Zwölf Ziffern bis zur Weißglut

Eigentlich wollte unser Autor nur ein neues Smartphone. Dabei blieb aber ein treuer Kumpane auf der Strecke: seine schöne, alte Handynummer.

Illustration: Marie Maerz / photocase.de

Es gibt schöne Telefonnummern und nicht so schöne. Die Schönheit bemisst sich daran, wie sie klingen, wenn man sie diktiert, und die Nummer, um die es hier geht, hatte nicht nur Sound, sondern auch Rhythmus: Nulleinsfünfzwofünf-Dreißigzwanzigfünffünfnull.

Aber leider, wie gesagt: sie hatte. Wenn man jetzt anruft, sagt ein Computer mit weiblicher Stimme sinngemäß: Bitte gehen Sie weiter, hier gibt es nichts zu sehen. Und das kam so: Ich hatte ein Handy, wie bis vor ein paar Jahren die meisten Menschen eines hatten und dann auf einmal fast niemand mehr. Dann brauchte ich ein Smartphone. Und also einen neuen Vertrag mit einem neuen Tarif. Ich wählte die Kundenhotline meines Anbieters, wartete lange, schilderte kurz die Lage und hörte dann: Kein Problem, folgende Tarifoptionen, erstens zweitens drittens. Ob ich meine Nummer mitnehmen wolle. Ja, sagte ich. Kein Problem, hieß es, dazu brauchen Sie dieses Formular und jenes, und Sie müssen dies und das tun. Alles klar, sagte ich, beschaffte die Formulare und tat alles so wie beschrieben, am Ende kündigte ich meinen bisherigen Vertrag.

Drei Tage später rief ein Verkäufer meines Telefonanbieters an: Er habe meine Kündigung erhalten, was denn da los sei, ob ich denn nicht zufrieden wäre. Ich schilderte die Lage. Das wäre aber dumm, sagte der Verkäufer, ich könnte doch den bestehenden Vertrag aufstocken. Ich verwies auf die Beratung des Kollegen. Aha, sagte er, da müsse er sich erkundigen. Wir vertagten uns.

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Ein paar Tage später, die Widerrufsfrist meines neuen Vertrags war gerade abgelaufen, bekam ich eine E-Mail: Die Rufnummernübernahme könne leider nicht stattfinden, da der alte Vertrag noch laufe. Ich rief an, wartete lange, schilderte kurz die Lage. Erhielt dann die Auskunft: Ein Nummerntransfer aus meinem speziellen alten Tarif in diesen speziellen neuen Tarif sei generell nicht möglich. Ich saß im Büro, während ich das Telefonat führte, und merkte an den Mienen meiner Kollegen, dass ich offenbar sehr laut sprach. Ich verwies auf die Beratung der beiden Kollegen. Da habe man mir Quatsch erzählt, erfuhr ich.

Rufnummernübertragung nicht möglich, keine Begründung. Ich bekam schlagartig einen roten Kopf. Ich hatte mir den Namen des Verkäufers notiert und bat seinen Kollegen, ihm meine dringende Rückrufbitte auszurichten.

7,5 Milliarden Menschen leben auf der Welt, statistisch haben 4,9 Milliarden ein Handy, 2019 wird die 5-Milliarden-Grenze durchbrochen. Mag sein, dass hier und da mal was schief geht.

Es dauerte genau 25 Stunden, ich saß wieder im Büro, als er anrief. Ich schilderte kurz die Lage, konzentriert, um nicht die Übersicht zu verlieren. Ah, sagte der Verkäufer. Das sei ja blöd. Da wisse er jetzt auch nicht weiter. Er könne mir jetzt nur anbieten, die Kündigung des alten Vertrags aufzuheben und ihn zum billigsten Tarif weiterlaufen zu lassen, das sei der einzige Weg, die alte Nummer zu halten. Das neue Telefon laufe aber dann schon mit neuer Nummer. Das Telefonat dauerte dann noch etwa eine Viertelstunde, ich weiß davon nicht mehr viel, außer dass ich recht bald begann zu brüllen, meine Kollegen erinnern sich heute noch gern an diesen Moment.

Ich hatte nun also zwei Telefone. Ein Smartphone, das ich benutzte. Und mein altes Handy, das ich mit mir herumschleppte für den Fall, dass jemand anrief, mit dessen Anruf ich nicht rechnete. Ich wollte die Nummer nicht aufgeben, auch aus nostalgischen Gründen. Ich habe damit Jobs zugesagt, Gehälter verhandelt, Geheimgespräche geführt, ich habe SMS bekommen, die so schön waren, dass ich sie lange behalten habe. Wenn es mir nicht gut ging, riefen Freunde an und munterten mich auf, wenn es ihnen nicht gut ging, tat ich das gleiche umgekehrt, und, ach, allein die vielen, vielen, vielen Verabredungen – wir hatten eine gute Zeit zusammen, wer weiß, ob die Zeit mit einer neuen Nummer wieder so gut werden würde.

Natürlich rief keiner an, ein Jahr lang. Ich begann, das Telefon nicht mehr überall hin mit zu nehmen. Erst als das alte Handy schon lange mit leerem Akku in der Schublade meines Schreibtisches lag und ich mich komplett auf das neue Gerät umgestellt hatte, begann ich hin und wieder E-Mails zu bekommen: Man habe mich zu erreichen versucht, ob denn meine Nummer nicht mehr aktiv sei. Argh. Und jedes Mal begann ich gedanklich sofort wieder zu brüllen. Doch! Verdammt noch mal! Aber ich bin überfordert damit, Menschen und Technik passen eben doch nicht zusammen, bei mir reichen schon zwölf Ziffern, um mich zur Weißglut und meine Teilhabe an der Welt an die Grenze zu bringen. Und wirklich, ich bin weder technikskeptisch noch fortschrittsfeindlich, aber wie fit eine Gesellschaft im Umgang mit Technologie wirklich ist, zeigt sich immer dann, wenn irgendwas nicht so läuft wie es soll.

Nach zwei Jahren hatte ich keine Lust mehr. Ich war mürbe. Und habe den Vertrag mit der alten Nummer auslaufen lassen. Die Bandansage, die man jetzt hört, lautet: Die Rufnummer ist uns nicht bekannt. Das ist inhaltlich natürlich Blödsinn, spätestens jetzt kennt ihr die Nummer ja, ihr Quarknasen, und das Problem ist ja: Wenn, dann ist nur euch diese Nummer nicht bekannt. Ungefähr allen anderen schon. Und man kriegt so eine Nummer ja nicht mehr eingefangen. Einmal in der Welt, immer in der Welt, ich hatte neulich sogar mit einem Menschen zu tun, der noch die Nummer hatte, die vor der schönen Nummer galt. Der einzige Weg, das zu lösen, wäre wohl: einmal im Jahr eine große Party zu geben und alle einzuladen, mit denen man je zu tun hatte, und dann eine kurze Durchsage zu machen: Achtung, die aktuelle Nummer lautet soundso. Oder man wirft Flugblätter aus dem Helikopter ab. Moderne Kommunikation hatte ich mir irgendwie einfacher vorgestellt.

Ich bin sicher, bald wird es keine Telefonnummern mehr geben. Ein paar Jahre noch, dann wird man einfachere Wege gefunden haben, um Menschen zu verbinden, als über zufällig zusammengewürftelte Codes. Schon heute braucht man jede Nummer im Grunde nur noch ein einziges Mal, um sie in den Speicher abzulegen wie eine zwölfstellige PIN-Nummer, die den Kontakt zu einer bestimmten Person entsperrt. Danach kann man sie vergessen. So gesehen sind Telefonnummern ja auch viel weniger ein Mittel, Kontakt zu ermöglichen, als sehr viele andere Kontaktaufnahmen zu erschweren. Ich bin sicher, da gibt es bald was besseres, einfacheres, praktischeres.

Unterdessen plane ich schon mein nächstes Abenteuer. Ich wechsle meinen Internet-Anbieter. Wird sicher lustig, ich freue mich schon.