Ich stelle mir die Szene im Nachhinein sehr drollig vor. Ein deutsches Mädchen, um die sechs Jahre, marschiert durch die Straßen von Jesolo. Blonder Topfschnitt, einen Beutel über der Schulter, ein paar Münzen in der Hand. Beim Bäcker angekommen lugt sie über den Tresen. Fast ist sie zu klein ihn zu überblicken, trotzdem ordert sie als wäre es das normalste der Welt »sei panini per favore«.
Was niemand wusste: Für mehr als die vier Worte hätte mein Italienisch auch nicht gereicht. Ich war damals weder ein Sprachgenie noch hatte ich eine italienische Patentante. Die Bestellung haben mir meinen Eltern vorgesagt, bevor sie mich zum Bäcker schickten denn unsere Regel damals war: Im Urlaub redet man mit den Leuten auf ihrer Landessprache.
Das hat sich eingebrannt. Wenn ich verreise, schlage ich bis heute den Reiseführer zuerst von hinten auf, um mir das »Bitte/Danke«, »Hallo/Tschüss« und »Ich-hätte-gerne« der jeweiligen Sprache beizubringen. Die perfekte Beschäftigung für den Flug oder die Autofahrt zum Ferienort.
Schade, dass es mittlerweile fast immer für die Katz ist.
Denn von Situationen wie der folgenden, neulich passiert in einer kleinen Pizzeria in Italien, kann ich mittlerweile ein Lied singen, oder besser: einen Blues.
»Ciao, per me una pizza...«, sagte ich.
»Madam, would you like to speak English?«, sagte die Bedienung.
Natürlich könnte ich da zurückschießen, dass ich eigentlich ganz und gar nicht Englisch sprechen mag. Doch was würde passieren? Ich würde ein ewiges Hin und Her anzetteln, ich würde vielleicht nochmal ins Wörterbuch gucken müssen, würde herumstammeln und der Kellner würde mit den Augen rollen. Nachdem mir das Englisch angeboten wurde, wäre mein radebrecherisches Italienisch nicht mehr charmant, sondern umständlich und unnötig.
Was ist da passiert? Warum habe ich aufgehört, eine Signorina zu sein und wurde zur Madam? Und warum haben die Einheimischen ihren südländischen Charme abgelegt und wurden zu gesichtslosen Weltbürgern?
Das frage ich Anne Barron, Sprachwissenschaftlerin an der Universität Lüneburg. Sie erklärt mir, die Italiener, die mich um mein Urlaubsgefühl bringen, würden mir eigentlich einen Gefallen tun wollen: »Die Bedienung hat das Gefühl sie müsste Ihnen entgegenkommen«, sagt Barron. Und das ginge in den allermeisten Fällen eben mit Englisch, denn das versteht immerhin ein Drittel der Weltbevölkerung. Es geht also schlicht um Effizienz. So erklären sich auch die Schilder, die man aus den Schaufenstern vieler Souvenirläden kennt: »We speak English«.
Das Dilemma erlebe ich nicht nur in Italien. Egal, wohin ich gehe, niemand will mehr auf mein improvisiertes Italienisch, Spanisch, Portugiesisch, Niederländisch oder die Mischungen daraus antworten. Wie sehr ich mich auch bemühe, die Einheimischen wechseln sofort ins Englische (oder schlimmer: ins Deutsche) sobald sie merken, dass ich keiner von ihnen bin.
Vielen Leuten gefällt es sicher auch, sich im Urlaub nicht verbiegen zu müssen. Man sieht das an Orten wie dem Ballermann auf Mallorca, wo man Stunden verbringen kann ohne ein spanisches Wort zu hören. Aber muss ich wirklich auf die Balearen fliegen, wenn dort eh alles ist wie zuhause? Wirken die Orte, die keine natürliche Sprache mehr haben, nicht einfach nur noch künstlich? Für mich lag der Charme eines Urlaubs im Ausland genau im Gegenteil: Dass man sich eben nicht reibungslos verständigen kann, dass es manchmal etwas chaotisch zugeht, dass man auch mal aus seiner Komfortzone gedrängt wird.
Letztlich ist es das, was die Landsleute tun, wenn sie jeden Kunden auf Englisch begrüßen: Sie vermeiden vorsorglich Konflikte. Bloß keine verärgerten Kunden riskieren, die versuchen, Pasta zu bestellen und dann aber einen Auflauf bekommen, weil sie leider ein paar Wörter durcheinandergebracht haben. Das gibt verärgerte Blicke statt Trinkgeld. Oder noch schlimmer: Eine negative Bewertung auf Tripadvisor: »No one speaks English!« Womit wir wieder bei der verdammten Effizienz wären.
Der Preis dafür: Die Chance, zumindest für die Dauer eines Urlaubs dazuzugehören und die Sprache der Einheimischen zu sprechen, geht irgendwo zwischen Globalisierung und Verkaufsdruck verloren. Und mit ihr gleich eine ganz eigene Art von Urlaubserinnerungen, nämlich jene, die in Sprache konserviert sind wie die Lieder, die man auf einer Reise hört: Was wird aus »Acqua Frizzante« in Italien, aus »Pannenkoeken« in Holland, und den spanischen »Patatas Bravas«? Wenn es so weiter geht, bekommt man - zumindest dort, wo es Touristen gibt - bald nur noch »Sparkling water«, »Pancakes« und »Spicy fries«. Was für ein Verlust.