Im Angesicht der unerklärlichen Katastrophe ist sie die letzte Hoffnung auf Wahrheit und Aufklärung: die Blackbox, bestehend aus zwei schuhkartongroßen Stahlkassetten, die die Flugdaten der Maschine sowie die Stimmen im Cockpit aufzeichnen. Nach einem Flugzeugabsturz bleiben diese Kästen wie ein unzerstörbarer Kern erhalten, der einzige intakte Überrest nach dem Aufprall oder der Explosion. Die Passagiere sind tot, die Maschine hat sich in zahllose Einzelteile aufgelöst (nur manchmal ragen bei der Bergung des Wracks noch einzelne Buchstabensplitter des Airline-Namens heraus). Lesbar und unversehrt dagegen sind die Daten der Blackbox, und ihre Auswertung in den Labors der Fachleute soll nachträglich Aufschluss geben über die Ursache des Unglücks. Gerade wenn sich die Augenzeugenberichte widersprechen, wie jetzt wieder in Madrid, liegt alle Zuversicht auf dieser Apparatur, dem »Zeugen mit dem untrüglichen Gedächtnis«, wie es bei der deutschen Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung so eindringlich heißt.
Die Blackbox wird gewöhnlich im Heck eines Flugzeugs angebracht, weil dort keine Tanks in der Nähe sind und das Heck bei Abstürzen oft frühzeitig abbricht und als Einheit erhalten bleibt. Mittlerweile nehmen Flugschreiber bis zu 2000 verschiedene Messwerte in der Sekunde auf, gespeichert auf Endlos-Magnetband und Computerchip. Die vorgeschriebene Widerstandskraft einer Blackbox ist im internationalen Luftverkehr präzise normiert: Die Kästen müssen einen Aufprall von mehreren hundert Stundenkilometern überstehen, eine halbe Stunde lang eine Hitze von mehr als tausend Grad aushalten und dreißig Tage einen Wasserdruck in mehreren tausend Metern Tiefe. Außerdem sind Batterien zu installieren, die dreißig Tage lang ein sekündlich wiederholtes Ultraschallsignal aussenden. Der Aufwand, mit der die Sicherheit dieses Datentresors hergestellt wird, hat mit der unvergleichlichen Drastik des Flugzeugabsturzes zu tun. Dieser Unfalltyp ist der einzige, bei dem es nur in Ausnahmefällen Überlebende gibt; ein maschineller Zeuge mit »untrüglichem Gedächtnis« wird deshalb notwendig, weil menschliche gewöhnlich nicht zur Verfügung stehen. Und kann die Blackbox ihr Versprechen erfüllen, eine verlässliche Nacherzählung der Katastrophe zu liefern? In manchen prominenten Fällen der letzten Jahre gab sie tatsächlich entscheidende Hinweise über das Schicksal eines Flugs: So erwies etwa die Auswertung der Daten vor Gericht, dass in der PanAm-Maschine über Lockerbie 1988 eine Bombe explodierte oder dass das vierte Flugzeug am 11. September 2001 nicht, wie von Verschwörungstheoretikern behauptet, von der CIA abgeschossen wurde. Weitaus häufiger jedoch bringt der lang erwartete Fund, auf dem Meeresgrund oder Kilometer vom Absturzort entfernt, kaum nähere Aufschlüsse, weil die Stahlkassetten zu stark be-schädigt sind, keine brauchbaren Dialoge aus dem Cockpit liefern oder den Piloten von der Bordelektronik sogar von Beginn an falsche Daten signalisiert wurden, wie vor einigen Jahren bei einem Flugzeugunglück in Hongkong.
Die Kästen heißen »Blackbox«, obwohl ihr Gehäuse leuchtend orange ist, mit reflektierenden weißen Streifen, damit sie bei der Suche am Unfallort möglichst schnell entdeckt werden. Das »Schwarz« weist auf ihre hermetische Konstruktion hin, auf die Unmöglichkeit, die aufgezeichneten Daten von außen zu manipulieren. Die Apparatur trägt damit aber denselben Namen wie ein bekanntes Element aus der soziologischen und kybernetischen Theorie. Mit dem Begriff »Blackbox« ist darin ein System gemeint, dessen Inhalt für den Beobachter nicht ermittelbar oder nicht von Belang ist. Vom Flugschreiber geht genau die entgegengesetzte Erwartung aus: Die in ihm gespeicherten Daten sollen den Unglücksflug noch einmal so gegenwärtig machen, als wäre man selbst dabei gewesen. Dass die Hoffnung, die man auf ihn setzt, so oft enttäuscht wird, ist schon in seiner Bezeichnung angelegt.