Wenn die Tage bei 30 Grad und mehr schmelzen wie Uhren in einem Salvador-Dalí-Bild, stellt sich zwangsläufig die Kleidungsfrage. Schließlich möchte man im Hochsommer am liebsten ununterbrochen sehr nackt sein. Nicht etwa, weil das so sexy aussehen würde, sondern weil so wenig Hautkontakt wie möglich der einzige Weg ist, die Hitze zu ertragen.
Nun gibt es einen Unterschied zwischen »angenehmer« und »angemessener« Berufskleidung. »Angenehm« wäre demnach alles, was erträgliches Wohlbefinden herstellt: Ein in Eiswürfelwasser getränkter Bademantel zum Beispiel. Ein Bikini mit Wassermelonenmotiv. Ein Hauch von Nichts aus Sonnencreme und Anti-Brumm-Mückenspray. Sonnenbrillen, natürlich. Flip Flops vielleicht. Als »angemessen« gilt dagegen alles, was mit Garantie im Hochsommer Schweißflecken fördert, sichtbar macht und am Ende riecht: Lange Jeans. Zugeknöpfte Hemdkragen (selbst wenn das Hemd aus Leinen ist). Socken. Grundsätzlich alles, in dem wegen geschlossener Nähte zu wenig Luft zirkuliert.
Das erträgt man in manchen Tragesituationen noch, wie bei Opernpremieren, im Supermarkt, im Straßenverkehr oder ganz klassisch im Büro, in dem die äußerste Fahnenstange des »Grad-noch-so-erlaubt«-Sommerdresscodes schnell erreicht ist. Aber was ist eigentlich mit dem Home-Office? Wie seriös sollte mein Erscheinungsbild sein, wenn mich manchmal tagelang nur der Badezimmerspiegel zu Gesicht bekommt?
Das Home-Office ist ein Zwitter. Hier kollidieren private Räume mit dem, was man in der Steuererklärung als »Arbeitszimmer« angibt. Was Vorgesetzte und Auftraggeber fürchten, ist, dass bei Kollegen, die von Zuhause aus arbeiten, die Disziplin irgendwo auf dem kurzen Weg zwischen Bett und Schreibtisch verloren geht. In Bezug auf die Arbeitsleistung trifft das meist nicht zu. Aber es stellt sich eine Art äußerlicher Verfall ein, der proportional zur Temperatur steigt. Während man im Home-Office manchmal erst gegen Mittag merkt, dass Zähneputzen langsam gut wäre, tut man es bei 36 Grad noch dazu ohne Hose.
Mein unerschrockener Postbote muss denken, dass es in meinem Kleiderschrank große Lücken oder in meinem Haushalt eine grundlegende Aversion gegen Stoff gibt. Aber wie ist das beim Schreiben von beruflichen E-Mails, bei Telefonkonferenzen oder gar Skype-Interviews? Wie seriös ist es, seinen Job nur im sichtbaren Teil ordentlich begleitet, sonst aber halbnackt zu erledigen?
Das psychologische Moment der Kleidung ist hier nicht zu unterschätzen: Manchmal genügt es ja allein, teure Sportklamotten zu tragen, schon fühlt man sich vitaler und läuft schneller. Es gibt Outfits, die bei einem Vortrag vor Publikum mindestens 50 Prozent des souveränen Auftritts ausmachen. Und wenn ich mit den dafür vorgesehenen Handschuhen die Komposterde siebe, gärtnere ich bestenfalls wie meine Mutter, mindestens aber wie Meike Winnemuth.
Bedeutet das im Umkehrschluss, dass beim Fehlen der Arbeitskleidung im tropisch-schwülen Home-Office die Qualität der Arbeit zu leiden droht? Ist eine Power-Point-Präsentation, die im Bikini oder in der Badehose erstellt wurde, gedanklich zu luftig, zu durchschaubar in der Argumentation? Nein. Das Ignorieren jeglicher Dresscodes und Würde hilft vielmehr, dem Hirn im neuesten Hitzerekord zumindest irgendeinen klugen Gedanken abzuringen, bevor es schmilzt.
Also bitte keine Scheu: Baseballkappen mit Ventilator dran? Sofort kaufen und morgens als erstes aufziehen. Im Kinderplanschbecken sitzend mit dem Laptop wichtige Schriftsätze formulieren? Gute Idee, wenn Sie regelmäßig Sicherungskopien machen. Den Jour fixe mit andere Freiberuflern in die Warteschlange der Lieblingseisdiele verlegen? Na klar. Und wenn Sie beim nächsten Telefonat von ihrem Gesprächspartner gefragt werden, wer da im Hintergrund so schreit, sagen Sie ohne schlechtes Gewissen: der Bademeister.