Endlich den ganzen Thomas Mann lesen. Endlich die alten Klassenkameraden mit selbst gebastelten Grußkärtchen beglücken. Endlich ernsthaft für "Deutschland sucht den Superstar" üben. Oh, wie schön muss die Asexualität sein. Es muss einfach glücklich machen, nicht alle 45 Sekunden an Sex denken zu müssen, so wie wir Sexuellen (heißt das so?), speziell wir Männer, es tun. Gelassenheit, Zeit, Muße – das alles wäre plötzlich im Überfluss vorhanden. Und ununterbrochene Konzentration, weil sich eben nicht jede Minute ein Penis oder eine Vagina ins Bild schieben würde.
Wer sind diese sonderbaren Wesen, die uns mit ihrer scheinbaren Genügsamkeit so imponieren? Es gibt leider kaum eine Vertrauen erweckende wissenschaftliche Studie, die ihre genaue Zahl nennt. Von einem Prozent der erwachsenen Bevölkerung ist manchmal die Rede. Auf www.asexuality.org/de sind etwa 5000 Menschen jeden Alters registriert. Ekel beim Sex empfinden viele Asexuelle nicht, aber: "Ich denke mir dann nur, dass ich in dieser Zeit auch 1000 interessantere Dinge machen könnte“, sagt eine 37 Jahre alte kaufmännische Angestellte*. Manche Asexuelle befriedigen sich sogar selbst, weiß die Wissenschaft, doch lesen sie dabei eben lieber schwere Wälzer als leichte Blättchen. Immerhin, die Macher von Talkshows müssen eine dicke Kartei mit Namen haben. Schließlich tauchen Asexuelle immer wieder im Nachmittagsprogramm auf. Dort sehen die Erwählten aber nicht nur neben den Sexmonstern, die ihnen als Ankläger zur Seite gesetzt werden, überraschend mausgrau und verhärmt aus. Dass diese Leute keinen Sex haben, wundert keinen, aber dass sie ihn noch nicht einmal wollen… Irgendwie fehlt es den Gesichtern an zufriedenem, selbstgenügsamem Grinsen. Wahrscheinlich ist es so, dass das Unglücklichsein unter den Asexuellen nicht weniger verbreitet ist als unter den Sexuellen. Ein Nichtraucher ist schließlich nicht grundsätzlich glücklich, nur weil er an der frischen Luft ist, Leute ohne Klaustrophobie fangen in vollen Aufzügen auch nicht zu jubeln an und Philanthropen umarmen, Gott sei’s gedankt, nicht ständig hingerissen ihre Mitmenschen.
(*Anmerkung: Hier ein paar Dinge, die besser sind als Sex...
Nicht vom Urlaubsflirt schwanger sein – Keinen Sand im Po haben – Wissen, dass "Ich liebe dich" ernst gemeint ist – Kondome als Wasserbomben umfunktionieren und aus dem Fenster werfen - Den Nachbarn nicht im Swingerclub treffen – Früh schlafen gehen und sich am nächsten Morgen einmal richtig fit fühlen – Die Socken anlassen dürfen in einer kalten Winternacht – Nach der Weihnachtsfeier nicht verkatert im Bett des Vorgesetzten aufwachen – Beim Klassentreffen der Schönste sein und früh nach Hause gehen – Den Kinofilm tatsächlich mitbekommen – Stichwort käufliche Liebe: für 100 Euro bekommt man auch einen richtig tollen Blumenstrauß – Wenn der Zahnarzt kein Loch findet.)
Foto: ap