Haltung zeigen!

Kann man andere dafür kritisieren, dass sie »behindert« als Synonym für »dumm« verwenden, ohne als politisch überkorrekte Spaßbremse dazustehen? Unser Moral-Kolumnist hat eine klare Antwort. 

Illustration: Serge Bloch

»Im Studium lerne ich ständig neue Menschen kennen. Für viele von ihnen scheint der Gebrauch des Wortes behindert im Sinne von doof normal zu sein. Ich finde, das geht gar nicht, und möchte es nicht unkommentiert stehen lassen, mir aber auch nicht den Ruf der politisch korrekten Spaßbremse einhandeln. Was soll ich tun?« Defne A., Berlin

Sprache ist nicht nur Ausdruck dessen, was und wie wir denken. Sprache macht auch etwas mit uns. Der Romanist Victor Klemperer beschrieb das in seinem Buch LTI – Notizbuch eines Philologen für die »Lingua Tertii Imperii«, die Sprache des Dritten Reichs, die seiner Meinung nach das Denken wesentlich stärker beeinflusst hat, als offene Propaganda es tat: »Aber Sprache dichtet und denkt nicht nur für mich, sie lenkt auch mein Gefühl, sie steuert mein ganzes seelisches Wesen, je selbstverständlicher, je unbewusster ich mich ihr überlasse.« Ich halte für ausgeschlossen, dass man sich einer verächtlichen Sprache bedient, ohne auch entsprechend verächtlich zu denken.

Über korrekte Sprache wird derzeit viel gestritten, vor allem wegen der damit verbundenen gesellschaftlichen und politischen Fragen. Wie etwa über eine geschlechtergerechte Sprache, das sogenannte Gendern – für viele ein Reizwort. Deshalb bin ich Ihnen dankbar für Ihre Frage, denn an ihr kann man, wie es ja Prinzip dieser Kolumne ist, ein allgemeines Problem »im Kleinen« oder, wie hier, an einem nicht politisch aufgeladenen Fall betrachten. Und hier, bei »behindert« in der Bedeutung »doof«, kann man sehr gut sehen, wie Sprache allein schon durch die Art, wie man ein Wort verwendet, Assoziationen auslösen oder verstärken und damit Menschen ausgrenzen und pauschal herabwürdigen kann.

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Was tun? Auch wenn es vielleicht schwerfällt: Man kann das nicht unkommentiert stehen lassen. Es geht hier um Haltung. Auf Ihrer Seite und der Seite der anderen. Oft ist denjenigen, die so sprechen, gar nicht bewusst, was das beinhaltet. Deshalb kann es gerade gut sein, es anzusprechen. Und wenn man Ihnen das übel nimmt, sollten Sie sich ohnehin die Frage stellen, ob Sie sich in dieser Gesellschaft wohlfühlen. Nicht so sehr wegen der Sprache, sondern wegen der darin zum Ausdruck kommenden Haltung.

Literatur:
 
 
Anatol Stefanowitsch, Eine Frage der Moral. Warum wir politisch korrekte Sprache brauchen, Dudenverlag, Berlin 2018
 
Victor Klemperer, LTI. Notizbuch eines Philologen, Reclam Verlag, Stuttgart, 23. Auflage 2007.
Das Zitat findet sich auf S. 26
 
Steven Pinker, Der Stoff, aus dem das Denken ist. Was die Sprache über unsere Natur verrät, S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2014
 
Frauke A. Kurbacher, Philipp Wüschner (Hrsg.), Was ist Haltung? Begriffsbestimmung, Positionen, Anschlüsse, Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2017