Adoption

Was medienwirksames humanitäres Engagement angeht, sind Angelina Jolie und Brad Pitt im Augenblick kaum noch zu überbieten. Wer waren, fragt man sich, eigentlich Albert Schweitzer und Mutter Teresa? Zwei Wohltäter der Menschheit offenbar, die es aber leider versäumt haben, ihre PR-Kräfte durch eine Liaison sinnvoll zu bündeln. Jolie und Pitt dagegen haben in Namibia, begleitet von nahezu globaler Hysterie, eine Tochter namens Shiloh Nouvel zur Welt gebracht – und vier Tage später auf CNN bereits neue Pläne verkündet: »Wir werden wieder adoptieren«, erklärte Jolie, »aber wir suchen noch. Mädchen oder Junge, welches Land, welche Rasse – es geht darum, was am besten zu den anderen Kindern passen würde.«Offensichtlich ein schwerer Fall von Prominenten-Narzissmus, nicht weit entfernt vom denkwürdigen Dummschwall-Dreiklang »ein Nest bauen, Tiere retten, Kinder adoptieren«, welche die Bunte vor kurzem der Schauspielerin Cosma Shiva Hagen zuschrieb. Oder doch nicht? Der gut gemeinte Rat etwa, Jolie solle sich doch bitte erst einmal um ihr Neugeborenes kümmern, ist zwar eine typische, aber ideologisch nicht ganz unbelastete Reaktion. Die menschliche Tendenz, Kinder »aus eigenem Fleisch und Blut« über adoptierbaren Nachwuchs zu stellen, muss als Folge unseres Evolutionsprogramms zur Weitergabe der eigenen Gene gedeutet werden. Sie steht damit ungefähr auf einer Stufe mit dem Drang des Mannes, möglichst viele Frauen mit dem eigenen Erbgut zu beglücken. Wer sich nicht fortpflanzt, stirbt aus. Einerseits. Andererseits wird die Zahl der Nachkommen durch gewaltsame Auslese (Krieg, Hungertod, etc.) an die vorhandenen Ressourcen angepasst. Das sind die grausamen Gesetze der Natur und die Adoption ist nichts anderes als die Übereinkunft avancierter Gesellschaften, diese Zwangsläufigkeit durch Umverteilung ihrer Nachkommen zu unterlaufen. Entscheidende Bedeutung erlangte sie zum ersten Mal im Römischen Reich, als Machterhaltungsstrategie für reiche Patrizier-familien ohne eigene Erben. Im Deutschland durften bis 1961 interessanterweise nur die über 50-Jährigen adoptieren – damals lag der Fokus auf Alterssicherung, das (meist bereits volljährige) Adoptivkind war die Alternative zum staatlichen Rentensystem. Heute ist der wichtigste Grundsatz ein quasi-biologisches, altersmäßig normales Eltern-Kind-Verhältnis, ältere Paare haben deshalb kaum eine Chance auf Adoption. Das Prinzip ist, man sieht es schon, großen historischen Veränderungen unterworfen – und wird es wohl auch bleiben. Die Adoptiveltern Jolie und Pitt stehen derzeit im Schnittpunkt zweier widersprüchlicher Wertsysteme: Im aggressiv verteidigten Ideal der leiblichen Elternschaft huldigen wir weiter den Gesetzen der Evolution – selbst im »Haa-ger Übereinkommen« zur Auslandsadoption gilt es als oberstes Ziel, jedem Kind zunächst ein-mal ein Leben bei seinen biologischen Erzeugern zu ermöglichen. Gleichzeitig aber ist niemand mehr bereit, Völkermorde, Millionen von Aidswaisen und Massensterben in der Dritten Welt als Folge der Evolution und »natürliche Auslese« im Sinne Darwins zu akzeptieren. Dieser Widerspruch setzt sich in der Gesetzgebung fort: Zwei Millionen unfreiwillig kinderlose Paare allein in Deutschland, ein Vielfaches dieser Zahl an chancenlosen Waisen in der Dritten Welt – und dennoch werden von den hiesigen Jugendämtern nur etwa 600 bis 900 Auslandsadoptionen pro Jahr genehmigt. Die unaufhaltsame Überalterung der westlichen Industriegesellschaften, der Ansturm von Armutsflüchtlingen auf unsere Grenzen, Migranten, für deren sprachliche und soziale Integration sich hier niemand wirklich zuständig fühlt – die Großprobleme der Gegenwart regen dazu an, das Prinzip Adoption, wie es schon oft geschehen ist, einmal mehr an eine neue Gesellschaftsstruktur anzupassen. Und je länger man drüber nachdenkt, desto mehr verwandelt sich Angelina Jolie vom durchgeknallten Muttertier zur Visionärin einer neuen, kinderreichen, wild durchmischten Weltordnung.