Zagreb vor zwei Tagen: Die kroatische Hauptstadt dreht durch. Hunderttausende rot-weiß-karierte Menschen säumen die Straßen. Begeisterter hätten sie ihre Fußballmannschaft, die »Vatreni«, die Feurigen also, nicht empfangen können; es war völlig egal, dass diese tags zuvor das Finale in Moskau gegen Frankreich verloren hatten. So viel Kampfgeist und Power, so viel Zielstrebigkeit und Mut und Ausdauer haben sie gezeigt, diese harten Jungs aus diesem kleinen Land, in dem auch ich geboren wurde. Ich habe ihnen während der gesamten WM gerne zugesehen und sie angefeuert, und die paar Meldungen, dass sie in der Umkleidekabine Musik des Faschisten und Ultranationalisten Thompson hören, geschickt umsegelt und ignoriert. Das konnte doch nicht sein: Den sportlichen Triumph wollte ich mir nicht kaputt machen lassen.
Der offene Bus benötigte vom Flughafen bis zum Trg bana Jelačića mitten in der Stadt fünfeinhalb Stunden. Im Bus saß – auf Wunsch der Spieler, allen voran Luka Modrić – auch Marko Perković alias Thompson, und er war später auch auf der Bühne dabei und sang. Dafür gibt es keine Erklärung, die einleuchten kann. Das ist beschämend und ekelhaft und wäre in Deutschland wahrscheinlich gesetzeswidrig. Perković singt Lieder, die das Konzentrationslager in Jasenovac und das Nazi-Regime der Ustascha verherrlichen, er singt den Ustascha-Gruß »Za dom – spremni!«. Immer wieder wurden seine Konzerte aufgrund seines faschistischen Gedankenguts in Italien, Holland und der Schweiz verboten, und auch die kroatische Stadt Rijeka verbot erst im April ein Konzert von ihm – bis es absurderweise doch erlaubt wurde und stattfand.
Warum mussten ihn die Vatreni dabei haben? Was wollen sie damit sagen? Nur mal zum Gefühlsabgleich: Man stelle sich vor, die deutsche Mannschaft hätte 2014 bei der Siegesfeier in Berlin eine Nazi-Skinhead-Band auf die Bühne gebeten und mit ihr gerockt.
Man predigt ja immer, dass sich Sport und Politik nicht vermischen sollen, doch das ist am Leben vorbei, und nirgendwo mehr als auf dem Balkan. Diese Sportler, die in Madrid oder Barcelona leben, machen nämlich den Nationalismus in Kroatien noch salonfähiger, als er leider schon ist. Sie, die neuen leuchtenden Helden, setzen damit eine dringend benötigte Verarbeitung der jüngeren kroatischen Geschichte mit Hochverrat an Heimatliebe gleich. Sie spalten die Menschen in ihrer Freude, sie beschämen die Klugen, die das Land sowieso schon in Massen verlassen. Die kritischen Stimmen werden klein und leise gehalten. Eine bekannte kroatische Schauspielerin postete nach Thompsons Auftritt auf Facebook: »Wir lieben es eben, zum Schluss hin alles zu verkacken«, und wurde daraufhin so massiv bedroht, dass sie den Post inzwischen gelöscht hat.
Ich bin deutsche Staatsbürgerin, aber auch Tochter einer serbischen Mutter und eines kroatischen Vaters, und ich spüre diese Schande wie einen stramm geschossenen Fußball in die Leistengegend: Es tut sehr weh. Es ist, als hätte man sich total verliebt und entdeckt plötzlich, dass der Typ ein Hakenkreuz-Tattoo hat. Es bleibt kein Nachgeschmack und auch kein Beigeschmack. Sondern viel mehr: Diese Aktion in Zagreb hat alles kaputtgemacht – noch viel mehr als die feurige Liebe zwischen mir und den Feurigen. Wahrscheinlich kommen sie auch ohne mich klar. Ich ohne sie ganz sicher. Vielleicht sollte man Fußball nicht mit Politik vermischen, doch ohne eine gehörige Portion Anstand kommt er eben nicht aus.