Gewürze

Die wahre Kunst des Würzens wird endgültig verraten und verkauft.

Dass gegenüber ein Gewürzladen aufgemacht hat, ist auf jeden Fall ein freudiges Ereignis. Es hätte ja auch der »Beate Uhse Flagship Store« sein können, der ebenfalls in meiner Straße wohnt, oder der Glastempel jener berüchtigten Apple-Sekte mit ihren konsumhörigen Anhängern. Nein, Gewürze sind doch in Ordnung.

Dass sie hier nun einen eigenen Laden haben, erinnert an große frühere Zeiten, als Safran, Vanille, Pfeffer und Kardamom fast mit Gold aufgewogen wurden, als gierige Kolonialmächte um die besten Gewürzrouten nach Indien kämpften, als ein paar exotische Körner, Samen und Schoten unserem europäischen Leben erst das gewisse Etwas gaben, das sich sehr bald als unverzichtbar erwies. Gewürze schufen einst Reichtümer wie heute nur das Erdöl, und wer weiß – wenn das Öl eines Tages weg ist, könnte es auch wieder genauso werden. Na gut, dazusagen muss man, dass der Gewürzladen leider den Namen eines sattsam bekannten »Star- und Fernsehkochs« trägt, selbstverständlich mit hochgestelltem Genitiv-S. So ganz auf eigenen Beinen bzw. Wurzeln können Gewürze heutzutage also doch nicht stehen. Dennoch betrat ich das duftende Kontor voller Vorfreude und fragte geradeheraus, welches Trendgewürz ein urbaner und kulinarisch interessierter Mensch denn nun besitzen müsse – das passende Rezept dazu sei doch sicher aus dem umfänglichen Œuvre des Hausherrn verfügbar.

»So weit sind wir noch nicht«, sagte die Gewürzdame spitz und wandte sich dann wieder Kunden mit gezückten Geldscheinen zu, die schon wussten, was sie wollten. Ich aber entdeckte die grundlegende Zweiteilung dieser Gewürzwelt: Neben »Einzelgewürzen« (eben alles, was man so kennt oder auch nicht kennt, Anis bis Zimt) bot man hier vor allem Gewürzmischungen feil – und da erst kommt ein geschäftstüchtiger Star- und Fernsehkoch so richtig in Fahrt.

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In seiner knapp bemessenen Zeit, das sah man nun, hatte der Mann wie besessen Gewürze zusammengemischt oder zusammenmischen lassen, die nun in Abfüllstationen für auch wirklich jeden Zweck und Anlass bereitstanden. Da gab es: Bratkartoffelgewürz, Gulaschgewürz, Schweinebratengewürz, Blaukrautgewürz. Karibisches Scampisalz. Persisches Reisgewürz. Erotischen Curry. Sogar ein »Sexgewürz« mit den Komponenten Paprika, Kurkuma, Zimt, Knoblauch, Kardamom, Chilli, Koriander, Ingwer, Rosenblüten, Vanille. So weit klar. Nur die sogenannte TV-Mischung (Siebzig-Gramm-Dose für 6,40 Euro, mit schwarzem Pfeffer, Koriander, Zimt, Fenchel, Kümmel) warf dann doch einige Fragen auf.

Sollte man damit den Geschmack des Fernsehprogramms verbessern, einen zähen Gottschalk genießbar machen, einem Kleinen Fernsehspiel etwas Pfeffer verpassen? Wohl kaum. Stattdessen dämmerte mir die Erkenntnis.

Was der Star- und Fernsehkoch hier anbot, waren im Grunde ja tatsächlich alles Fernsehteller, Fertiggerichte, Fünf-Minuten-Terrinen. Die Zutaten wie Fleisch, Gemüse und so weiter musste man natürlich noch selbst besorgen, braten oder kochen. Dann aber: Gewürzmischung drüber, und fertig. Abschmecken? Nachwürzen? Ganz individuell ein Lorbeerblatt hier, ein Hauch von Muskat dort? Das alles war gestern. Was hier geboten wurde, war die fertige Essenz fast jedes Gerichts zum Mitnehmen, das Geheimnis des Geschmacks, abgepackt in Dosen oder Tüten. Oder – wie ein Computertechniker sagen würden – der komprimierte Code des Kochens.

Dass man einfach nur den schwerelosen, unzerstörbaren Code verkaufen und damit richtig Geld machen kann, während die Leute alle leichtverderblichen, platzfressenden Komponenten des Essens im Billig-Supermarkt oder sonst wo besorgen müssen, ist eine fast geniale Idee – aber zugleich auch sehr erschreckend. So richtig profitabel wird dieser scheinbar unschuldige Gewürzladen nämlich gerade in dem Moment, in dem er die wahre Kunst des Würzens – oder besser gesagt: des Selberwürzens – endgültig verraten und verkauft hat.

Foto: Reuters