Unsere Neugier zielt also immer darauf, die Angst vor der unkonkreten Bedrohung zu bekämpfen.

Also stecken wir unsere Nase überall rein. Kann es schlechte Folgen für uns haben, wenn wir am Tag 237 neue Facebook-Posts lesen?
Die Gefahr liegt in der permanenten Überforderung. So etwas wie Burn-out lässt sich ja nicht nur auf Überarbeitung zurückführen, sondern auch auf die ununterbrochene Flut von Informationen und unsere unkanalisierte Neu-gier, die ständige Angst, etwas zu verpassen.

Sind wir Junkies?
Die Diagnose trifft absolut zu. Die erfolgreichsten Drogen der Gegenwart sind die vermeintlich harmlosesten. Die Droge Information kommt uns ja gar nicht schlimm vor – abhängig macht sie dennoch. Aber um mal vom Drogenbild wegzukommen: Ich vergleiche das Ganze eher mit Gott. Das Internet weiß fast alles, es ist immer mit uns. Wir können nicht anders, wir sind zu neugierig, wir sehen ständig nach, was da draußen passiert. Der nächste Akt der Emanzipation wäre eigentlich ein Atheismus hinsichtlich der dauernden Verfügbarkeit von Neuigkeiten.

Also eine Art Info-Atheismus.
Schönes Wort. Nennen wir es doch ab jetzt so.

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Wenn es nur so einfach wäre. Laut einer Studie der University of Southern California nimmt heute jeder Mensch durch Mails, soziale Netzwerke, Zeitungen und Fernsehen etwa fünfmal so viele neue Informationen auf wie vor dreißig Jahren. Das ist nicht nur eine gigantische Reizüberflutung, das macht auch vielen Leuten die Arbeit schwerer. Den Werbern zum Beispiel: In den Fünfzigerjahren genügte es, lächelnde Menschen zu zeigen, die die Qualität eines Produkts preisen, schon war die Neugier geweckt. Als 2004 ein neuer Telefonanbieter den deutschen Markt aufrollen wollte, war das Land wochenlang mit Bildern einer Frau namens Alice zugepflastert – ohne dass jemand wusste, wer die Frau ist und warum sie von jeder Plakatwand runterlächelt. Perfekt angestachelte Neugier.

Sogar das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat erkannt, wie wichtig Neugier ist.

»Was? Was?« - »Och, nix.« -»Lass mich mal schauen … hier ist ja gar nichts!« - »Sag ich doch.«

Würde so eine Kampagne heute noch funktionieren? Kaum. Alexander Bartel, Chef der Münchner Agentur Wunderhaus, sagt: »Es gibt heute so wahnwitzig viele Reizpunkte, es wird immer schwieriger, die Schwelle oben zu halten. Deshalb setzen Firmen wie Red Bull mittlerweile auf ganz andere Formen der Werbung. Wenn Felix Baumgartner aus dem All springt, ist die neugierige Frage der Zuschauer ja nicht: Wie gut ist die Brause? Sondern: Schafft der Kerl das?«

Das gleiche Phänomen gilt für Filmtrailer. Kaum etwas ist so auf die Erzeugung von Neugier ausgerichtet: zwei Minuten, in denen wir so angestachelt werden sollen, dass wir gar nicht anders können, als möglichst bald im Kino das ganze Geheimnis zu ergründen. Weil aber die Neugier der Zuschauer immer schwerer zu wecken ist, müssen die Trailer immer aufwendiger werden. Heute wird allein für die Kurzversionen mit eigenem Produktionsstudio und extra Musik mehr Geld ausgegeben als früher für ganze Filme.

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Immer mehr Reize, immer mehr Aufwand, also immer noch mehr Reize. Ein Teufelskreis. Je mehr unsere Neugier geweckt werden soll, umso müder werden wir. Könnte das zu einer Abstumpfung führen? Es geht ja schon bei den Jüngsten los. Die US-Psychologin Susan Engel hat gezählt, wie oft sich die Schüler von ersten Klassen im Unterricht melden, um eine Zwischenfrage zu stellen. Ihr Ergebnis: durchschnittlich etwa zwanzig Fragen pro Unterrichtsstunde. In der fünften Klasse waren es meistens nur noch zwei Fragen – wenn überhaupt. Und das, obwohl der Stoff ja eigentlich mehr Fragen hervorrufen sollte. Die Schüler, so die Annahme der Forscherin, sind durch jahrelanges Abhandeln vorgefertigter Lehrpläne so abgestumpft, dass sie sich das Nachfragen abgewöhnt haben.

Dabei hat sogar das Bundesministerium für Bildung und Forschung erkannt, wie wichtig Neugier ist. In seinen kürzlich veröffentlichten Leitlinien steht: »In jedem Kind steckt ein kleiner Entdecker. Die Neugier ist eine unserer stärksten Antriebskräfte.« Und diese Antriebskraft nimmt ab, je älter die Kinder werden. Aber es gibt Hoffnung. Zum Beispiel in Altperlach am Rande Münchens. Dort hat im Herbst 2013 eine private Grundschule namens Jules Verne Campus eröffnet, in der »Neugierologie« im Lehrplan steht, eine Mischung aus Naturwissenschaft, freien Projekten und lustigem Quatsch. Kerrie Elston-Güttler, eine elegante Frau mit Doktortitel aus Cambridge, unterrichtet das Fach. Die Neugierologie-Räume sehen aus wie eine Mischung aus Internet-Start-up und Abenteuerspielplatz: Bunte Knautschhocker, Bilder von Dinosauriern an der Wand, in Regalen stapeln sich Kis-ten mit Bastelmaterial. Am Eingang steht ein selbst gebauter, drei Meter hoher Tyrannosaurus aus Pappe, »unser Abschlussprojekt im letzten Jahr«, sagt Elston-Güttler.

Heute geht es um U-Boote. Fünfzehn Kinder aus der zweiten und dritten Klasse schauen ihrer Lehrerin dabei zu, wie sie aus einer Plastikflasche, alten Münzen und einem Schlauch ein U-Boot baut und es in einer Wanne versenkt. Die Aufgabe: Baut was – es muss schwimmen und sich langsam senken. Die Kinder stellen Fragen, nach ein paar Minuten beginnen die Ersten, mit Flaschen und Münzen zu experimentieren. Nach zwanzig Minuten, viel Lachen, Wasserspritzen und Herumgetüftel hat jedes Kind ein funktionierendes U-Boot gebastelt. »So lernen Kinder das Prinzip Auftrieb auf spielerische Art kennen«, sagt die Lehrerin nach der Stunde.

Natürlich könnte man sagen, klassischer Erlebnis-Unterricht. Aber die Schule hat sich das Wort »Neugierologie« als Marke beim deutschen Patentamt schützen lassen. Es ist mehr als nur ein Wort: Die Lehrer sammeln Fragen der Kinder und speichern sie auf einem Server, auf den dann jeder Lehrer zugreifen soll, um Experimente und Schulstunden zu gestalten. Was hier unterrichtet wird, richtet sich nach dem, was die Schüler wissen wollen. Mit anderen Worten: Die Basis des Lehrplans ist die Neugier.

Ach so – wir schulden Ihnen ja noch Angela Merkels Spitznamen. Also bitte: Wenn Joachim Sauer sie ärgern will, nennt er sie manchmal »Frau Kanzlerin«.

Fotos: Peter de Krom