1) Fireball – Deep Purple
»Ich war zehn, als ich mich entschied, das britische Hardrockquintett Deep Purple für die mit weitem Abstand beste Band der Welt zu halten – scheiß auf die Beatles. Naja, es hätte schlimmer kommen können (Sweet, Slade, Rubettes...). Meine erste Single war ›Fireball‹. Genial: Musik, Text, das Auftreten der ganzen Truppe. Kurz darauf traten die bei Ilja Richter auf. Disco 72 (wie alle anderen Discos auch) war ja eine traurige, spießige, provinzielle Veranstaltung, insbesondere Ilja Richters hochnotpeinliche Sketche. Und dann mit Deep Purple endlich internationaler Glanz. Und was macht die Redaktion? Platziert die Weltstars zwischen Tony Marshall und Daniel Gerard. Wie habe ich mich geschämt. Und mich gefragt, was die armen Purples wohl denken müssen von Deutschland, und den hiesigen Fernsehshows.«
2) Locomotive Breath – Jethro Tull
»Von meinem zehnten bis dreizehneinhalbten Lebensjahr waren ›Deep Purple‹ für mich die größten, zwischen 13 und 17 nahmen diese Position ›Jethro Tull‹ ein. Eine Initialisierung erster Kajüte. ›Deep Purple‹ hatten ab sofort ausgedient. Absolutes Novum: Ian Anderson war der erste Mensch auf Erden, der die Querflöte in der Rockmusik etablierte. Noch dazu trugen er und seine Mannen lange Haare, Pelzmäntel und benahmen sich auf der Bühne wie verrückte Teufel. Spooky, crazy, real hot shit. Ich habe wohl in meinem ganzen Leben niemals jemanden mehr verehrt als den einbeinigen Storchenkönig (Markenzeichen einbeiniges Flötenspiel, auch schon wieder genial). Schon wieder konnte ich nicht begreifen, wieso die kreuzdoofen Beatles im Ranking über Jethro Tull standen. Ein historischer Irrtum! Wenn es Jethro Tull nicht gegeben hätte, wäre ich, da bin ich mir allerdings sicher, nicht auf die Idee gekommen, Querflöte, und später dann Saxophon zu lernen. Deshalb ewige Verbundenheit, obwohl die Musik echt nicht so dolle ist.«
3) Rock your Baby – George McCrae
»Im Februar 1975 erlebte ich die wohl glücklichsten drei Minuten und 15 Sekunden meines Lebens. Ich hörte damals ausschließlich Jethro Tull (und fand es frevelhaft, noch andere Götter neben Ian Anderson zu haben), aber dann: Klassenfest. Ich war bereits fünf Jahre in eine gewisse Petra Dausel verliebt, ohne auch nur die geringsten Chancen bei ihr zu haben, da sie rauchende und trinkende Mofarocker bevorzugte, und da konnte ich mit Querflöte, Pickeln und Fassonschnitt nicht mithalten. Mein Status als braver Schulkamerad war in Stein, Beton, Eisen oder sonst was sehr schwerem eingegossen. Naja, ich hatte mich mit meinem Schicksal bereits abgefunden, als es auf besagter Feier zum Äußersten kam: PETRA DAUSEL FORDERTE MICH ZUM ENGTANZ AUF. Was allerdings einen einfachen Grund hatte: Die geilen Mofarocker waren grade draußen, eine rauchen oder Asti Spumante schlucken, Petra wollte einfach nur zu ihrem Lieblingslied schwofen, und deshalb traf es mich; es war schlichtweg niemand anderes da. Für sie waren diese paar Minuten völlig bedeutungslos, für mich der Himmel auf Erden. Und obwohl aus mir und Petra nie was geworden ist (noch nicht mal Händchenhalten), finde ich ›Rock your Baby‹ in seiner magischen Schlichtheit immer noch toll.«
4) Ornithology – Charlie Parker
»Irgendwann war auch mal gut mit Jethro Tull und Pop und Rock – mit 18 entdeckte ich die Jazzmusik. Eines war sofort klar: Jazz ist der einfallslosen Popmusik mit ihren ewigen Wiederholungen ungefähr elf Lichtjahre überlegen. Meine Helden waren fortan Charlie Parker, McCoy Tyner, Jack de Johnette, Miles Davis, John Coltrane, Wayne Shorter undundundoderoderoder. Statt Führerschein bekam ich mit 18 ein Tenorsaxophon und übte im Seniorentreffpunkt Rönneburg wie ein Besessener. Später musste ich leider einsehen, dass es nicht reichte, um auch nur annähernd so gut wie meine Vorbilder zu werden. Aber immerhin ist aus mir ein ganz passabler R'n'B-Saxophonist geworden.«
5) Reflections - Jan Gabarek
Etwa ein Jahr nach Charlie Parker kamen Modern- und Fusion-Jazz dazu, und fortan spielte der norwegische Saxophonist Jan Gabarek in meinem Leben die erste Geige, bzw. das erste Tenorsaxophon. Unfassbar, wie gut der spielen konnte, wie machte der das bloß? Ein ebenso disziplinierter wie genialer Asket, dessen Tagesablauf ich mir so nüchtern und klar vorstellte wie seinen skandinavisch unterkühlten Sound: 6.00 aufstehen, 6.30 ein Glas Milch, 7.00-12.00 üben, 12.00-12-30 ein Glas Milch, Power Napping, von 13.00-17.30 üben, leichtes Abendessen begleitet von einem halben Glas Milch, danach Theorie, Komponieren, Bettruhe spätestens 22.00. Wahrscheinlich stimmt das sogar.
6) I promise not to come in your mouth - Frank Zappa
Der Titel stammt vom legendären Doppelalbum »Frank Zappa in New York«. Er hatte dafür die Weltelite der Pop und Jazzmusiker zusammengetrommelt, und für mich war und ist es das vielleicht beste Jazzrock-Album aller Zeiten. Als das Genre noch nicht als öde, anstrengend, bescheuert und rückständig galt. Es gab seinerzeit ja auch noch seltsame Spielarten wie Krautrock, Melodic Rock, Harmonic Rock, an die sich außer mir wahrscheinlich kein Mensch mehr erinnert (wie in den Neunzigern der sogenannte Diskurspop, schon mal gehört? So schnell geht das in der Popmusik.)
7) Firestarter - The Prodigy
Für mich der wichtigste Song der Neunziger, geradezu revolutionär. Wie die das wohl hinbekommen haben? Magisch. Mehr Druck ging nicht, äußerste Verdichtung, schwarzes Loch, kosmologische Dimensionen. Ein absoluter Meilenstein auch das Album Fat of the Land. Und dabei hat Firestarter weder ein melodisches noch ein harmonisches Gerüst, es ist reiner Sound, der reine Beat, reine Energie. Danach kam noch einiges an Musik für mich dazu, was hier aber keine Erwähnung mehr finden kann. Ich finde nichts schrecklicher, als musikalisch in der emotionalen Primetime der Jugend steckenzubleiben, Stichwort »I had the time of my life«. Von wegen HATTE. Wird alles nur noch interessanter. Besser. Und was weiß ich. Und EDM ist auch irgendwann Schnee von gestern.
Das Album „Die gläserne Milf“ von Heinz Strunk ist am 31. März als CD und Doppel-LP erschienen.
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