Nach den Morden von Hanau äußern Politikerinnen und Politiker ihr Entsetzen, ihre Wut, ihre Trauer. Sie gehen auf Mahnwachen, wollen Präsenz zeigen. Mich berühren diese Gesten nicht mehr. Viel zu oft ist danach nichts passiert. Viel zu oft haben deutsche Sicherheitsbehörden uns Betroffene im Stich gelassen.
So wie in Rostock-Lichtenhagen 1992, als eine johlende Menschenmenge Rechtsextreme angefeuert hat, und die Polizei nicht eingriff. So wie bei den Ermittlungen zu der NSU-Terrorserie, wo die Angehörigen der Opfer jahrelang verdächtigt wurden und immer noch nicht abschließend geklärt ist, wie der Verfassungsschutz Ermittlungen verhindert und verschleiert hat. (Unter anderem, weil der hessische Untersuchungsausschuss die entsprechende Akte mit einer Sperrfrist von 30 Jahren versehen hat, Transparenz bekommen NSU-Opfer dann ab dem Jahr 2044.)
Bei vielen von Rassismus betroffenen Menschen ist kein Vertrauen in die Sicherheitsbehörden da. Ich glaube nicht, dass sie mich, meine Freundinnen und Freunde, meine Familie schützen. Ich war nach dem Anschlag in Hanau nicht geschockt. Fast schon routiniert bin ich in einen Überlebensmodus gewechselt: Habe meine Familie angerufen, meinen Bruder gebeten, erstmal nicht mehr mit seinen Freunden in Shishabars zu gehen, habe Freundinnen in den Arm geschlossen, die mir gesagt haben, dass sie Albträume davon hatten, erschossen zu werden.
Angst vor rechtsextremer Gewalt hat mein Umfeld nicht erst seit dem Mord an Kassels Regierungspräsidenten Walter Lübcke, nicht erst seit dem versuchten antisemitischen Anschlag in Halle, nicht erst seit dem rechtsterroristischen Anschlag in Hanau. Rechte Gewalt hat Kontinuität in der Bundesrepublik, schon seit Jahrzehnten. Der Einzug der AfD in unsere Parlamente passt da nur ins Bild. Marginalisierte Menschen in Deutschland haben nicht nur Angst vor Attacken. Wir rechnen mit ihnen.
Warum gibt es von der Regierung nicht mehr Mittel, um rechtsextremistische Strukturen aufzudecken? Warum lagen - Stand letztes Jahr – 482 offene Haftbefehle gegen untergetauchte Rechtsextremisten vor? Warum wird der Fahndungsdruck nicht erhöht, warum hängen nicht, wie zu RAF-Zeiten, überall Fahndungsplakate?
Auch beim aktuellen Anschlag fragen sich die Opfer: Hätten die Sicherheitsbehörden die Tat nicht verhindern können? Der Generalbundesanwalt hat bestätigt, dass der mutmaßliche Terrorist von Hanau schon im November ein Schreiben an ihn adressiert hat. Es ist in vielen Teilen mit dem späteren Bekennerschreiben identisch. Hätten die Sicherheitsbehörden nicht reagieren können? Warum gibt es keine Kontrollmechanismen, damit Menschen, die sich menschenfeindlich äußern, nicht mehr in den Besitz von legalen Waffen kommen können?
Worte und Andachten sind schön und gut. Sie beschützen aber nicht. Sie sorgen nicht dafür, dass ich mich sicherer fühle in meinem Land. Was ich brauche, ist die Gewissheit, dass unsere Körper genauso schützenswert sind wie die von weißen Menschen. Der deutsche Staat, die Regierung, vor allem die Sicherheitsbehörden müssen sich das Vertrauen von Betroffenen, das sie über Jahrzehnte immer wieder enttäuscht haben, erarbeiten und verdienen. Und das funktioniert nicht einfach durch das kurzfristiges Aufstocken von Polizeipräsenz vor Moscheen, wie der Innenminister Horst Seehofer jetzt angekündigt hat. Vertrauen herstellen erfordert langfristige Arbeit und einen ehrlichen Umgang mit dem institutionellen Rassismus in unseren Sicherheitsbehörden.
Personen, die sich rechtsextrem äußern, müssen aus den Reihen der Sicherheitsbehörden entfernt werden. Auch wenn Horst Seehofer jetzt Merkels Worte wiederholte (»Rassismus ist Gift«) – als Hans-Georg Maaßen in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden sollte, hatte sich der Innenminister gegen diesen Schritt bis zuletzt gewehrt.
Die Behörden müssen endlich für die lückenlose Aufklärung der NSU-Morde sorgen, wie es Bundeskanzlerin Angela Merkel versprochen hatte. Rechtsextremismus muss endlich so rigoros verfolgt werden, dass von niemandem mehr der Vorwurf kommen kann, der Verfassungsschutz sei auf dem rechten Auge blind. Die Polizei muss sich ernsthaft mit Racial Profiling auseinandersetzen – eine Praxis, die sie abstreitet, aber zahlreiche nichtweiße Menschen alltäglich erleben und von der sie sich gedemütigt fühlen.
Es könnte helfen, nach solchen Taten Polizisten als Vertrauenspersonen in die Communities zu schicken - so wie es in Großbritannien passiert, und wie es der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent kürzlich in einer Talkshow gefordert hat.
All das ist eine langwierige, schwierige Aufbauarbeit. Aber das ist die Polizei, das sind die deutschen Sicherheitsbehörden den Opfern von Hanau schuldig.