Im Zimmer mit Donald Trump

Unser Autor ist zum Auslandssemester nach Kalifornien gezogen. Sein Zimmerkollege hat eine scharfe Waffe, eine Trump-Mütze und eine sehr unterschiedliche Weltsicht. Über eine unfreiwillige Wohngemeinschaft – und eine unerwartete Annäherung.

Trump-Fanartikel und eine Waffe: Was sagt so ein erster EIndruck über einen Mitbewohner aus?

Foto: privat

Ich bin gegen Waffen, gegen Krieg und gegen Grenzmauern. Ohne eine politische Partei dauerhaft zu unterstützen – ich bin das Sinnbild eines Wechselwählers – würde ich mich so mitte-links-grün einordnen. Freien Handel finde ich gut, Strafzölle weniger. Offene Grenzen? Tolle Idee, wenn auch in der Umsetzung schwierig. Demokratie? Super, was denn sonst? Donald Trump? Nicht super.

Jeder, der anderer Meinung war, hatte für mich ein problematisches Verständnis von Menschlichkeit und Demokratie. Als ich diesen Sommer zum Auslandssemester nach Kalifornien ging, habe ich nicht an Trump gedacht und seine Politik, die Familien auseinanderreißt. Ich dachte an den Golden State. Den ganzen Tag surfen, unendliche Sandstrände und im alten VW-Bus den Pacific Coast Highway rauf, von Los Angeles nach San Francisco. 

Leider ist California Dreamin' in der praktischen Umsetzung ziemlich teuer, deshalb ist es üblich, dass man sich als Student ein Zimmer teilt. Acht Monate auf zehn Quadratmetern plus Küche und Bad mit einem komplett fremden Menschen. Mit Sam.

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Ich wusste von Sam vor meinem Abflug nur, dass er Politikwissenschaften studiert. Könnte interessant werden, mal Out-Of-The-Box, ein anderer Blickwinkel auf die Welt. Darum geht man doch ins Ausland, oder? Verlassen der Komfortzone, raus aus der Filterblase.

Zwölf Flugstunden und vier Zugstunden später war ich endlich da. Eine Stadt an der Central Coast von Kalifornien. 27 Grad, ein Studentenwohnheim mit Pool, umringt von Palmen. Als ich meine Wohnung in dem riesigen Gebäudekomplex fand, prangte mir vom Fenster ein großes Plakat entgegen: »Socialism Sucks!« stand da, weiße Buchstaben auf blauem Hintergrund.

Am Bettpfosten lehnte eine Axt, die in der Sonne glänzte. Auf dem Schreibtisch lag ein Revolver.

Etwas irritiert von dieser wütenden Botschaft, die mir mein neues Zuhause entgegenschrie, öffnete ich die Tür. »Hello?« Keiner da, alles dunkel. Ich stolperte in die Wohnung. Etwas klein, dreckiges Geschirr überall. Mitten auf dem Tisch in der kleinen Küche strahlte mich etwas Rotes an. Eine Mütze, weiße Schrift, mir bekannt aus dem Präsidentschaftswahlkampf 2016 und Kanye Wests wirrer Rede im Oval Office: »Make Amerika Great Again.« Oh je.

Ich ging ins Schlafzimmer. Neben dem Bett lagen verstreut Klamotten und Bücher. Am Bettpfosten lehnte eine rund 40 Zentimeter lange Axt, die in der Sonne glänzte. Auf dem Schreibtisch lag, fein säuberlich in einem Holster steckend, ein Revolver.

Dieses Zimmer war wie ein in Öl gemaltes Stilleben dessen, was meiner Meinung nach gerade in Amerika schief läuft. Nach einigen panisch verschickten WG-Bewerbungsschreiben und den damit einhergehenden Absagen, entschied ich, einfach mal abzuwarten.

Als ich Sam ein paar Tage später kennenlernte, traf ich einen Menschen, der wie aus einem High-School-Film direkt in mein Leben gesprungen war. Nach der Vorlesung stets mit einem Dosenbier in der Hand, trug Sam am liebsten ein ärmelloses Tanktop über dem leichten Bierbauch, dazu Sporthosen und Badeschlappen. Eine Frisur hatte er nicht wirklich, die blonden Haare wuchsen einfach so auf seinem Kopf herum. Sein Outfit wechselte er nie, er hatte wohl sehr viele Sporthosen und ärmellose T-Shirts im Kleiderschrank. Er redete schnelles Englisch mit kalifornischem Akzent, was so klang, als würde er ständig Kaugummi kauen.

Die ersten Gespräche mit Sam waren schwierig. Schwierig, weil in meinem Kopf ständig eine Alarmsirene losging, wenn wir das Thema Politik auch nur streiften: »Er ist ein Rechter, sprich nicht mit Rechten!« Ich versuchte ihm am Anfang aus dem Weg zu gehen. Allerdings kann man sich nur schwer aus dem Weg gehen, wenn man zu zweit in einem Zimmer wohnt.

Deshalb fing ich an, mit Sam zu sprechen. Er war von Anfang an sehr interessiert an meiner politischen Meinung und daran, wie wir Deutschen die Welt so sahen. Ich erzählte ihm von Europas offenen Grenzen und davon, wie super ich es fand, den Kontinent ohne Reisepass bereisen zu dürfen. Dass Europa viel mehr als ein Kontinent sei, dass es eher eine Einstellung war, ein »Gemeinsam an einem Strang ziehen«, dass wir auf keinen Fall aufgeben sollten.

Sam war völlig entgeistert. Offene Grenzen? Das sei doch Bullshit, meinte er. Ihr müsst eure Kultur schützen. An einem Strang ziehen? Jedes Land solle erst nach sich und seinem Volk schauen, was interessieren einen die anderen. Er sah das, was ich selbst am meisten an Europa mochte, eher als Bedrohung. Für Sam war ich das, was Pegida und die AfD in Deutschland als »Gutmenschen« bezeichneten.

Wir unterhielten uns immer öfter, teilweise stundenlang, mal in der Küche, mal von Bett zu Bett. Es war ein bisschen so wie bei den Waltons. Nur, dass sich hier nicht Elisabeth und John-Boy über ihren Tag auf dem Bauernhof redeten, sondern ein Deutscher und ein Amerikaner mit Weltbildern, die unterschiedlicher kaum sein konnten. »Wir müssen die Einwanderung regulieren.« - »Nein, wir brauchen eine multikulturelle Gesellschaft.« - »Amerika muss der Welt zeigen, dass sie die Stärksten sind, wir beschützen euch doch vor China.« - »Danke, nett von euch, wir können ganz gut selber auf uns aufpassen.« Gute Nacht, Niko. Gute Nacht, Sam.

Das Thema Trump hatte ich lange vermieden, natürlich kam es doch zur Sprache. Der sei ein »Dumbass«, ein »Blödmann«, war die erste Reaktion von Sam, als ich ihn nach dem amerikanischen Präsidenten fragte. Es folgte ein langer Monolog über den Schaden, den Trump der republikanischen Partei zufügte, indem er schneller twittere, als er nachdenke. Es sei eine Schande, dass er gesagt habe, bei der »White National Rally« in Charlottesville wären gute Leute auf beiden Seiten gewesen. Aha. Leichtes Durchatmen, aber warum dann die Mütze? »Wenn Demokraten die rote Baseballkappe sehen, ticken sie immer aus, weil Hillary am Ende doch noch verloren hat. Das ist so lustig.«

Oft gingen Sam und ich auf die gleichen Partys. Da ich neu in der Stadt war, war ich froh um jeden, der mich irgendwohin mitnahm. Da standen wir also in irgendeiner WG von irgendeinem Freund von Sam. Getränke gab es in roten Plastikbechern, aus einer Bluetooth-Box liefen Songs von Green Day und Blink-182. Amerika sollte keine Mexikaner mehr ins Land lassen, sagte Sam. Aha, dachte ich, doch ein Rechter. Damit konfrontiert, unterbrach mich Sam sofort. Nein, sagte er, du verstehst das falsch. Wir brauchen eine geregelte Migrationspolitik, um die Arbeiter zu schützen. Illegal eingewanderte Mexikaner werden von den Farmen ausgebeutet. Sie kommen hierher, werden schlecht bezahlt und nach der Erntesaison schicken wir sie wieder zurück. Das ist unmenschlich.

Wir kamen auf Waffen zu sprechen. »Die sind ein Grundrecht«, sagte Sam, »das ist ein Teil der Verfassung, Waffen gehören zu diesem Land«. Während er das sagte, gestikulierte er so heftig, dass Bier aus seinem Plastikbecher auf den Fußboden schwappte. Die anderen Studenten stimmten ihm johlend zu, ich ahnte schon, dass ich in dieser Diskussion einen schweren Stand haben würde. 

Jeder Mann sollte eine Waffe besitzen, schrie Sam über die Musik hinweg, sonst kann er seine Familie ja nicht verteidigen. Unser deutscher Freund hier sieht das aber anders. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Vor wem zur Hölle musst du denn deine Familie verteidigen, schrie ich zurück? Die Menge lachte. Du verstehst das nicht, du bist kein Amerikaner, sagte ein Mädchen, das nicht lachte. Die Menschen hier sind anders. Durch unsere Verfassung ist es unser Recht, uns selbst zu verteidigen.

Was, wenn jemand bei dir einbricht, sprengte Sam die Vermittlungsversuche des Mädchens. Wolltest du dann nicht auch, dass wir uns verteidigen? Aber Töten sei doch nicht die Lösung, sagte ich. Besser er als ich, antwortete Sam. Wieder ein Johlen um uns herum.

Nach einigen Wochen und unzähligen, oft vom Dosenbier angeheizten Diskussionen zog ich ein erstes Fazit. Da war der Sam, der sich um das Wohl mexikanischer Gastarbeiter sorgte und Gewalt verabscheute. Da war aber auch der Sam, der eine Waffe auf dem Schreibtisch liegen hatte und der Meinung war, dass Europa eine Idee von emotional überreagierenden Spinnern sei. Ja, Sam war ein Waffennarr und amerikanischer Patriot, Amerika First war sein Verständnis von guter Politik. Sam war aber kein Rassist.

Ich hatte Sam in eine Schublade gesteckt, in die er gar nicht reingehörte. Waffe plus Trump plus Antisozialist hatte ich sofort gleichgesetzt mit Rassist, Menschenhasser und Hinterwäldler. Wir wählen die Partei, deren Weltbild uns am ehesten entspricht. Aber genau das ist der Punkt: am ehesten. Viele Trump-Wähler sind Rassisten. Aber nicht alle. Das ist wie auf dem Oktoberfest. Viele sind am Ende besoffen. Aber eben nicht alle.

Sam brachte mich dazu, mein Verhalten gegenüber Andersdenkenden zu ändern. In Deutschland hörte man diesen Sommer oft, »man soll nicht mit Rechten reden«. Ich finde, damit machen wir es uns zu einfach. Nur durch Dialog können wir Kompromisse finden und nur durch Kompromisse finden sich Lösungen. Das kann unangenehm werden, sollte es uns aber wert sein.

Für mich persönlich heißt das, dass ich mit einem Trump-Mütze tragenden Waffennarren diskutiere, der eine Axt an seiner Bettkante stehen hat. Ich glaube nicht, dass ich Sam noch davon überzeugen kann, dass Waffen in einem Studentenwohnheim nichts verloren haben. Beste Freunde werden wir wohl nicht, dazu sind unsere Ansichten einfach zu verschieden. In dieser Welt, die nun mal nicht nur in Gut und Böse aufgeteilt werden kann, müssen wir das auch gar nicht. Zwischen meinem Gut und Böse liegt mittlerweile wieder eine ganze Menge. Zum Beispiel Sam.