Das Beste aus aller Welt

Unser Autor will wissen, wie es um unsere wirtschaftliche Zukunft steht - und entdeckt dabei die Verbindung von Ketchupflaschen mit Inflationsraten.

Zu den lustigsten Personen der Welt gehören die Wirtschaftsexperten. Wenn ich mir einmal eine wirklich heitere Viertelstunde bereiten will, lese ich nach, was sie vor zwei oder drei Jahren über die wirtschaftliche Entwicklung in den kommenden zwei oder drei Jahren gesagt haben. Also über den jetzigen Zustand.

Zum Beispiel prophezeiten vor zwei oder drei Jahren allerhand Chefvolkswirte, Zentralbankdirektoriumsmitglieder und Wirtschaftsprofessoren eine Inflationsrate von vier bis fünf Prozent. Gerade las ich: Aktuell liegt der Preisanstieg gegenüber dem Vorjahr bei 0,8 Prozent. Benzin ist sogar um sechs Prozent billiger geworden, Paprika sind ein echtes Schnäppchen (minus 18,1 Prozent), und Kartoffeln werden einem mehr oder weniger nachgeworfen, ihr Preis ist um 32 Prozent gefallen. Der Tag ist nah, an dem man im Supermarkt eine Paprika geschenkt bekommt, wenn man einige Kartoffeln mitnimmt.

Was aber wird nun aus den Chefvolkswirten, Zentralbankdirektoriumsmitgliedern und Wirtschaftsprofessoren? Stellen sie ihre Ämter zur Verfügung? Geben sie ihre Diplome zurück? Bewahre! Sie erklären nun, warum alles kommen musste, wie es gekommen ist. Und warum man das im Prinzip schon vor zwei oder drei Jahren hätte wissen können, wenn man es halt nur gewusst hätte. Und dass die Wirtschaft ein sehr komplizierter Organismus mit extrem vielen, also, ähm, Ding, Variablen ist.

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Jetzt aber Folgendes: Jeder von uns weiß natürlich, dass die Behauptung, die Preise seien nur um 0,8 Prozent gestiegen und es gebe keine Inflation, kompletter Unsinn ist. Ich könnte zum Beispiel ein Schreiben meines Vermieters vorlegen, aus dem hervorgeht, dass der monatliche Preis meiner Wohnung Jahr für Jahr um etliche Prozente nach oben geht. Auf dem Oktoberfest wird die Maß Bier heuer zum ersten Mal in der Geschichte mehr als zehn Euro kosten. Und an meinem Urlaubsort musste ich für den Cappuccino nun schon 2,95 Euro hinlegen. Wenn meine Großmutter (die noch Inflationen erlebt hatte, während derer man das Geld in Waschkörben zum Bäcker trug) wüsste, dass ich für eine Tasse Kaffee fast sechs Mark gezahlt habe, würde sie mir vermutlich noch aus dem Grab heraus nachträglich etwas zustecken, wie sie das immer tat, auch als ich längst selbst Geld verdiente.

Ich fasse zusammen: Die Wirtschaftsexperten haben eine Inflation prophezeit, die es nicht gibt. Sie können sehr gut begründen, warum es diese Inflation gar nicht hat geben können, obwohl sie mit ebenso exzellenten Gründen vorhergesagt wurde. Und während sie genau dies tun, gibt es diese Inflation in Wahrheit doch.

Was die kommenden zwei oder drei Jahre angeht, so hört man von namhaften Wirtschaftsexperten, es sei mit starkem Anstieg der Inflationsraten zu rechnen - und zwar werde es sich um eine sogenannte Ketchup-Inflation handeln, ja, wir seien sogar schon mittendrin in dieser Inflations-Art. Mit der Ketchup-Inflation ist nicht der Preisanstieg bei Ketchup gemeint, der in den vergangenen zehn Jahren mehr als zwölf Prozent betrug. Der Begriff bedeutet vielmehr, es sei mit der Inflation wie mit einer Ketchup-Flasche: Dreht man die um, kommt erst mal ein Weile kein Ketchup, dann macht es Pflumpsch, und es kommt sehr viel. Das heißt, im Moment steht die Inflationspulle zwar schon auf dem Kopf, die Inflation selbst ist aber noch nicht draußen. Schon bald jedoch werden wir es mit einem wahren Schwall von Preisanstiegen zu tun haben. So hat jede Zeit ihre Methode, die Zukunft vorherzusagen. Im Alten Orient machte man Prophezeiungen auf der Basis des Eingeweide-Studiums bei Opfertieren. In Delphi orakelten die Priesterinnen unter dem Einfluss berauschender Dämpfe. Keltische Druiden konnten kommende Ereignisse am Flug der Vögel erkennen. Unsere Wirtschaftsexperten studieren auf dem Kopf stehende Ketchupflaschen.

Illustration: Dirk Schmidt