Dreitagebart

Seit Matthias Platzeck ins Rampenlicht der Berliner Republik getreten ist, gilt er als »Hoffungsträger«, als »unverbrauchtes Gesicht«, als Sympathieträger mit »erfrischend anderem Politikstil« und als »glaubwürdiger Vertreter einer neuen Generation«. Auf seltsame Weise ist man bereit, das alles erst einmal zu glauben – selbst wenn man nichts über den neuen SPD-Vorsitzenden weiß und keine Ahnung von seiner bisherigen Arbeit für das Land Brandenburg oder die Stadt Potsdam hat. Der Grund ist offen sichtbar: Mit Platzeck zieht erstmals der Dreitagebart in die höchsten Etagen der deutschen Politik ein. Sosehr man nachgrübelt oder Berliner Korrespondenten befragt – es fällt einem hierzulande kein bekannter Politiker ein, der diese Barttracht vor ihm zu seinem Markenzeichen erhoben hätte. Und auch international gab es bisher höchstens Jassir Arafat, der die Stoppeln laut Legende mit dem Hunderasierer trimmte, aber wegen der notorischen Fusseligkeit seiner Gesichtsbehaarung nie wirklich stilbildende Wirkung entfaltet hat.»Der Dreitagebart hat lange gebraucht, um akzeptiert zu werden«, schreibt der Buchautor Bernhard Roetzel in seinem Werk Der Gentleman. Noch heute sei er nur in »kreativen Berufen« wirklich verbreitet und die Botschaft könne noch immer sein: »Ich komme nicht in die Puschen und auf mein äußeres Erscheinungsbild lege ich nicht allzu großen Wert.« Diese Vorurteile sorgten bisher dafür, dass Männer vor der Bewerbung um hohe Ämter doch lieber zum Rasierer griffen – oder sie winkten, frei nach Eugen Roth, schon vor der Nominierung ab: »Der Mensch jedoch den Mut verliert, denn leider ist er unrasiert«, schrieb der Dichter einst über einen Möchtegernverführer, dessen »schlecht geschabtes Kinn« dem eigentlich schon schwachen Frauenzimmer alle sündigen Gedanken wieder austreibt. Diese Zeiten sind wohl endgültig vorbei – Platzeck gilt zuallererst auch als Frauentyp, und wahrscheinlich lässt sich die erotische Einschätzung der mutmaßlich bereits wundgeküssten Glamour-Redaktion inzwischen nahtlos auf die Politik übertragen: »Männer mit Bartstoppeln haben Besseres zu tun, als sich jeden Tag zu rasieren. In ihrem Leben ist kein Platz für Nebensächlichkeiten.« Die Ankunft des Dreitagebarts im Zentrum der Macht erzählt auch die Geschichte einer Ideologisierung, die um das Jahr 1984 begann. Vorher war man schlichtweg zu faul zum Rasieren oder es fehlten, wie in den meisten Clint-Eastwood-Western, einfach die geeigneten sanitären Anlagen. Mit Don Johnson und der Serie Miami Vice aber begann der Aufstieg des Dreitagebarts zum emphatischen Statement einer neuen Männlichkeit, flankiert von so zweifelhaften Begleitern wie pastellfarbenen Sakkos und weißen Herren-Espadrilles. Ein Jahr später war mit Mickey Rourke in Neuneinhalb Wochen und Heiner Lauterbach in Männer bereits eine Art Zenith der Bewegung erreicht: Der Dreitagebartmann war in gewisser Weise wild und ungezähmt, verbarg aber unter den harten Stoppeln auch einen weichen, beinah femininen Kern. Vor allem aber positionierte er auch alle anderen Männer neu, nämlich entweder als nacktgesichtige, angepasste Karrieristen oder als wirre, friedensbewegte Waldschrate. Noch ein Jahrzehnt später konnten die Punkrocker der »Ärzte« den Dreitagebart in einem gleichnamigen Song als herrschendes Männlichkeitsideal der Provinzdisco verspotten. Seither schien er längst wieder zum puren Ausweis der Rasierfaulheit herabgesunken, überlebte als modisches Statement aber auf wundersame Weise in der Potsdamer Lokalpolitik und rückt nun im Gesicht des SPD-Retters Platzeck wieder ins grelle Scheinwerferlicht. Sein Träger ist, so hört man, umweltbewegt, aber durchaus auch konservativ, sozial einfühlsam, aber auch streng auf der Hartz-IV-Linie, immer gut gelaunt, überall beliebt und ein großer Integrator. Damit markiert der Dreitagebart nun exakt den Sitz der neuesten Neuen Mitte und gibt dem Mann ohne Eigenschaften Profil, der sich in schwieriger Zeit und Lage keine allzu scharf definierten Überzeugungen mehr leisten mag. Das wird uns, bevor wir morgen den Rasierer wieder unangerührt auf dem Waschtisch liegen lassen, dann doch schwer zu denken geben.