Am Glutamat entzünden sich in der kulinarischen Welt immer wieder Grundsatzdebatten. Der Gourmetführer Gault Millau strich das Düsseldorfer Luxusrestaurant »Im Schiffchen« vor einiger Zeit sogar ganz aus der Wertung, weil Küchenchef Jean-Claude Bourgueil freimütig bekannt hatte, für die Vollendung seiner Gerichte auch Glutamat zu verwenden. In der aktuellen Ausgabe wird das Lokal wieder regulär besprochen, allerdings mit der einleitenden Bemerkung, man werde die »völlig ungenierte Verwendung« der Substanz weiterhin bemängeln. Erstaunlich ist die Diskrepanz zwischen der kulturellen Wahrnehmung des Glutamats und ernährungswissenschaftlichen Diagnosen. Institute wie die Deutsche Gesellschaft für Ernährung haben erst kürzlich wieder betont, dass Glutamat, das Natriumsalz der Glutaminsäure, als Beigabe zu Nahrungsmitteln völlig unbedenklich sei – nicht zuletzt deshalb, weil es in nahezu allen Lebensmitteln ohnehin auf natürlichem Wege vorkomme. In der öffentlichen Wahrnehmung dagegen gilt der Würzstoff weiterhin als Synonym für das synthetische und gesundheitsschädliche Einerlei von Tütensuppen und asiatischem Fastfood. Es geht nicht einfach um die Konfrontation von Geschmacksvorlieben; Glutamat stellt vielmehr die Frage nach der Wahrheit des Geschmacks selbst. Kritiker war-fen Bourgueil nach seinem Eingeständnis vor, er gaukle »dem Gaumen etwas vor«, stelle die von einem Luxusrestaurant erwartete »geschmackliche Reinheit« in Zweifel. Glutamat scheint die Speisen also elementar zu bedrohen. Tatsächlich vermischen sich im westlichen Umgang mit dem traditionellen asiatischen Würzstoff kulinarische und weltanschauliche Argumente. Das zeigt sich bereits im Begriff des »Geschmacksverstärkers«, als der Glutamat auf deutschen Speisekarten ausgewiesen werden muss. Die Bezeichnung qualifiziert die Substanz von vornherein als ein dem Nahrungsmittel Äußerliches, Fremdes, als etwas, das den Geschmack des Produktes über seine natürlichen Grenzen hinaustreibt. Die Wirkung von Glutamat ähnelt damit einem Dopingmittel, während die gebräuchlichen Gewürze den Geschmack der Speisen auf legitime Weise kräftigen. Aufschlussreich ist es, den kulinarischen und kulturellen Status des (chemisch verwandten) Kochsalzes zum Vergleich heranzuziehen. Denn im Gegensatz zum »Geschmacksverstärker« Glutamat erscheint die Würzkraft des Salzes als integrativ. Dem Eigengeschmack der Speise ist es niemals aufgesetzt; vielmehr bringt es ihn von innen heraus zum Vorschein. Die Metapher vom »Salz in der Suppe« – als dem Eigentlichen, Essenziellen einer Sache – illustriert dies. Als etwas der Nahrung Äußerliches wird Salz nur dann wahrgenommen, wenn es überdosiert, wenn die Speise versalzen ist. Für Glutamat hingegen steht das Kriterium der Dosis überhaupt nicht zur Verfügung. Egal, wie zurückhaltend es angewendet wird – wie ein hoch konzentriertes Gift scheint es den Eigengeschmack des Produkts auch in kleinsten Mengen zu lähmen.Woran liegt es aber, dass die massive Kritik am Glutamat trotz der ernährungswissenschaftlich erwiesenen Unbedenklichkeit weiterhin anhält? Vermutlich daran, dass es ohnehin weniger um Gesundheitsfragen geht als um den Zusammenhang von Geschmacksempfinden und Politik: um eine Ideologie des Würzens, von der bestimmte Substanzen seit jeher betroffen waren (der Knoblauch etwa galt lange als jüdisches Gewürz und transportierte den Antisemitismus in den Bereich des Essens). In der Auseinandersetzung um das Glutamat scheint ein latentes Misstrauen des Westens gegenüber dem Osten, der freiheitlichen Ordnung gegenüber den Resten des sozialistischen Systems auf. Denn welche Assoziationen sind es, die der »Gaumentäuscher« auslöst? Letztendlich die, dass die Wucht des Uniformen den Nuancenreichtum europäischer Kochkunst mit einem Einheitsaroma überziehen könnte. In der Rede von den befremdlichen Glutamatströmen schimmert immer auch die Angst vor befremdlichen, gesichtslosen Menschenströmen durch, die unsere vielfältige westliche Kultur bedrohen. Die Geißelung des Glutamats in der Feinschmeckerküche ist vielleicht nur die elaborierte Version jener alten Angst vor der »gelben Gefahr«.