Wie der Adel wirklich tickt, was ihn im Innersten antreibt und zusammenhält, das werden Sie auch hier leider nicht erfahren. Kein Bürgerlicher kann und darf das wissen, und kein Adliger würde es jemals verraten, außer einem anderen Adligen. Nur an der Oberfläche wirkt es nämlich so, als hätte der Adel in der modernen Gesellschaft alle Privilegien verloren, sich geistig in den demokratischen Mainstream eingegliedert, als seien Herkunft und Familiengeschichte das vergilbte Papier nicht mehr wert, auf dem sie in alten Stammbäumen verzeichnet sind. Faktisch mag das so sein, nicht aber im Bewusstsein des Adels selbst. Ganz und gar nicht.
Wenn Sie also einen Adligen sagen hören, er sei nun gewiss nichts Besonderes, »nur weil mein Ur-Ur-Ur-Urgroßvater ein genialer Ausbeuter war« – glauben Sie kein Wort. Adlige wissen, was der bürgerliche Pöbel hören will, und oft reden sie ihm aus taktischen Gründen nach dem Mund. Zum Selbstbild des Adels gehört es ja, sich geschickt mit Jahrhunderten ständig wechselnder Machtverhältnisse arrangiert zu haben. Treffen Sie denselben Adligen mal in Feierlaune und mit herabgelassenen Hosen an! »Meine Familie spielt seit dem 14. Jahrhundert in Deutschland eine Rolle«, wird er dann pöbeln, und bei den Privilegien seiner Geburt, ganz klar, da werde man auch früh mit »Neid vertraut gemacht«.
Beide Zitate stammen von dem adligen deutschen Oscar-Gewinner Florian Henckel von Donnersmarck, dessen Ahnen tatsächlich mal geniale Ausbeuter waren. Irgendwann gehörte ihnen halb Schlesien und irgendwann dann auch wieder nicht mehr.
Eigentlich ist Donnersmarck ein Vorzeigeadliger, denn natürlich sind Adlige in ihrem Selbstbild, wenn sie sich zum Beispiel aufs Regieführen verlegen, dank ihrer überlegenen Herkunft und Erziehung noch heute jedem Bürgerlichen überlegen. Anderseits, das stellen wir uns zumindest so vor, erstarren Mitadlige vor Pein, wenn sie von Donnersmarck unkontrolliert im Fernsehen schwadronieren hören. Damit gibt er nämlich kurze, unverstellte Einblicke in eine authentische Adligenpsyche, und das ist in seinen Kreisen eine Todsünde.
»Die Holzpreise ziehen ja wieder mächtig an«, bemerkte ich einmal nichts ahnend zu einem freundlichen Adligen aus alter Familie, der als Fachoberschullehrer perfekt getarnt im Münchner Bürgertum lebt. Das hatte ich zufällig in der Zeitung gelesen. Bis heute hält er mich nun für den Sprössling eines Fürstengeschlechts mit mindestens tausendjähriger Geschichte, der nur aus Diskretion alle Titel aus seinem Namen getilgt hat und tatsächlich Erbe riesiger Waldgebiete in der deutschen Provinz ist.
All meine Beteuerungen, nur ein einfacher Lehrerssohn zu sein, nützten nichts – ohne es zu wissen, hatte ich wohl einen adligen Geheimcode zitiert. Bei der anschließenden Verbrüderung machte sich der Adlige besonders über einen berühmten Musikkritiker lustig. Arztsöhne aus Ostpreußen, die sich als eine Art Geistesadel zelebrieren und in Bayreuth wichtigmachen, hatte er gründlich gefressen. Angehörige des ambitionierten Bürgertums sind dem Adligen generell eher ein Graus. So viel habe ich an jenem Abend verstanden.
Warum es manch männliche Vertreter des Adels dafür eher mit dem modernen Medienproletariat halten, mit diversen Sat1-Miezen, Boxenludern und Busenwitwen, die man auch aktuell in der Kuppel-Sendung Gräfin gesucht erkennen kann, bleibt allerdings ein Rätsel. Ist es dasselbe, wie früher die Dienstmagd zu schwängern?
Dient es dem zeitweiligen Drang zum Auf-die-Kacke-Hauen, das bei echten Blaublütern eine große Tradition hat? Eins ist jedenfalls klar: Sollten wir Bürgerlichen ernsthaft daran glauben, dieser Graf aus Schleswig-Holstein, der in der Sendung seinen Gutshof zeigt, würde seine siebenhundertjährige Familienlinie, mit Verbindungen zu vielen Königshäusern, einfach so mit einer x-beliebigen Kandidatin aus dem Fernsehen kreuzen, sind wir verrückt.
(Foto: Sat1)