Am Ende eines Heftes über unsere Sprache möchte ich die Aufmerksamkeit auf das einzelne deutsche Wort und seinen Weg durch die Welt richten, denn es ist ja nicht die Sprache an sich, die uns Freude macht, sondern es ist das Einzelwort. Der Finne schwelgt in Vokalen, er nennt die Zündanlage sytytysjärjestelmä. Der Tscheche häuft Konsonanten aufeinander und kann sich nicht genug am bündigen Strc prst skrz krk freuen, was bei uns umständlich »Steck den Finger in den Hals« heißt. Der Deutsche aber liebt das singuläre Wort, reiht Silbe an Silbe. Welche Freude empfindet er an Begriffen wie Leerlaufregulierschraube oder Holzgliedergelenkmaßstab, wo der Engländer foot rule sagt (oder wir Zollstock sagen könnten, wenn uns einfache Lösungen interessieren würden).
Leserin G. aus Mainz schrieb dem Wortstoffhof, sie habe in Abschnitt 23 der Körperschaftssteuerrichtlinien von 2004 das Wort Pfropfrebengenossenschaft entdeckt, eine Vereinigung von Winzern, die mit Pfropfreben arbeiten und deren Produkte übrigens die Aussprache eines Wortes wie Pfropfrebengenossenschaftsschatzmeistersgattin bei der Begrüßungsansprache am Pfropfrebengenossenschaftsversammlungsabend auch nicht einfacher machen: »Liebe Pfreunde, die Pfreude an der Pfropfrebe hat uns zu dieser Pfersammlung zusammengepführt ...« Sollte man nicht den Alkoholtest bei Autofahrern ersetzen, indem man Verdächtige Pfropfrebenpfersammlungspforsitzender sagen lässt? Wir sehen, dass die Freude des Deutschen an der Wortbildung etwas von der eines Kindes hat, das Bauklötze türmt, bis es nicht mehr geht und der Klötzchenturm umfällt. Das ist bekannt, das liest man in einschlägigen Sprachbüchern.
Was sich nicht herumgesprochen hat: wie viel Spaß die Leute an Privatwörtern haben, die nur sie und vielleicht die Familienangehörigen kennen.
Leserin W. aus Berlin schrieb mir, sie habe als Kind Stotterquark statt Klapperstorch gesagt – seltsam, weil Stotterquark schwieriger auszusprechen scheint als Klapperstorch. Frau B. teilte mit, sie habe als Kind das Buch Die Langerudkinder von Marie Hamsun gelesen. Darin spielen sechs Kinder in Norwegen miteinander. Sie tun, als wären sie Mann und Frau, und da es vier Mädchen und zwei Jungen sind, müssen sie sich einigen, wer Ehefrau und wer Ehemann sein soll. Die eine Gruppe wechselt sich ab, die andere entscheidet, der Mann habe zwei Frauen. An dieser Stelle steht im Buch: »... und dieses Mormonentum ging großartig.« Jahrelang habe sie als Kind Mormonentum gelesen, sei nie darüber gestolpert. Erst als sie das Buch wieder als Erwachsene las, habe sie erkannt, dass das Mormonentum großartig ging. Aber noch heute seien für sie unerklärliche Dinge, die einfach so gehen, ein Mormonentum.
Was noch viel weniger bekannt ist als der Privatwortspaß: auf wie wunderbare Weise im Ausland deutsche Wörter geschaffen werden. Es gibt überall Begriffe, die auch Deutsche mit reichsthaltigem Wortschatz nie kennenlernen werden. Leserin B. entdeckte zum Beispiel im Gellertbad in Budapest unter der Rubrik Dientienscleistungen das Angebot einer Fleischdusche. Was mag das sein? Wird das Fleisch des deutschen Besuchers geduscht? Oder kann der
Ungar sich mit Fleisch duschen lassen, mit rohen Steaks oder Hackepeter?
Es ist Deutsch, aber es bleibt ein Rätsel.
Herr K. aus Schramberg entdeckte in Serbien an der Fernstraße von Niš Richtung Bulgarien ein Schild mit der Aufschrift WIR IST FIERZI IMERDA SERVICE ADAC. Fierzi? Zweifellos soll es »Für Sie« bedeuten, aber ist das noch deutsch? Oder schon serbisch?
Vor einer Weile berichtete ich über den Brief von Frau L. aus München, die schrieb, in Kroatien bekomme man die Süddeutsche Zeitung an Kiosken nur, wenn man Studenza Zeitung verlange. Darauf schickte Leser V. ein Foto, das er am Flughafen von Hongkong gemacht hatte: Man sah die SZ am Kiosk vorrätig in einem Ständer, auf dem Suddentasche Zeitung stand.
Dies als Service für viel reisende Leser. Bin fierzi imerda.
Illustration: Dirk Schmidt