Die Republikaner haben keine Ahnung, wie sie Barack Obama im November besiegen sollen, doch sie haben einen Traum: Der handelt davon, dass Michelle Obamas Unbeliebtheit bei den Wählern auf den Kandidaten abfärben könnte. In einer Umfrage des Rasmussen-Meinungsforschungsinstituts vom Juni gab knapp die Hälfte der Befragten an, Michelle Obama nicht zu mögen. Akribisch wühlen republikanische Helfer nun in ihrer Vergangenheit, um Beweise für Frau Obamas verdorbenen Charakter aufzutreiben.
Michelle sagt: »Ich bin dank meines Mannes zum ersten Mal stolz auf unser Land.« Kurz darauf laufen im Fernsehen Werbefilme, die sie als Vaterlandsverräterin denunzieren. Es taucht ein Film aus dem Jahr 2004 auf, in dem Michelle ihren Mann als »my baby’s daddy« bezeichnet. Anlass für Fox News, Barack Obama tagelang als »Baby Daddy« zu bezeichnen – eine rassistische Anspielung auf schwarze Männer, die keine Verantwortung für ihre Kinder übernehmen.
An einem Vormittag im Mai läuft die Frau des Kandidaten mal wieder zu großer Form auf. Sie betritt einen Hörsaal der New York University und hält ihre eingeübte 45-Minuten-Ansprache, die sie in leicht geänderten Versionen oft dreimal täglich vorträgt. Wie immer beginnt sie mit ihrer Herkunft aus der schwarzen Arbeiterklasse: »Eigentlich sollte ich gar nicht hier sein.« Ein paar Minuten später dreht sie auf: »Amerika geht geradezu hinterhältig mit seinen Bürgern um … es wird von der Angst regiert, die unser übelster Feind ist. Immer mehr Leute kämpfen ums nackte Überleben, und wenn sie mit nichts als diesem Kampf beschäftigt sind, beginnen sie, sich einsam zu fühlen …« Laura Bush oder Nancy Reagan hätten sich eher die Zunge abgeschnitten, als so über ihr Heimatland herzuziehen. Michelle Obama dagegen scheint es Spaß zu bereiten, wenn sie polarisiert.
Ihr rutscht in Reden manchmal ein Witz heraus, den sie hinterher bereut; sie kritisiert den »American way of life« – so klug, schonungslos und lebenserfahren, wie man es zuvor noch nie von einer angehenden First Lady gehört hatte.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: »Das Land ist offenbar reif für einen schwarzen Präsidenten. Aber ist es auch reif für eine schwarze First Lady?«
Die New York Times-Kolumnistin Maureen Dowd schreibt: »Das Land ist offenbar reif für einen schwarzen Präsidenten. Aber ist es auch reif für eine schwarze First Lady? Die Republikaner haben mit dem Spiel ›Tötet die Hexe‹ begonnen.« Das Wall Street Journal fragt: »Ist Michelle Obama zur Jagd frei gegeben?« Und Barack Obama kündigt an: »Wenn die Republikaner glauben, Michelle zum Wahlkampfthema machen zu können, sollten sie sich das lieber ganz genau überlegen.«
Fast schon unheimlich, welches Talent Michelle Obama, 44, als Rednerin und Entertainerin offenbart. Mal klingt sie wie eine Missionarin, mal wie eine Professorin oder eine Stand-up-Komikerin. Ihre Auftritte sind eher Shows als Reden und sie gewinnen an Wucht, weil ihre äußere Erscheinung so beeindruckend ist.
Eine ehemalige Kommilitonin erinnert sich in einer TV-Show, dass bereits an der Universität von Princeton Mädchen eifersüchtig waren, weil Michelle die Aufmerksamkeit der Professoren und Jungs zuflog: gut 1,80 groß, mit der Aura eines Stars – als wären Gene von Grace Kelly und Jacqueline Kennedy, Eddie Murphy und Ella Fitzgerald neu angemischt worden. Selbst größere Männer wirken neben ihr klein.
Sie mag schwarze Rollkragenpullover und Perlen an Ohren und Hals (unechte, um nicht zu wohlhabend zu wirken). Ihren Körper stählt sie mit Trainingseinheiten, die das Magazin New Yorker als gladiatorenhaft bezeichnet.
Das Letzte, was sich Michelle Obama für ihr Leben erträumt hatte, war eine Karriere in der Politik: »Barack und ich führten lange Diskussionen, ob wir uns diesen Wahlkampf antun sollen.« In diesen Diskussionen überzeugte Barack seine Frau, dass sich das Opfer lohnen würde. Eine neue Politik, eine neue Mentalität – in einem Wort: Hoffnung – brauche das Land. Er verkörpere sie.
»Daran glaube ich ganz fest«, sagt Michelle. Ihrem Job als Vizepräsidentin für Öffentlichkeitsarbeit an den Krankenhäusern der University of Chicago geht sie nur noch einen Tag pro Woche nach. Ihren Töchtern Malia, 9, und Sasha, 6, hat sie allerdings versprochen, trotz des Wahlkampfs nie länger als eine Nacht von zu Hause fortzubleiben.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Leider muss seit Mai auch Michelle vom Secret Service bewacht werden, weil Morddrohungen eingehen.)
Nach nicht mal einem Jahr steckt Michelle Obama so tief im politischen Tagesgeschäft, dass sie sich fragt, ob dieser neue Beruf ihre Persönlichkeit verändern wird: »Ich kann kaum noch selber einkaufen, schlimm genug. Aber werde ich jetzt auch Dinge sagen, an die ich nicht glaube, nur weil sie ins Konzept passen?«
David Axelrod, der geniale Vordenker von Barack Obamas Kampagne, teilt diese Befürchtung nicht: »Michelles Ehrlichkeit hält uns manchmal in Atem. Sie ist durch und durch aufrichtig. Sie wählt ihre Worte, ohne vorher eine Antenne für politische Korrektheit auszufahren.« Also stellen Axelrods Leute in diesen Wochen ein Berater-Team zusammen, das im Herbst ausschließlich Michelle Obama begleiten wird.
Derart professionelles Ehefrauen-Management gab es noch nie im amerikanischen Wahlkampf. Axelrod glaubt, dieser Aufwand sei es wert. Leider muss seit Mai auch Michelle vom Secret Service bewacht werden, weil Morddrohungen eingehen.
Als Michelle LaVaughn Robinson den zwei Jahre älteren Barack Hussein Obama 1990 in der Chicagoer Kanzlei Sidley Austin traf, war sie seine Vorgesetzte. Kollegen hatten gewarnt, dass der neue Aushilfsanwalt süß sei, doch auf keinen Fall wollte sie etwas mit einem Untergebenen anfangen. Schließlich schaffte er es doch, sie zum Kinobesuch zu überreden, schreibt Barack Obama in seinen Memoiren Ein amerikanischer Traum.
Der Film war Spike Lees Rassendrama Do The Right Thing, und Barrack tat das Richtige: Er legte Michelle die Hand aufs Knie. Denn: »Sie gab mir ein Gefühl, das ich nicht gekannt hatte. Seit ihrer Kindheit lebte sie in dem Viertel, in dem ich Sozialarbeiter war. Michelle gab mir das Gefühl von Heimat.«
Den Abend im Jahr 1992, an dem Barack ihr den Antrag machte, beschreibt sie so: »Er verwickelt mich in eine Diskussion; blablabla, der Nachtisch kommt, die Rechnung, und huch!, da ist plötzlich der Ring.« Die beiden zogen in eine kleine Wohnung und machten Karriere. Er als Jura-Professor und Anwalt für Menschenrechte, sie als Junior-Partner bei der Anwaltskanzlei Sidley Austin, wo sie, frustriert von der amerikanischen Unternehmenskultur, kündigte.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Michelle blieb in Chicago, machte den Haushalt – die Obamas hatten nicht genug Geld, um sich eine Haushaltshilfe zu leisten – und war Hauptverdienerin.)
Chicagos Bürgermeister Richard Daley heuerte sie als Assistentin an, dann wurde sie Vizepräsidentin für Öffentlichkeitsarbeit. Die Ehe kriselte nach Malias Geburt 1998. Barack Obama hatte ein Jahr zuvor den Sitz als Senator im Kongress von Illinois gewonnen, war 350 Tage im Jahr in Springfield. Michelle blieb in Chicago, machte den Haushalt – die Obamas hatten nicht genug Geld, um sich eine Haushaltshilfe zu leisten – und war Hauptverdienerin.
Erst als sie mit Scheidung drohte, verstand ihr Mann, dass er sich ändern muss. »Das wichtigste Thema in unserer Ehe«, erklärt Michelle Obama, »ist die Frage, wie wir Beruf und Familie vereinbaren. Barack muss einmal pro Woche in Chicago sein. Sonst gibt es Ärger.« Zumindest die finanzielle Lage hat sich inzwischen gebessert: Dank der Tantiemen für die Bestseller Ein amerikanischer Traum und Hoffnung wagen kamen sie im Jahr 2007 auf ein Einkommen von gut vier Millionen Dollar.
In ihrer Rede an der New Yorker Universität spricht Michelle Obama auch darüber, wie privilegiert sie ist: »Wenn unsere Familie schon manchmal Probleme mit dem Geld hat, wie geht es dann erst denen, die nicht mal ihre Rechnungen bezahlen können?« Obama hebt an zu einer Tirade über ungesundes Essen, das viele Amerikaner krank macht, die schlechten Schulen, die Volkskrankheit Fernsehen, und wie all diese Probleme Amerika immer näher an den Rand des Zusammenbruchs bringen.
Sie streut Gags ein, macht sich über sich selbst und die Versäumnisse ihres Mannes im Haushalt lustig. Sie sagt: »Bill Clinton würde ich gern die Augen auskratzen.« Und fügt mit einem Kichern hinzu: »Das sind die Sätze, die mir Ärger einbringen.« Der Betrachter denkt: Was muss das für ein Vergnügen werden, wenn diese Frau tatsächlich First Lady werden sollte?
Doch zunächst muss Barack Obama die Wahl gewinnen. Kein Problem, könnte man glauben, wenn auf der anderen Seite John McCain, 71, und seine 54-jährige Frau Cindy antreten, die ehemalige Rodeoqueen, Cheerleaderin, Tablettenabhängige, die ihren Reichtum einem Brauereiimperium verdankt. Doch Vorsicht: Er ist ein Kriegsheld und will die Steuern senken, sie hat zwei Söhne in der Armee – einer hat im Irak gekämpft – und sie ist blond: Damit haben die beiden schon fast die Hälfte der Stimmen sicher.
In jüngsten Umfragen liegt Barack Obama zwar mit 46 zu 43 Prozent vor McCain. Doch Cindy führt laut Rasmussen-Meinungsforschungsinstitut mit 48 zu 40 gegenüber Michelle. Was kann Michelle Obama tun, um vergrämte Clinton-Wählerinnen und verunsicherte Patrioten für ihren Mann zu gewinnen? Sie muss einfach nur ihren Lebenslauf nacherzählen, der wirkt wie für ein amerikanisches Geschichtsbuch ausgedacht. Wie der wahr gewordene Wunschtraum der feministischen Bewegung.
(Lesen Sie auf der nächsten Seite: Ihre Abschlussarbeit: eine Analyse der Karrieren von schwarzen Absolventen der Elite-Unis. Die Arbeit liegt seit 1985 auf Wunsch der damals 21-Jährigen unter Verschluss.)
Entsprechende Spots fürs Fernsehen hat David Axelrod bereits in Auftrag gegeben. In den Filmen wird Michelle Obama berichten, wie sie in den Siebzigerjahren in Chicagos Armenviertel South Shore aufwuchs. Die Familie war nicht mittellos, Vater Lastwagenfahrer bei den Wasserwerken, Mutter Sekretärin. Doch um etwas aus ihrem Leben zu machen, das verstand Michelle früh, musste sie diszipliniert leben und härter arbeiten als die weißen Kinder.
Die zweite Klasse übersprang sie, schloss das College mit Bestnoten ab und wurde in Princeton, der konservativsten Ivy-League-Universität, zum Soziologiestudium zugelassen. Ihre Abschlussarbeit: eine Analyse der Karrieren von schwarzen Absolventen der Elite-Unis. Die Arbeit liegt seit 1985 auf Wunsch der damals 21-Jährigen unter Verschluss, eine gängige Praxis in den USA.
Das ärgert die Republikaner, die hoffen, in der Arbeit provokante Thesen zur Rassenfrage zu finden. Vergeblich, wie Obama beteuert. »Da steht nichts Aufregendes drin, außer deprimierenden Erkenntnissen darüber, wie gleichgültig erfolgreiche Schwarze den Nöten der schwarzen Gemeinschaft gegenüberstehen«, sagt sie.
Von Princeton wechselte Obama nach Harvard, um Jura zu studieren, und war bereits kurz nach ihrem Abschluss 1989 auf dem bestem Wege, eine erfolgreiche Anwältin zu werden – dann traf sie ihren Mann. Bis zum 4. November, wenn dieses Paar Geschichte schreiben soll, sind es noch vier Monate, in denen gefühlte vier Millionen republikanische Spots voller Hass und Häme im Fernsehen laufen werden: Sie werden Michelle Obamas Patriotismus anzweifeln oder ihrem Mann Affären andichten.
Doch worum wird es in diesem Wahlkampf wirklich gehen? Der politische Analytiker Frank Rich schrieb, dass die Art und Weise, wie Obama die Vorwahlen gewann, einen neuen Zeitgeist zum Vorschein brachte. Es gehe in diesem historischen Wahljahr nicht um Schwarz oder Weiß, um Frau oder Mann, um Irakkrieg, Steuersenkungen, Erderwärmung. Vielmehr würde im November darüber abgestimmt werden, ob Amerika den Sprung ins neue Jahrtausend schafft.
Die Clintons, Bushs, McCains stehen für ein gescheitertes politisches System. Hoffnung auf einen Neubeginn repräsentiert keine andere Frau so perfekt wie Michelle Obama. Sie ist acht Jahre jünger als Johnny Rotten, 17 Jahre jünger als Iggy Pop, und vermutlich wird ihr gar nicht bewusst, wie sehr sie manchmal wie ein Punk klingt.
Über den Beruf ihres Mannes sagte sie in einem Fernsehinterview: »Politik ist reine Zeitverschwendung, sie ist das Geschäft der bequemen Unwahrheiten.« Mal sehen, ob Michelle Obama die Amerikaner auch nach dem Einzug ins Weiße Haus noch mit Systemkritik unterhalten wird.
Fotos: AP, AFP