High End

Am Ende dieser Kolumne werde ich wie ein lächerlicher Mann wirken. Das ist mir klar. Ich werde dastehen wie einer dieser Wirrköpfe, die ich bis vor kurzem selbst belächelt habe. Seltsame Wesen, die spezialgeröstete, persönlich abgemischte Espressobohnen brauchen, weil man »Lavazza einfach nicht trinken kann«; die von einem edlen Wein nur einen einzigen Jahrgang akzeptieren, »weil alles andere ja wie Pferdepisse schmeckt«; die behaupten, Langspielplatten klängen eindeutig besser als Compactdiscs, »voller und wärmer und musikalischer, das hört doch wohl jeder«. Ich schmeckte, spürte und hörte den Unterschied nie und nahm mir stattdessen immer vor, niemals ein solcher Mann zu werden. Jetzt aber, fürchte ich, bin ich so weit. Und alles begann damit, dass meine Lautsprecherkabel nach dem Umräumen im Wohnzimmer eines Tages zu kurz waren.Zunächst wollte ich einfach längere Lautsprecherkabel. Also sah ich mir ein paar Standardkabel in ein paar Elektrogroßmärkten an. Dann formulierte ich neu: Ich wollte längere Lautsprecherkabel, die nicht wesentlich hässlicher aussahen als meine alten. Das stellte sich als Problem heraus. Die Suche wurde immer schwieriger, bis ich schließlich ein unauffälliges Spezialgeschäft nahe dem Münchner Ostbahnhof betrat. Dort sah mich der Verkäufer durchdringend an, bevor er mich zu den Kabelrollen führte. Ich deutete auf ein schönes kupferfarbenes Kabel, und der Mann wiegte sanft den Kopf. »Das kostet 100 Euro pro Meter«, sagte er. Ich zeigte auf ein anderes, nicht ganz so schönes Kabel und er sagte: »Das ist das Beste, was wir haben. Fertig konfektioniert, drei Meter lang. Für 15000 Euro.«Ja, verdammt, es ist absolut wahr: Es gibt Männer, Geschlechtsgenossen, Wirrköpfe, Fanatiker des Musikgenusses, Ayatollahs des reinen Klangs, die ohne weiteres 15000 Euro allein für das rechte Lautsprecherkabel bezahlen. Was die Boxen dann selbst kosten oder die einzelnen Komponenten ihrer Anlage, daran wagte ich überhaupt nicht mehr zu denken. Man nennt dies das »High End«-Prinzip. Es existiert keineswegs nur auf dem Gebiet der technischen Klangreproduktion. Wenn man einmal damit anfängt, ist vom High-End-Espresso über den High-End-Wein bis hin zur Schweizer Armbanduhr mit tausend beweglichen Teilen kein Ende in Sicht – außer dem persönlichen Bankrott. Und wer die Botschaft einmal gehört, die irrwitzige Lehre einmal akzeptiert hat, der ist dann auch schon verloren. Dachte ich mir und schüttelte heftig den Kopf.Der Verkaufer lächelte teuflisch und erklärte, selbst mit seinem revolutionären Einsteigerkabel (7,50 Euro pro Meter) würden meine Boxen – jawohl, selbst meine uralten Boxen aus Studententagen – mindestens doppelt so gut klingen wie bisher. Ich solle es einfach probieren. Ich willigte ein – schon aus Trotz. Ich würde ja doch keinen Unterschied hören, auch weiterhin gern Lavazza trinken, auch mit Wein aus dem Supermarkt glücklich sein. Dann ging ich heim. Klemmte die neuen Kabel an meine uralten Boxen, drehte kräftig auf – und ich schwöre bei Gott, dass mir die Ohren wegflogen. Das war kein esoterischer Unterschied, das war eindeutig, es war die Volldröhnung: Die Bässe ordneten meine Eingeweide neu. Bei Beethoven spielten plötzlich Instrumente mit, die ich zuvor nicht bemerkt hatte. Und selbst beim tausendmal gehörten Madonna-Lieblingsstück gab es auf einmal eine neue, ultrascharfe Triangel, die quasi im Innern meiner Schädeldecke angeschlagen wurde.Ich atmete tief durch, löste mich aus meinem klangumtosten Körper und sah kurz auf mich selbst herab: Da saß ich auf dem Sofa – ein lächerlicher Mann. Einer, der sich sofort fragte, wie geil wohl das 15000-Euro-Kabel jetzt klingen würde. Einer, der dem Fluch von »High End« innerhalb von Minuten erlegen war, für den es kein Zurück mehr gab, für den alles nur noch sehr böse und auch sehr teuer enden konnte und musste.