Kinderkriegen

Die kinderlose, aber gebärfähige Frau in diesem Land – sie steht im Augenblick schwer unter Druck: Anklagende Spiegel-Titel, Bestseller-Thesen von Frank Schirrmacher, Bild-Aufmacher mit Karrierefrauen ohne Nachwuchs, Deutschland als weltweites Schlusslicht in der Geburtenstatistik und nicht zuletzt die Drohung der Politiker, den Kinderlosen in Zukunft die Rente zu kürzen. Junge Akademikerinnen, heißt es überall, seien besonders verantwortungslos: Missachten die »Schöpfungsnotwendigkeit« der Mutterschaft, stemmen sich gegen die »Urgewalt« der Natur und haben am Überlebensprogramm der Menschheit »gefingert« – um nur Schirrmacher und den Spiegel zu zitieren. Welcher halbwegs emanzipierten jungen Frau würde da nicht die letzte Lust am Kinderkriegen vergehen?Das Wunder der menschlichen Existenz wird hier auf zwei prekäre Aspekte reduziert: erstens die angebliche »Pflicht« der Frauen, in besonderer Weise für den Fortbestand der Gemeinschaft zu sorgen; und zweitens ihre Überhöhung als Schöpferin des Lebens und Garantin des sozialen Zusammenhalts. Beides hängt mit der unbestreitbaren Tatsache zusammen, dass zur Fortpflanzung zwar beide Geschlechter notwendig sind, der männliche Anteil sich aber leicht auf eine Samenspende redu-zieren lässt, während die Frau beim Kinderkriegen einen unvergleichlich höheren Einsatz bringt. Die scheinbare Machtposition à la »Ohne euch geht gar nichts mehr«, die hier auf dem Silbertablett serviert wird, ist jedoch ideologisch vergiftet: Dahinter steckt nichts anderes als das Ziel, das Bild der Frau wieder auf das biologische Minimum der »Gebärenden« zurückzuführen, in dem sie jahrtausendelang gefangen war – und in vielen Kulturen noch immer ist.Alles, was moderne Frauen überhaupt erreicht haben, haben sie gegen diese fatale Zuschreibung erreicht. Den Wunsch, diese Errungenschaften nun wieder in Frage zu stellen, müssen sie not-gedrungen mit Sarkasmus beantworten – die Repliken auf Schirrmachers Buch Minimum zeigen es: Als »Reproduktions-Enzyklika« verspottet eine Kollegin der Süddeutschen Zeitung das Buch; »dass überhaupt Frauen in diesem Land bereit sind, Kinder zu kriegen, ist ein Wunder«, bemerkt aufmüpfig eine Schirrmacher-Untergebene in der FAZ-Sonntagszeitung; und die Autorin der Frankfurter Rundschau bietet gleich in bitterer Ironie ihre Dienste an: »Gestatten Frau und Gebärmutter, ich bin hier der soziale Kitt. Wo kann ich mich hinkleben?« Sollte es tatsächlich um die Lösung eines Gesellschaftsproblems und nicht nur um Gewinnmitnahmen auf dem Bestsellermarkt gehen, ist dieser Teil der Kampagne schon mal danebengegangen. Das großzügige Stellenangebot »Retterin des Abendlandes« können sich die Männer – sofern es nach den Frauen geht – sonstwo hinstecken.Nur: Warum eigentlich? Warum sollte es nicht möglich sein, die Zumutung der Gebärmutterrolle zwar bedingungslos zurückzu-weisen, die damit verbundene Machtposition aber anzunehmen? Wäre das nicht die angemessene Antwort auf das Doppelspiel des Patriarchats und könnte es die Frauen nicht von dem schlechten Gewissen befreien, das sie in allen denkbaren Rollen quält? Als »egoistische« Nicht-Mutter, als arbeitende »Rabenmutter« oder als rückständige »Nur-Mutter« ist sie derzeit an allen Fronten in der Defensive – und allein das Gefühl, mit der Entscheidung fürs Kinderkriegen buchstäblich die Zukunft zu retten, sollte hier als machtvolles Gegengift wirken. Zum Beispiel beim Thema Kind und Karriere. Was bedeutet schon ein wichtiges Meeting angesichts der Aufgabe, am Wickeltisch das Überleben des Landes zu sichern? Und was zählt ein halber Tag Abwesenheit in der Redaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, wenn die Rente von morgen doch in Wahrheit im Kinderhort um die Ecke erwirtschaftet wird? Nichts, gar nichts – auch Frank Schirrmacher wird in seiner Rolle als Arbeitgeber nichts anderes mehr behaupten können. Hier gilt es, neue Vorteile eiskalt zu nutzen – und eine ganze männliche Führungsebene auf ihre eigenen Horror-szenarien festzunageln.