Muss ich als Vegetarierin für Fleisch werben?

Die Shirts der Volleyballmannschaft werden seit neuestem von einer Metzgerei gesponsert. Darf man sich weigern, sie überzuziehen, wenn man kein Fleisch isst?

Illustration: Serge Bloch

»Aus ökologischen und ethischen Gründen esse ich kein Fleisch. Jetzt hat ein Teammitglied meiner Amateur­volleyballmannschaft eine Metzgerei als Sponsor für Einspielshirts, die wir vor dem Spiel tragen, akquiriert. Darf ich als Vegetarierin Werbung für eine Metzgerei machen? Ist hier der Teamgedanke wichtiger als meine individuelle Überzeugung?« Saskia D., München

So komisch das klingen mag: Das können nur Sie entscheiden. Damit will ich mich nicht aus der Affäre ziehen, aber das hängt sehr von Ihrer persönlichen Haltung und Überzeugung ab. Wie so oft im Leben geht es um eine Abwägung von Werten, hier steht der Teamgedanke Ihren Überzeugungen bei der Ernährung gegenüber. Und beim Abwägen muss man wissen, welches Gewicht die Werte haben. Nachdem es darum geht, ob Sie mit sich vereinbaren können, Werbung für eine Metzgerei zu machen, müssen Sie sich darüber klar werden, welchen Stellenwert es für Sie hat, kein Fleisch zu essen.

Abgesehen davon lässt sich die Haltung zum Fleischkonsum in ihrer Art zumindest grob mit der Frage vergleichen, ob man für oder gegen Atomkraft ist, oder mit der politischen Einstellung. Auch das sind gesellschaftlich und individuell unterschiedlich beurteilte Fragen. Es käme jedoch vermutlich niemand auf die Idee, T-Shirts mit der Werbung für eine politische Partei, den Betreiber von Atomkraftwerken oder umgekehrt mit dem Motiv »Atomkraft – Nein Danke« ohne einstimmigen Beschluss zu beschaffen. Wobei die Frage, ob man Tiere töten und essen will, sogar noch stärker mit dem moralischen Selbstverständnis verbunden sein dürfte als die Einstellung zur Stromerzeugung. Und wer jetzt »typisch Vegetarier!« sagt und meint, Sie sollen sich nicht so haben, sollte sich überlegen, ob er oder sie mit dem unbestreitbar richtigen und auch neutralen Satz »Fleisch = tote Tiere« auf der Brust auflaufen wollte. Allein durch Ihre Überlegung erweisen Sie sich als offener und toleranter als viele Fleischesser.

Meistgelesen diese Woche:

Es bleibt dabei, es kommt auf Ihre persönliche Haltung an, wie sehr Sie sich vom Fleischessen distanzieren. Und man darf nicht vergessen, dass der Teamgedanke keine Einbahnstraße ist: Zu dem gehört auch, dass Ihre Mitspielerinnen auf Ihre Überzeugungen Rücksicht nehmen.

Literatur:

Zum Fleischessen oder Tiere Essen:
Jonathan Safran Foer, Tiere Essen, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main, 2013

Zur Integrität:
Arnd Pollmann, Integrität. Aufnahme einer sozialphilosophischen Personalie, transcript Verlag, Bielefeld 2005

Bernard Williams, Kritik des Utilitarismus, Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1979

Bernard Williams, Utilitarismus und moralische Selbstgefälligkeit, in: Bernard Williams, Moralischer Zufall. Philosophische Aufsätze 1973–1980, Hain Verlag, Königstein 1984, S. 50–64

Zur Haltung:
Frauke A. Kurbacher, Philipp Wüschner (Hrsg.), Was ist Haltung? Begriffsbestimmung, Positionen, Anschlüsse, Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 2017