Zahlen Risikolebensversicherungen auch bei Tod durch Dummheit? Meine derzeit wahrscheinlichste Todesursache ist nämlich: tollpatschige Selbsttötung durch Kopfhörerkabel. Beim Radfahren verheddere ich mich damit so oft im Lenker, an der Bremse oder gar im Pedal, dass ich mit seltsam ruckartigen Kurven durch den Berufsverkehr fahre.
Es gäbe eine Lösung, für 179 Euro unverbindliche Preisempfehlung: AirPods, also schnurlose Kopfhörer. Von Apple 2016 vorgestellt, anfangs verlacht als Designirrtum und Zahnbürstenaufsatz, dann irgendwie doch Teil des Alltags geworden und heute so schwer angesagt, dass sie gerne mal ausverkauft sind.
Ich hatte überlegt, mir welche zu kaufen, oder zumindest billigere Imitationen, aber dann passierte die Sache im Supermarkt. Ich wollte Obst kaufen und hatte eine Frage. Der einzige Angestellte, den ich sah, trug AirPods. Er räumt etwas ein. Weil ich niemand anderen sah, ging ich zu ihm, fragte etwas lauter als sonst »Entschuldigung, haben Sie noch Mangos?«, bekam eine normal laute Auskunft und ging irritiert zur Kasse.
Der Mann hatte die Kopfhörer nicht rausgenommen, sie auch nicht sichtbar ausgestellt, sondern sich einfach benommen, als hätte er nicht zwei kleine Lautsprecher im Ohr beim Kundengespräch. Auf dem Heimweg sah ich eine Schulklasse, in der viele AirPods trugen. Niemand nahm sie raus zum Reden, manche trugen zumindest nur einen. Und das ist mein Problem: Ich fürchte, ich würde es genauso machen.
Zuhause höre ich gerne Podcasts beim Aufräumen, Abspülen, Wäsche zusammenlegen. Seit Jahren. Ich kann inzwischen kaum Hausarbeit mehr machen ohne Podcast oder Hörbuch. Nur die Kopfhörerkabel (und meine Freundin, die das enorm unhöflich findet) erinnern mich daran, dass ich da was im Ohr hab. Am Kabel hängt wiederrum mein Handy und weil die Schnur zwischen beiden nicht sehr lang ist, ziehen und stören die Kopfhörer immer wieder mal beim Rumhantieren. Diese Unbequemlichkeit lässt mich die Kopfhörer nach einiger Zeit genervt weglegen. Aber mit AirPods kann man vermutlich sogar einschlafen und duschen, ein Leben hinter einem Schallvorhang, als AirPod-Zombie.
Und die Kopfhörer sind mit den AirPods längst nicht am Ende der Entwicklung: Apple und andere Firmen sind gerade dabei, aus Kopfhörern Multifunktionstechnologien zu machen. Künftige Kopfhörer können mit Gesten gesteuert werden, haben Zugriff auf digitale Assistenten wie Alexa oder Siri, können Gesundheitsdaten im Ohr erfassen, vielleicht gar Fernsteuerung per Gedankenübertragung ermöglichen. Der Knopf im Ohr könnte das neue Handy werden.
»Kopfhörer sind das Weltbewältigungsinstrument des 21. Jahrhunderts«, hat Sascha Lobo kürzlich verkündet, der Mann kennt sich aus, permanent Kopfhörer zu tragen ist für ihn der erstrebenswerte »neue Normalzustand, und manchmal nimmt man sie halt ab«, die nächste Stufe unserer »Geschichte der Individualisierung«.
Ist das hier dann nur einer dieser nach Mottenkiste und Omaparfüm riechenden Sehnsuchtstexte, die von guten analogen Zeiten schwärmen? Nein, eher eine Frage. Kann das gut gehen? Man weiß doch nur zu gut, wie es mit den Smartphones gelaufen ist. Wie man anfangs noch schräg angesehen wurde, wenn man in Besprechungen das Handy rausgeholt hat - und wie selbstverständlich man das heute macht. Selbst während eines Gesprächs aufs Handy schauen ist nur mehr ein bisschen unhöflich.
Wir sind schon durch Handys in unserem Sozialleben begrenzter (ehrlich gesagt asozialer) als früher. Kabellose Kopfhörer werden diesen Prozess verstärken. Einer Umfrage zufolge sollen 17 Prozent der Airpod-Besitzer schon mal beim Geschlechtsverkehr die Kopfhörer drin gelassen haben. Dann doch lieber nach der Kleidung einander die Kopfhörer vom Leib reißen.