Campino

Der Sänger der Toten Hosen ist der beste Beweis, dass auch böse Rocker unheimlich lieb sein können.

Die Bonbon-Marke »Campino« wurde im Jahr 1966 von der Firma Storck auf den Markt gebracht: kleine, ovale Fruchtbonbons in den vier Geschmacksrichtungen Zitrone, Orange, Kirsche und Schwarze Johannisbeere, die in den Siebziger- und Achtzigerjahren zu den beliebtesten Süßigkeiten in Deutschland gehörten. Später jedoch ging die Nachfrage immer weiter zurück, sodass der Konzern im Jahr 2000 eine Korrektur seiner Produktpalette vornahm: Die Bonbons wurden umbenannt in »Paradies Früchte«; unter der Marke »Campino« dagegen firmieren seit 2001 kalorienarme Joghurtbonbons, die vor allem auch bei Zuckerkranken großen Zuspruch finden.

Womöglich lassen sich die Schwierigkeiten, die Andreas Frege, der 46-jährige Sänger der Toten Hosen, mit seinem öffentlichen Bild hat, bereits an seinem Spitznamen ablesen. Seine Zerrissenheit zwischen Rebell und gereiftem Repräsentant, zwischen Punkrocker und Botschafter für Darmkrebsvorsorge, scheint im Anachronismus dieses Namens vorgezeichnet zu sein. »Campino« gibt es längst nicht mehr: Aus einer klebrig-bunten Bonbonmischung ist ein Diabetikerprodukt geworden. Campinos Rollenproblem, seine Unschlüssigkeit, wie weit er sich von seinen Ursprüngen entfernen dürfe, wird gerade in diesen Wochen wieder sichtbar. Fast gleichzeitig kamen das neue Album der Toten Hosen und Wim Wenders’ Film Palermo Shooting heraus, in dem Campino die Hauptrolle spielt. Die Platte landete wie fast alle ihre Vorgänger in den letzten fünfzehn Jahren an der Spitze der deutschen Charts, die aktuelle Tournee ist ausverkauft, und eigentlich könnte Campino zufrieden sein. Doch das Drama seiner Existenz besteht darin, dass es ihm nicht genügt, nur der Sänger der erfolgreichsten deutschen Band zu sein. Er will mehr; er will Anerkennung auch in den Milieus, die er über seine Musik nicht erreicht.

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In den Neunzigerjahren führte diese Ambition Campinos bekanntlich zu seiner Nebentätigkeit als notorischer Talkshow-Gast. Er nahm pausenlos öffentlich Stellung, diskutierte mit Politikern, und in den Fernsehdebatten gewöhnte er sich einen Verlautbarungsstil an, der ihn vor allem in den Augen früherer Weggefährten disqualifizierte. Man machte ihn für die »Weizsäckerisierung des Punk« verantwortlich. Seit einigen Jahren hat Campino diese Auftritte stark reduziert; sein Bestreben, das angestammte Referenzsystem von Rockmusik und Fußball zu überwinden, hat sich nun jedoch ein neues Betätigungsfeld gesucht: die Hinwendung zur deutschen Hochkultur.

Im Sommer 2007 sang Campino in Klaus Maria Brandauers Inszenierung der Dreigroschenoper; jetzt spielt er einen Düsseldorfer Starfotografen, in einem Film, den Wenders laut eigenem Bekunden allein für Campino geschrieben hat. Brandauer und Wenders: Auch wenn vermutlich lange private Verbindungen den Ausschlag für die Zusammenarbeit gegeben haben – aus der Ferne betrachtet wirken diese Namen wie Symptome, wie geeignete Vehikel, die der Sehnsucht Campinos nach Hochkultur zur Realisierung verhelfen sollen.

Es scheint, als habe er nach Figuren im Kulturbetrieb Ausschau gehalten, deren Ruf in größtmöglichem Gegensatz steht zur bierseligen Mitgröl-Welt der Toten-Hosen-Konzerte. Leider ist er an zwei alternde Großkünstler geraten, die die nachlassende Kraft ihres Werks inzwischen mit umso größerer Selbstverliebtheit im Auftritt wettmachen, mit umso größerer Überfrachtung ihrer Inszenierungen. Deshalb kann man Campino gerade dabei zusehen, wie er sich zwei Stunden lang tapfer durch die bleischweren Plattitüden von Wim Wenders kämpft, mit dem einen immer gleichen Gesichtsausdruck, der ihm als Laienschauspieler zur Verfügung steht. Die Hoffnung besteht, dass er seinen Ausflug in die Hochkultur auf ähnlich abrupte Weise beendet wie seine Karriere als Talkshow-Gast.

Fotos: dpa