Lehrstunde für einen Hetzer

Ein Freund, den man ganz anders in ­Erinnerung hatte, schimpft auf einmal gegen Flüchtlinge und verbreitet Verschwörungstheorien. Was tun?

Illustration: Dirk Schmidt

Ein Leser schreibt, er habe die Rundmail eines alten Freundes bekommen, in der dieser dem Freundeskreis mitteile: Er, der alte Freund, sei vielleicht als Linker in Erinnerung, aktiv in Friedensbewegung und DKP. Doch habe sich bei ihm etwas verändert. Unser Volk befinde sich im Kampf auf Leben und Tod. Lange werde es nicht dauern, dann sei unser Land muslimisch-afrikanisch dominiert, sogar regiert. Die linksgrünen Mainstream­medien berichteten darüber nicht, er aber habe (»bei Youtube«) recherchiert und wolle nun regelmäßig entsprechende Hinweise verschicken. Wer dies nicht möchte, teile es bitte mit. Er werde dann aus dem Verteiler gestrichen.

Von dem Tilgungs-Angebot machten einige Gebrauch, ihrer Verwunderung, Irritation, Empörung Ausdruck gebend.

Was ist richtig? Wie geht man mit so etwas um?

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Die Ablehnung kann ich verstehen, natürlich. Der Inhalt der Mail ist teils abstoßend, wenn vom »Schuldkomplex« und den »gehirngewaschenen« Deutschen die Rede ist, teils unwahr (die Rede von den »Lügen­medien«), teils zeugt er von tief sitzenden Ängsten (»Verlust von Kultur und Herrschaft in diesem Land«). Ob aber der Mann anderes erwartet hat als Zurückweisung? In seinem Weltbild ist, wer an seinen Erkenntnissen nicht teilhaben möchte, vermutlich Opfer des herrschenden politisch-publizistischen Komplexes.

Ich verstehe, wenn jemand nicht solches Zeug im Postfach vorfinden möchte. Tatsächlich ist es wichtiger, sich den eigenen positiven Ambitionen im Leben zuzuwenden. Ich bin der Meinung, dass wir weniger Zeit mit den Provokationen sogenannter Rechtspopulisten (in Wahrheit leider oft Rechtsradikalen) verbringen sollten als mit dem, was wir selbst für richtig halten.

Der Bonner Wirtschaftsprofessor Moritz Schularick hat in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung gesagt: »Wenn die Schulen in Ordnung sind, genug Polizei da und Züge pünktlich fahren, können Populisten die Lage nicht schlechtreden.« Nur: Die Schulen seien nicht in Ordnung, es sei nicht genug Polizei da, die Zügen seien unpünktlich – und das in einer Zeit des Booms! Also sollte die politische Lehre dieser Zeit sein: Der demokratische Staat muss funk­tionieren, er muss in seiner Arbeit für den Bürger gestärkt werden. Er ist nicht, wie der Neoliberalismus so lange gepredigt habe, das Übel, sondern die Rettung. Schularick: »Der beste Weg ist, den Staat zum Hort der Identifikation zu machen.«

So sehe ich die Sache auch.

Bloß ist da noch der »alte Freund« mit seiner Mail.

Was spricht eigentlich dagegen, ihn nicht allein zu lassen mit seinen »Recherchen« bei Youtube, wo es wenig zu recherchieren gibt, weil dort nicht ihrem Berufsethos verpflichtete Journalisten arbeiten, sondern meistens Propaganda-Experten? Was wäre, wenn unser Mann im Austausch für Gauland-Reden und Videospots, die er verschickt, täglich einen erhellenden Artikel aus der Presse zugesandt bekäme? Was geschähe, wenn man herauszufinden versuchte, wovor sich der Mensch in Wahrheit so fürchtet? Was in seinem Leben passiert ist? Oder wenn wir unsere eigenen Argumente einem Härtetest unter-zögen? Wenn wir unsere Haltung für so überzeugend hielten, dass wir sie nicht nur bei (sehr wichtigen!) Demonstrationen zeigten, sondern auch in täglicher Kleinarbeit, face to face, Wort für Wort, Mail für Mail an den Mann brächten? Wenn wir also dort, wo jemand im Alltag die Grundwerte unseres Zusammenlebens derart in Frage stellt, nicht die Klappe halten, uns genervt oder ange­widert abwenden, den Kontakt abbrechen, unsere Ruhe suchen, sondern vernünftig unsere Sicht darlegen?

Würden wir daraus nicht etwas lernen können, über die Menschen, die Gesellschaft, die Politik? Über uns selbst? Würden wir nicht vielleicht etwas bewirken?

Der Leser schreibt, er habe sich zum persönlichen Gespräch mit dem Mann verabredet. Auch andere im Freundeskreis wollten das tun.