Es war im vergangenen Jahrhundert, meine Freundin arbeitete in einer kleinen Apotheke. Es herrschte ein wunderbares Betriebsklima, der Chef war zum Knuddeln (ja, sowas gab's noch). Die angestellten Damen überlegten, was sie ihm zum Geburtstag schenken könnten. Mir waren ein paar Fotos von der Apotheke gelungen, die ungewöhnlich eingerichtet und dekoriert war. Um die Kolleginnen meiner Freundin zu überzeugen, fertigte ich ein großformatiges Fotoalbum an (mit 20x30 cm großen Fotos: Gegenlicht, Nachtbeleuchtung, all dieser Schnickschnack). Ich gab meiner Freundin das Album mit, um es im Kollegenkreis zu zeigen. Allerdings glaubte ich nur, dass es sich um das Album mit den Apotheken-Fotos handelte. Ich hatte nämlich seinerzeit mehrere großformatige Alben in Arbeit, äußerlich alle gleich. Und so schleppte sie ein vertauschtes Album mit: Aktfotos von ihr, die ich zu der Zeit (mit ihrem Wissen) gemacht hatte. Keine Pornos, aber immerhin Nacktfotos. Ich war am Abend, als sie von der Arbeit nach Hause kam, sehr neugierig: »Was haben Deine Kolleginnen denn zu dem Album gesagt?« – »Ooch, was haben sie gesagt? Du hast Dich aber gut gehalten…« Was der Chef zu seinem Geburtstag bekommen hat, wissen wir nicht mehr.
Harald F.
München, Leopoldstraße, Mitte der 60er Jahre – ich bringe abends in meinem VW ein nettes Mädchen nach Hause und halte deswegen im Halteverbot. Wir sitzen noch im Auto und unterhalten uns ein paar Minuten, unbemerkt kommt ein Polizist und schreibt mich auf. Als ich dessen gewahr wurde, steige ich aus und fange an, mit dem Polizisten zu diskutieren, wie ich das bei »Knöllchen« immer versuche. Inzwischen steigt meine Begleiterin aus, gibt dem Polizisten rasch die geforderten 5 DM und verabschiedet sich. Und ich stand da, peinlich berührt, beschämt und wortlos.
Heiko B.
Unser Weg zum Schwimmtraining führte in den 60er Jahren vorbei an üppigen Erdbeerfeldern, Kirsch-, Äpfel-, Birnen- und Mirabellenbäumen. Ohne jedes Unrechtbewusstsein pflückten wir, je nach Jahreszeit, die Früchte in unsere Matchbeutel, um uns nach dem Training zu stärken. Eines Tages erwischte uns eine Gartenbesitzerin, als wir hoch oben im Baum die Kirschen pflückten. Flucht war nicht möglich. Doch statt den Feldschütz zu rufen oder unsere Eltern über unsere Missetat zu informieren, machte sie uns das Angebot, ihr dafür am nächsten Tag bei der Ernte der Kirschbäume zu helfen, was wir dankbar versprachen. Tags darauf waren wir auch pünktlich zur Stelle. Die Frau stellte einige Körbe unter die Bäume, die sie nach ein paar Stunden, dann gefüllt, wieder abholen wollte. Als sie dann zurückkam, war sie ob unseres Fleißes sichtlich erfreut. Großmütig wollte sie uns ihre Dankbarkeit zeigen und jedem von uns ein paar Pfund Kirschen mitgeben. Als wir dazu jedoch unsere Matchbeutel öffneten und die Frau sah, dass diese schon randvoll mit Kirschen gefüllt waren, wäre ich vor Scham am liebsten im Erdboden versunken. Mir ist nicht mehr in Erinnerung wie die Frau auf die Situation reagierte, ich aber habe nie mehr im Leben auch nur das Geringste anderen weggenommen.
Christian P.
Ich war 18, eine unerfahrene Schauspielerin und sollte meine erste große Rolle spielen. Mein älterer Kollege, nennen wir ihn Thomas, der den jungen Liebhaber meiner Film-Mutter spielte, war schön und groß und hatte dunkle Locken. Laut Drehbuch sollte ich versuchen, ihn zu verführen um die Mutter zu ärgern. Am Abend vor dem ersten Drehtag trafen wir uns im Restaurant des Hotels in dem wir drehten und wohnten, um den Text durchzugehen. Und am Ende des des Dialogs sollte er mir ein Küsschen auf die Wange geben. Und das tat er! Beim Durchsprechen des Textes! Am Wirtshaustisch! Er ging dann bald auf sein Zimmer. Und ich? Ich war auf der Stelle verliebt! Ich schrieb ihm einen Zettel (»Ich habe mich in Dich verliebt«), schob ihn unter seiner Türe durch und ging nochmals ins Restaurant, wo der Regisseur inzwischen mit den anderen Kollegen zusammen saß und hörte ihn sagen: »Der Thomas? Der ist doch schwul! Der hat's doch erfunden!« Wie entsetzlich peinlich! Ich schlief schlecht. Am nächsten Morgen, beim Frühstück, nahm mich Thomas lieb, -brüderlich? väterlich? in den Arm und zwinkerte mir zu. Und die Szene, die wir geübt hatten wurde sehr schön. Trotzdem.
Sabine v. M.
Ich bin Diplom-Restauratorin für Steinobjekte. Noch während des Studiums habe ich als Ferienjob das Portal des Hauses eines recht wohlhabenden Chirurgen aus Hildesheim restauriert. Der Hausherr war sehr freundlich, hat ab und zu Getränke ausgegeben und sich mit uns unterhalten. In einer dieser Pausen sagte er »Vielleicht könnten Sie mich ja auch mal restaurieren!« Ich versuchte, schlagfertig auf diese Bemerkung zu reagieren, von der ich nicht sicher war, ob sie nur spaßig oder leicht anzüglich gemeint war und sagte: »Oh, das wird teuer!« Das sehr zögerliche, eher gequälte Lachen der anderen machte mit schlagartig meinen Fauxpas klar: Der Herr war von der Hüfte abwärts gelähmt und saß im Rollstuhl. Er hat allerdings noch am lautesten gelacht und es mir scheinbar nicht übel genommen.
Annika B.
Vor über 30 Jahren kam ich mit meiner Frau im VW-Campingbus während unserer Skandinavien-Rundfahrt kurz nach 16 Uhr zum Schloss Skokloster (bei Stockholm). Leider war die Besichtigungszeit vorüber und wir mussten bei nasskaltem Wetter dort übernachten und bis 11 Uhr auf die nächste Öffnung warten. Während wir bei sehr kaltem Wetter (mit dicker Jacke) frierend vor dem Einlass warteten, standen zugleich zwei junge Männer vor uns: in kurzärmligen Hemden, auf schwedisch sich unterhaltend! Einer davon hatte eine ungewöhnlich große Nase. Aus Frust über die lange Wartezeit und des kalten Wetters habe ich meinen Ärger verbal »über Schweden mit großer Nase« ausgelassen... Wir kauften Tickets mit deutscher Führung; unser Führer war dann: jener junge Mann mit großer Nase! Ich wollte im Boden versinken. Ich habe mich natürlich sofort entschuldigt, der junge Mann hat sich nichts anmerken lassen.
Carlo S.
Der Wagen war brandneu. Glänzend sauber, silber metallic und mit Abstand das neueste Auto, dass ich jemals hatte. Ich war stolz und ganz aufgeregt. Habe früh Schluss gemacht, mein Kind abgeholt, schön eingeparkt, gleich eine Straße neben meiner und dann das: Ich bekam den Schlüssel nicht raus. Ich bin erst mal ganz ruhig geblieben. Ok, wir machen das noch mal. Hä? Das Auto geht auch nicht mehr an! Was ist das denn? Elektrischer Totalausfall? Von meinen alten Schlurren kannte ich das – wenn auf einmal gar nichts mehr geht, ist das was elektrisches. Nur konnte ich ja jetzt schlecht dieses Auto mit steckendem Zündschlüssel so stehen lassen. Sogar die Fenster waren offen und gingen nicht zu. Das Kind wurde quengelig. Ok, was soll es, ADAC anrufen. Zwar war ich kein Mitglied, aber es war sonst einfach keine Rettung in Sicht. »Jaaaa, so zwei, drei Stunden kann das dauern, heute ist viel los«, sagte der Mann am Ende der Leitung, »und Sie stehen ja nicht an der Autobahn.« Oh no.
Inzwischen waren die netten Leute vom Restaurant neben der Bude auf uns aufmerksam geworden und haben das Kind mit Keksen und mich mit Cola versorgt. Ich mag überhaupt keine Cola, war aber so gerührt, dass ich nichts gesagt habe. Und dann haben wir gewartet. Viele Nachbarn kamen vorbei. Alle hatten sehr viel Mitleid. Ich hatte mittlerweile etwa 50 Leuten erklärt, was los war und konnte mein eigenes Gesabbel nicht mehr hören. Es war warm.
Schließlich ist der Mann vom ADAC gekommen. Es muss schön sein, so viel Freude auszulösen bei der Arbeit. Er hat sich meinen sehr flüssig vorgetragenen Satz über den Schlüssel angehört und sich mal reingesetzt. Als er den Schalthebel von D auf P schob, umspielte seinen Mund ein Lächeln, von dem ich glaube, dass es neben Müdigkeit (er hatte einen langen Tag), Resignation und Belustigung auch ein bisschen Bosheit enthielt. Das Problem war gelöst. Automatikwagen springen nur an, wenn der Schalthebel auf P steht. Damit er nicht gleich losfährt, wenn man ihn anmacht. Und damit man den auch immer auf P stellt, wenn man parkt, kann man den Schlüssel sonst gar nicht rausziehen. Zur Sicherheit. Bei denn meisten Leuten funktioniert das wohl. Ich schwöre, das hat mir keiner gesagt. Glaube ich jedenfalls. Immerhin musste ich nichts bezahlen. »Was waaaaaar es denn?« haben 62 Leute mich dann und in den nächsten Tagen gefragt. »Was elektrisches«, habe ich gesagt. Und vor dem Restaurant habe ich erst mal ganz lange nicht geparkt.
Annika B.
Japan. Tokio. Hotel Imperial. In diesem namhaften und damals größten Hotel der Stadt war ich zusammen mit einer Händlergruppe auf Einladung einer japanischen Fotoindustriefirma untergebracht. Ab Abreisetag wurden wir gebeten, unsere Koffer frühmorgens zur Abholung vor die Zimmertür zu stellen. Nur mit Unterhose und Unterhemd bekleidet, kam ich der Bitte nach – und stellte mit Entsetzen fest, dass die Tür hinter mir zuschlug. Ich war ausgesperrt. Vergeblich hoffte ich, dass ein vorbeikommender Gast einen Angestellten von meiner
misslichen Lage verständigen könnte. Aus einem angebrachten Wandtelefon war nur ein japanischer Wortschwall zu vernehmen (es diente nur den Zimmermädchen zur gegenseitigen Verständigung.) Die Zeit verging und mir blieb nichts anderes übrig, als barfuß und nur mit Unterwäsche bekleidet in die mit vielen Gästen besetzte Hotelhalle zu laufen, um einen Angestellten zu bitten, meine Zimmertür aufzusperren. All die mich sahen, meinten sie mit Sicherheit, ich hätte sie nicht mehr alle.
Hans-Joachim W.
Als junger Vikar in einem schwäbischen Städtchen, neu in der Gemeinde. Ich machte – wie es üblich ist – Besuche bei alten Gemeindegliedern, die einen runden Geburtstagen feiern. Gewöhnlich hat man einem Piccolo dabei und eine Karte mit mehr oder weniger guten und frommen Wünschen. Er klingelt. Aus dem Dachfenster schaut eine jüngere Frau heraus, wohl die Tochter. Ihr Blick macht mich nicht gerade sicherer. »Ja, bitte?« – »Ich möchte Ihre Mutter besuchen und ihr zum Geburtstag gratulieren.« – »Aber Herr Vikar, die haben Sie doch letzte Woche selbst beerdigt!« Das Fenster wird geschlossen. Ein Loch tut sich nicht auf, die Flasche Sekt verschwindet im Mantel. Wenig später, bei einem Besuch im Krankenhaus im Mehrbettzimmer, liegt neben der gesuchten kranken Dame die Tochter der Verstorbenen. Es wird nur ein kurzer eisiger Blickaustausch.
Alexander K.
Meine Schwester und ich waren in einem Sportgeschäft, um Hand-Protektoren zum Inline-Skaten anzuprobieren. Zu diesem Zeitpunkt war ich (anders als heute) überhaupt nicht von der Nützlichkeit einer solchen Schutzausrüstung überzeugt. Beim Anprobieren fand ich, dass die Protektoren die Hände in eine unmögliche Position zwingen. Ich sagte »Guck mal, wie die Schiene hier verläuft, wenn ich so hinfalle, breche ich mir doch erst recht das Handgelenk!« Zuvor hatte ich mich schon darüber aufgeregt, dass bei diesen Artikeln aus asiatischer Produktion sogar links und rechts falsch ausgezeichnet waren. »Die Chinesen haben es halt nicht so mit dem L und dem R, haha...« Nachdem wir noch eine Weile weitergemeckert hatten, konnte eine Verkäuferin es wohl nicht mehr mit ansehen. Sie kam zu uns und sagte: »Entschuldigen Sie, Sie haben die verkehrtherum angezogen – die gehören andersrum.”
Annika B.
Hannover vor einigen Jahren, in einem Biomarkt. Ich erblicke Gerhard Schröder, er war bereits Altkanzler, ich denke mir: Blöd, wenn ich nicht wenigstens mal grüße – schließlich weiß er ja, dass ich ihn kenne (ich schäme mich noch immer!). Nach kurzem Zögern nähere ich mich. »Ich wollte wenigstens mal guten Tag sagen!« Er reicht mir emotionslos die Hand, ich realisiere, wie sehr ich mich gerade blamiere, wünsche schnell einen schönen Tag und drehe ab. Ich bin mir sehr sicher, wie er über jetzt mich denkt; das will ich nicht auf mir sitzen lassen, finde den bedauernswerten Mann an einem anderen Regal, stürze ein zweites Mal auf ihn zu und entschuldige mich: Ich sei eigentlich gar nicht so, ich wisse nur nicht, wie ich mich verhalten solle, er könne ja davon ausgehen, dass man ihn kenne, und ich wisse nicht, wie… Hier unterbricht er mich fast ohne Regung und erwidert: »Ganz normal, gaanz normal« – leicht irre lachend stimme ich ihm zu: »Ja, klar – ganz normal, natürlich.« Gekauft habe ich dann nichts mehr. Meinen beiden besten Freundinnen habe ich diese Geschichte erzählt und mir versprechen lassen, dass sie mich festbinden, sollte er uns noch einmal über den Weg laufen. Dieses zweite Mal ist mir nämlich so peinlich, dass ich mich dafür wieder entschuldigen möchte. Ein Teufelskreis.
Barbara P.
Foto: una.knipsolina / photocase.de