»Mit meiner linksgerichteten Einstellung kann ich nicht mit jemandem befreundet sein, der AfD-Gedankengut in sich trägt und verbreitet. Meinen Freunden geht es genauso. Nun hat eine Freundin aus dieser Gruppe eine Affäre mit einem solchen Menschen. Müssen wir ihn in unser Leben – Partys, Urlaube – integrieren?« A. S., München
Auch um eine Spaltung der Gesellschaft zu vermeiden, ist es wichtig, zwischen Menschen und Meinungen zu unterscheiden. Man kann Meinungen ablehnen, das bedeutet aber noch nicht, dass man den anderen, der diese Meinungen vertritt, als Mensch ablehnt. Das wird am äußersten Rand des politischen Spektrums schwierig, wenn die oder der Betreffende Positionen vertritt, die man nicht mehr tolerieren kann. Etwa wenn er oder sie bestimmte Menschengruppen pauschal abwertet, mit verächtlichen Begriffen oder Tiervergleichen bezeichnet, sich über deren Unglück oder Gewalt gegen Menschen freut. Oder Grundprinzipien und den moralischen Grundkonsens unseres Zusammenlebens in Frage stellt. Zum Wesen der Toleranz gehört auch, dass sie Grenzen hat.
Es ist auch schwierig, jeden Kneipenbesuch als gesellschaftliche Aufgabe der politischen Versöhnung anzusehen und Gegensätze zu erörtern. Oder umgekehrt bei jedem Abendessen oder gar einen Urlaub lang peinlich genau darauf zu achten, dass keine Streitthemen aufkommen. Irgendwann hat man alles über das Wetter gesagt, und es steht der sprichwörtliche »elephant in the room«, ein Problem, das niemand ansprechen will, obwohl es so groß ist, dass es den gesamten Raum ausfüllt. Unbeschwerte Freizeit sieht anders aus. Insofern kann ich Ihr Zögern verstehen.
Dennoch sollte man an dem Grundsatz festhalten, einen Menschen nicht wegen seiner politischen Ansichten kategorisch abzulehnen, sondern im Gespräch zu bleiben. Nur wenn dies nicht gelingt und sich zeigt, dass kein gedeihliches Miteinander möglich ist, kann und muss man irgendwann Konsequenzen ziehen. Man sollte sich jedoch darüber im Klaren sein, dass das zwar Haltung zeigen und vielleicht konkreten Streit verhindern mag, aber nicht unbedingt dazu beiträgt, Gegensätze innerhalb einer Gesellschaft abzubauen.
Literatur:
Weil das Phänomen in den USA wesentlich stärker und auch schon viel länger ausgeprägt ist, gibt es dazu wesentlich mehr Literatur, Diskussion und auch wissenschaftliche Untersuchungen.
Sehr empfehlenswert ist das Buch:
Arlie Russell Hochschild, Strangers In Their Own Land: Anger and Mourning on the American Right, The New Press, New York 2016
Mittlerweile auch auf Deutsch erschienen:
Arlie Russell Hochschild, Fremd in ihrem Land: Eine Reise ins Herz der amerikanischen Rechten, Campus Verlag, Frankfurt am Main 2017
Daneben:
Katherine J. Cramer, The Politics of Resentment. Rural Consciousness in Wisconsin and the Rise of Scott Walker, University of Chicago Press, Chicago/London 2016
Cameron Brick, Sander van der Linden
How Identity, Not Issues, Explains the Partisan Divide
Scientific American, June 19, 2018
Shanto Iyengar, Gaurav Sood, Yphtach Lelkes
Affect, Not Ideology - A Social Identity Perspective on Polarization
Public Opinion Quarterly 76 (2012), pp. 405 – 431
Aaron Blake
Nearly half of liberals don’t even like to be around Trump supporters
The Washington Post 20. Juli 2017
Mark J. Brandt, Christine Reyna, John R. Chambers, Jarret T. Crawford, Geoffrey Wetherell, Mark J. Brandt, Christine Reyna, John R. Chambers, Jarret T. Crawford, Geoffrey Wetherell
The Ideological-Conflict Hypothesis - Intolerance Among Both Liberals and Conservatives
Current Directions in Psychological Science Vol 23 (2014), Issue 1 pp. 27 – 34
German Lopez
Research says there are ways to reduce racial bias. Calling people racist isn’t one of them.
Vox July 30, 2018
Lesenswert in diesem Zusammenhang:
Leo / Steinbeis / Zorn, mit rechten reden, Klett-Cotta, Stuttgart 2017
Die Autoren betonen in diesem wirklich lesenswerten Buch, dass es sich bei ihrem Buch nicht um einen Ratgeber handelt, wie man mit Rechten redet, dennoch geben Sie eine Liste von „25 goldenen Regeln“ an, die gleich beginnt mit: „1. Unterscheide Person und Rede“. Und auch einige andere „Regeln“ auf der Liste entsprechen der hier vertretenen Auffassung. Dennoch geht es um etwas anderes, weil es den Autoren in ihrem Buch um die Analyse der sprachlichen politischen Auseinandersetzung geht und weniger wie hier um den privaten Umgang.
Zur Frage, ob man eine rechtsextremistische Einstellung innerhalb einer Beziehung ausblenden kann, siehe diese Gewissenfrage mit ebenfalls umfangreicher Literatur.