Nimm meinen Schläger und ich sag dir, wer du bist

Von ihrem kürzlich verstorbenen Lieblingsautor Philip Roth hat Tennisprofi Andrea Petkovic viel fürs Leben gelernt. Unter anderem einen Trick, wie man das wahre Ich einer mysteriösen Person erkennt.

Foto: Privat

Ich hoffe, es ist für alle okay, dass ich im Nachklang des Todes von Philip Roth in dieser Woche auf mein zweitliebstes Medium nach dem Film zurückgreife: die Literatur.

Philip Roth ist seit jeher einer meiner Lieblingsautoren gewesen. Formvollendete Sprache, lustig - und ich meine nicht so literarisch-intellektuell lustig, sondern zum lauten Losprusten lustig – sowie latent frauenfeindlich. Damit bot er mir immer genügend Reibungsfläche, um testen zu können, ob meine moralischen Antennen noch aufnahmefähig waren. Dazu launisch und miesepetrig, allergisch gegen Happy Ends und mit panischer Angst vorm Älterwerden. Und irgendwie schaffte er es immer wieder, dass ich mich durch seine Beschreibungen ertappt oder zumindest sehr, sehr gut verstanden fühlte. 

So wie in der Kurzgeschichte  »Goodbye, Columbus«. Darin lässt er die weibliche Hauptfigur Brenda, in die sich der jugendliche Erzähler Hals über Kopf verliebt hat, auf dem Tennisplatz auftreten (okay, die Parallele zu mir ist schon sehr offensichtlich, aber trotzdem). Die beiden sind zum ersten Date verabredet und sie sagt ihm, er solle sie vom Tennisspielen abholen. Alles, was Philip Roth über diesen Charakter sagen will, liegt in diesen Zeilen. Brenda ist oberflächlich, selbstbewusst, mutig, hochnäsig und eitel. Nicht eines dieser Wörter fällt jemals in diesem Abschnitt und doch ist alles auf den ersten Blick klar.

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Brenda ist ein weißes, privilegiertes Mädchen der Oberschicht, das niemals mit Konsequenzen für ihre Taten rechnen musste und deswegen auf ihren aus der Unterschicht stammenden Beobachter unwahrscheinlich verwegen und wagemutig wirkt. Eigentlich wandelt sie aber ständig an der Grenze zur Vermessenheit.

Es ist leicht, mutig zu sein, wenn du nicht um deine Existenz bangen musst

Ich hatte auch mal so eine Freundin aus sehr gutem Hause, die mich im Zug oder in der Straßenbahn immer zum Schwarzfahren überredete. Ich habe Blut und Wasser geschwitzt und als wir erwischt wurden, rannte ich jeden Tag panisch zum Briefkasten, weil ich wusste, dass ich mein soziales Leben für die nächsten zwei Jahre vergessen konnte, wenn meine serbischen Eltern dort die 40-Euro-Strafe fanden. Meine Freundin konnte nie nachvollziehen, warum ich mir so in die Hose machte. Ihre Eltern erklärten ihr, dass es nicht okay war, gegen Regeln zu verstoßen, und damit hatte es sich. Serbische und deutsche Erziehungsmethoden miteinander zu vergleichen, würde den Rahmen dieses Textes sprengen, aber was ich sagen will: Es ist leicht, mutig zu sein, wenn du nicht um deine Existenz bangen musst.

Um jetzt nochmal die Kurve zu Philip Roth zu bekommen: Als ich die oben beschriebene Szene las, wurde mir schlagartig bewusst, dass genau das eine meiner Maschen war. Wenn ich jemanden kennenlernte, bei dem ich mir unsicher war, was für ein Mensch er ist, schleppte ich ihn auf den Tennisplatz - und danach lagen stets alle Karten offen. So nach dem Motto: Nimm meinen Schläger und ich sag dir, wer du bist! Tennis ist nun mal das Terrain, auf dem ich mich am besten auskenne, da fühle ich mich sicher und kann alle Kapazitäten darauf verwenden, mein Gegenüber genau zu beobachten. Kein Zaubertrick, ich weiß, aber es funktioniert. 

So hing ich mal mit einem Mann herum (für alle, die sich in einer glücklichen Beziehung befinden oder nicht zur Generation Y gehören: «Mit jemandem herumhängen« ist, wenn es weit mehr als Freundschaft, aber weit weniger als Liebe ist), der gleichermaßen toll und schrecklich war. Er war talentiert, geistreich, witzig und wunderschön. Er trug immer Schwarz von Kopf bis Fuß und sein Lieblingsdichter war Dylan Thomas. Er war aber auch faul, unkonzentriert, oberflächlich und aß nie. Er rauchte und trank dafür im Übermaß und fand Morrissey toll. Wer war dieser Typ? Ich hatte nur eine Möglichkeit, das herauszufinden. 

Ich schleppte ihn auf den Tennisplatz, drückte ihm meinen Schläger und Bälle in die Hand, und los ging’s. Und plötzlich stand die Erde still. Die Vögel hörten auf zu zwitschern und der Himmel öffnete sich über den leicht schäbigen Public Courts von New York City. Dieser faule, antriebslose Typ zeigte auf einmal Hartnäckigkeit und Biss, Lernwillen und Entschlossenheit. Er stellte sein männliches Ego hintenan und hörte geduldig zu, was ich zu sagen hatte. Ich war begeistert und meinte, die Essenz seines Seins entdeckt zu haben.

Wir haben es dann trotzdem voll gegen die Wand gefahren. Aber wenigstens wusste ich, wer genau da neben mir saß. Philip Roth wäre stolz auf mich gewesen.