Bekannte Gesichter, ein Lächeln für die Kamera, daneben der Mann mit der weißen Kappe und den markanten Augenringen, die stets von Übernächtigung zu erzählen scheinen – dieses Bild ist ein Dauerbrenner der Medienwelt und die Botschaft geht ungefähr so: Eine Privataudienz bei Benedikt XVI. ist in diesen Tagen nichts Besonderes mehr oder auch: Jeder Depp fährt momentan nach Rom. In kürzester Zeit hat sich das Reiseziel Papst gewandelt – von der elitären Traumdestination zum deutschen Trendspot und weiter zum günstigen Gruppenangebot für ganze Kegelclubs… ähh: bayerische Landtagsfraktionen. Man war schon da oder will demnächst mit der Firma hin, Papstreisende tauchen schon im engeren Bekanntenkreis auf und selbst ein Adabei wie Gottschalk postulierte in der Abendzeitung bereits die Notwendigkeit der Abgrenzung: »Es sind derzeit so viele Leute beim Papst, da will man gar nicht mehr hin.« Damit hat die Papstaudienz, ein Ereignis, das über Jahrtausende bis ins kleinste Detail mit Bedeutung aufgeladen war, innerhalb nur weniger Monate komplett seine Aura verloren. In der ganzen Geschichte des Abendlandes war die Audienz nie nur die Begegnung zweier Menschen, die einfach mal Lust auf Kennenlernen und Hallosagen hatten, sondern stets Belohnung, Ermahnung oder Bildung von politischen Allianzen. Im Grunde galt immer das Modell des legendären Gangs nach Canossa aus dem Jahr 1077, als Kaiser Heinrich IV. zu Papst Gregor VII. reiste, um die Aufhebung seines Kirchenbanns zu erreichen. Drei Tage lang stand er barhäuptig und barfuß im Hof der Burg, bis er vorgelassen und erlöst wurde. Das Spektrum der Audienz reicht vom sprichwörtlichen Zu-Kreuze-Kriechen bis zur Weigerung des Kirchenfeinds Bismarck, »nach Canossa gehen wir nicht«: Man entzweite oder versöhnte sich, bildete oder löste Bündnisse und die Nicht-Audienz war mindestens so bedeutungsvoll wie der Termin, den man schließlich doch beim Heiligen Vater bekam. Dieses Prinzip galt ungebrochen bis in die jüngste Gegenwart. Selbst der Rockstar Bono, der im Jahr 1999 bei Johannes Paul II. vorsprach, eine Sonnenbrille verschenkte und das Kirchenoberhaupt als »Funky Hohepriester« bezeichnete, sprach dabei ungefragt für Millionen von Menschen auf der politisch bewussten Seite des Rock ’n’ Roll, weshalb die Begegnung gleichermaßen als Verrat wie als revolutionäres Bündnis gedeutet werden konnte. Ein Echo von Canossa war noch im September zu spüren, als die Zeitungen raunend berichteten, Benedikt XVI. habe den spanischen König Juan Carlos »eine halbe Stunde warten lassen« – angeblich weil der kurz zuvor ein Gesetz für die Homo-Ehe unterzeichnet hatte. Das Zeichen einer Audienz lud sich sofort mit Botschaften über die Marschrichtung der Gesamtkirche auf, etwa beim Besuch des Kirchenkritikers Hans Küng. Keine zwei Monate später ist davon nichts mehr übrig. Die Länge der Zeit, die man in intimer Plauderei mit dem Heiligen Vater verbringen durfte, ist inzwischen eine Währung der Klatschgesellschaft geworden wie Haus-, Boots- und andere Größenvergleiche. Franz Beckenbauer beispielsweise kam auf 48,7 Sekunden – genug für ihn, die Begegnung als »Höhepunkt in meinem Leben« zu bezeichnen. Trendsetzend wirkte wieder einmal Gloria Fürstin von Thurn und Taxis, die nach dem erfolgreichen Sturm auf Michael Jacksons Neverland-Ranch und Princes Privatharem in den achtziger Jahren die päpstlichen Paläste als letzte Bastion des internationalen Starfuckertums entdeckte – und eroberte. Erst in den letzten Monaten aber ist aus diesem schleichenden Prozess ein galoppierender Verfall geworden und das Resultat ist paradox: Auf dem Höhepunkt ihrer neu gewonnenen Popularität blickt die katholische Kirche in den Strudel eines riskanten PR-Overkills und gefährdet exakt jenes Gut, das auch die Papstbesucher überhaupt erst antreibt: den unbezahlbaren Nimbus, sich niemals mit dem Massengeschmack gemein zu machen.