Die Kunst des Fernsehmoderators Günther Jauch besteht in seiner unvergleichlichen Elastizität. In der Sendung Wer wird Millionär? etwa ist dieses Talent seit Jahren regelmäßig zu bestaunen. Egal ob ihm ein Universitätsprofessor gegenübersitzt oder eine Hausfrau, ein Motorradrocker oder ein Finanzbeamter: Jauch gelingt es schon nach wenigen Momenten, sich vollständig auf die Kandidaten einzustellen, ihr Temperament, ihren Bildungshorizont, ihr Interessensspektrum zu erfassen und das eigene Auftreten danach auszurichten. Niemals würde der Quizmaster ein Gefälle zwischen sich und seinen Kandidaten spürbar werden lassen; jede Art von Differenz gleicht er mit beiläufiger Souveränität aus. Dass er zu unzähligen Themen zumindest stichwortartiges Wissen parat hat, erleichtert ihm dieses Vorgehen. Mit der älteren Dame auf dem Ratestuhl plaudert er über preiswerte Putzmittel, mit dem Autoliebhaber über die neuesten Modelle; den Steuerberater verblüfft er mit Einsichten in komplexe Abschreibungsverfahren, dem Mediävistik-Professor steht er als passabler Gesprächspartner über mittelalterliche Literatur zur Verfügung. Günther Jauch ist ein Virtuose der Einfühlung. Von der eigenen Lebenswelt, dem eigenen gesellschaftlichen Status findet sich in den Gesprächen, seiner großen Prominenz zum Trotz, keine Spur; auch wenn jeder weiß, dass Jauchs Jahreseinkommen das der meisten Kandidaten um ein Hundertfaches übersteigt, wirkt er stets wie einer, der mit dem Milieu des anderen vertraut ist (anders als etwa Kerner, der zwar in Interviews mit Unbekannten auch einen einfühlsamen Tonfall anschlägt, dem die Perspektive von oben, vom Fernsehstar zum Mann auf der Straße, jedoch immer anzumerken ist). Es hat zweifellos mit dieser perfekt ausgebildeten sozialen Mimikry Jauchs zu tun, dass er in Umfragen zum »sympathischsten Deutschen« gewählt wurde und für das Publikum absolute Glaubwürdigkeit ausstrahlt.Jenseits der Kameras allerdings verwandelt sich das Anpassungsvermögen Jauchs ins exakte Gegenteil. So bambushaft der Moderationsstil, so granithart die von ihm geführten Vertragsverhandlungen oder Rechtsstreitigkeiten. Die schroffe Absage an die ARD, sein Rückzug in letzter Minute vor einem Übermaß an Mitspracherecht des Senders, ist nur das jüngste Beispiel in einer Reihe von Fällen, die von der Unerbittlichkeit Günther Jauchs in Fragen der Selbstbestimmung zeugen. In guter Erinnerung ist noch sein Kampf gegen die Berichterstattung über seine Hochzeit im Sommer letzten Jahres. Jauch wollte zunächst ein vollständiges Nachrichtenverbot durchsetzen, erwirkte dann zumindest eine Verfügung, dass keine Einzelheiten über die Feier verbreitet werden durften. Als einem Fotografen dennoch ein heimliches Bild gelang, klagte Jauch nicht nur wie bereits etliche Male zuvor auf Schmerzensgeld wegen Verletzung der Privatsphäre, sondern forderte als erster Prominenter in Deutschland auch den Marktwert des Fotos ein. Die Gerichtsakten in der Kanzlei von Jauchs Anwalt sollen im Lauf der Jahre auf mehr als eineinhalb Meter Länge angeschwollen sein.Auffällig an Günther Jauch ist also eine Art Spaltung: Auf dem Bildschirm verkörpert er Passivität und Formbarkeit; er bietet eine Projektionsfläche, auf der je nach Ausrichtung der Kandidaten und Interviewpartner fast alles erscheinen kann: das politische Gewissen, der Intellektuelle, der Komiker, der Biedermann. Im täglichen Leben dagegen ist er wie kein Zweiter auf die Autonomie und Unantastbarkeit seiner Person bedacht. Vielleicht markiert diese Spaltung in Wahrheit aber gar keinen Widerspruch. Denn die größtmögliche Elastizität der Fernsehfigur – das regelrechte Verschwinden hinter einer Fülle von Rollenzuschreibungen – und der größtmögliche Eigensinn als Privat- und Geschäftsmann sind verschiedene Ausprägungen desselben Anliegens: der Ambition, sich einen Rest an Unkenntlichkeit zu bewahren, sich nicht vollends der Öffentlichkeit preiszugeben. Um dieses Anliegen zu gewährleisten, sind zwei unterschiedliche Identitäten nötig – die vor der Kamera so vage, die dahinter so konsequent wie möglich.