Der Mensch liegt, evolutionär gesehen, im ewigen Kampf mit der Natur. Es ist daher sinnlos, ihm zu sagen, dieses oder jenes sei unmöglich, und bestimmte Dinge solle er sich lieber aus dem Kopf schlagen. Will er die Rocky Mountains mit dem Pilgerwagen überqueren, den Nordpol erreichen oder auf dem Mond spazieren gehen, dann strebt er gegen alle Vernunft voran. Ähnlich verhält es sich mit seinem Wunsch, draußen zu sitzen. Besonders der germanische Typ ist kaum davon abzubringen, seine Nahrungsaufnahme bei Nieselregen und Minusgraden, an Ausfallstraßen und in dunklen Hinterhöfen vorzugsweise unter freiem Himmel abzuhalten. Wenn gar nichts mehr geht, greift er dabei auf ausgefallene Hilfsmittel zurück: wärmende Tierhäute, Goretex-Jacken, Raumanzüge – und mehr und mehr auch auf ein Gerät, das gerade massenhaft die deutschen Innenstädte erobert: den Heizpilz.
Der Heizpilz, im Fachjargon auch »Terrassenstrahler« genannt, ist die Antwort der Technik auf einen Satz, den wir besonders ungern hören. »Heute isse zu kalt.« So sprach einst ein italienischer Kellner zu seinen deutschen Gästen in Portofino oder Rimini, als ihm das Wetter zu schlecht oder die Nacht zu kühl für ein Abendessen auf der Terrasse erschien. »Al fresco«, erklärte er damals, stehe zwar für das Draußensitzen, »fresco« bedeute aber auch »frisch« und »kühl« – und damit solle man es nicht übertreiben. Ha! Damit war eine Herausforderung definiert, die es nun zu überwinden galt. Schon bald waren italienische Wirte nicht nur gezwungen, jederzeit im Freien zu servieren – sie mussten auch drastische Maßnahmen ergreifen, um ihre Gäste vor dem Tod zu schützen und als zahlende Kunden zu retten. So kam vermutlich der Heizpilz in die Welt.
Italien ist nunmehr überall. In den schickeren Wohnvierteln Berlins zum Beispiel sollen nach Schätzungen des lokalen Umweltsenats nicht weniger als 5000 rot glühende Strahler vor Szene-Restaurants stehen und dem modernen Hedonisten suggerieren, der zweite Hauptsatz der Thermodynamik (inklusive der Sonderfälle Unterkühlung und Erfrierung) gelte zwar für alles Leben auf der Erde, aber nicht für ihn. Kein Gehsteig zu schmal, kein Autobahnzubringer zu laut und feinstaubverpestet, kein »Biergarten« zu gefängnisartig und hundekotverseucht, um nicht mit ein paar Plastikstühlen und Heizpilzen den Umsatz noch deutlich anzukurbeln.
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»Bei uns ist immer Sommer« lautet der Slogan einer erfolgreichen Heizpilz-Firma – das trifft den Kern der Hybris perfekt. Prometheus hieß der Mann in der griechischen Mythologie, der den Göttern einst das Feuer gestohlen hat; es könnte allerdings auch ein Heizpilz gewesen sein. Und weil jetzt auch noch massenhaft Süchtige mitten im Winter zum Rauchen vor die Tür müssen, gibt es endgültig kein Halten mehr. Die hässlichen, meist rätselhaft verbeulten Metalldinger schießen, nun ja, wie die Pilze aus dem Boden.
Damit erfüllt sich ein weiteres unausweichliches Gesetz des Lebens auf der Erde: Wo sich Homo sapiens erst einmal ausbreitet, macht er seine Umwelt auch kaputt. Kaum hat man ihn wie die Raucher aus den Gaststätten vertrieben, erobert er sich rücksichtslos neue Lebensräume und hinterlässt auch dort nur Spuren der Verwüstung. Heizpilze beheizen nämlich, wie sollte es anders sein, vor allem die Erdatmosphäre. Ihre Gasflammen stoßen jede Menge Kohlendioxid aus und beschleunigen die Klimakatastrophe. Greenpeace schlägt Alarm und bezeichnet die Geräte bereits als »Killerpilze«, die Ordnungsämter in Stuttgart und Köln haben ihre Aufstellung teilweise schon verboten.
Uns Trotzdem-Raucher und Hardcore-Draußensitzer aber hält das natürlich nicht auf. Als ewige Eroberer werden wir die Welt weiter nach unserem Willen formen. Erst wenn der letzte Heizpilz allerdings verschrottet ist, weil es gar keine kühlen Nächte mehr gibt, werden wir Ruhe geben. Dann findet sich bestimmt eine neue Herausforderung.