Im Grunde ist es ein Rätsel, wie der Kopfhörer überhaupt zum modischen Accessoire werden konnte. Denn eigentlich ist er doch dazu da, seine Träger von der Umwelt zu isolieren. Es geht um eine individuelle Klangwelt, die nur für eine Person gültig ist. Der globale Erfolg von iPod & Co. beweist, wie wertvoll es für den modernen Menschen sein kann, auf Reisen, auf dem Weg zum Arbeitsplatz, bei Spaziergängen und Einkaufstouren die akustische Welterfahrung einzudämmen und in den Kosmos der eigenen Lieblingsmusik abzutauchen. Wer diesen Schritt in die Innenwelt tut, denkt man, könnte doch auch die Mitmenschen im Grunde ignorieren: der perfekte Hörgenuss als Sache zwischen mir und meinen Ohren, an dem niemand sonst teilhat und dessen äußeres Erscheinungsbild auch niemanden etwas angeht.
Aber so ist es natürlich nicht: Die seinerzeit ungewöhnliche Farbe Weiß, die Apple für seine Ohrstöpsel wählte, lud sich in kürzester Zeit zum Code für Trendbewusstsein und Mobilität in Denken, Fühlen und Leben auf. Das ging so weit, dass Microsoft-Angestellte ihre iPods mit schwarzen Fremdkopfhörern bestückten, um nicht mit dem Weiß des Feindes am Arbeitsplatz ge-sehen zu werden, und Apple-Guru Steve Jobs sich im Jahr 2005 mit einem persönlichen Kondolenz-Anruf bei den Eltern eines 15-jährigen Jungen meldete, der in Brooklyn erstochen worden war, weil er seinen – an den Ohrstöpseln weithin sichtbaren – iPod nicht an eine Straßengang herausgeben wollte. Dazu kam eine Gegenbewegung, die sich von der technoiden Kälte und dem Miniaturisierungs-Optimismus des weißen Ohrstöpsels wieder distanzierte. Sie brachte riesige Secondhand-Kopfhörer zurück ins urbane Straßenbild, deren abenteuerliches buntes Marsmännchen-Design aber auch nicht viel mit dem Klang selbst zu tun hat: Ihre Botschaft ist genauso an die Umwelt gerichtet wie das Apple-Weiß.
Nun zeigt eine neue Klasse von Kopfhörern die Rückbesinnung auf innere Werte. Sie schirmen nicht nur das Ohr des Hörers ab, sondern bieten auch eine avancierte Technik, die Umweltgeräusche noch zusätzlich ausschaltet. So kom-plex das im Einzelnen funktioniert – ein verstecktes Mikrofon belauscht die Umgebung auf Störgeräusche, ein eingebauter Prozessor erzeugt neutralisierende Gegenschwingungen – der Effekt ist verblüffend klar: Autos scheinen auf einmal von futuristischen Motoren angetrieben zu sein, die nur noch ein leises Summen von sich geben, Züge und S-Bahnen bewegen sich mit einer Lautlosigkeit durch die Welt, die man sonst nur aus Science-Fiction-Filmen kennt. Hier ist das Prinzip, den Lauschenden inmitten von Menschenmassen zum Einsiedler zu machen, am konsequentesten verwirklicht; auf Wunsch erfüllen diese Geräte auch einfach die plötzliche Sehnsucht nach Stille.
Der Haken dabei ist natürlich das Aussehen. Ich laufe zurzeit mit einem schwarz-silbernen Ungetüm namens PCX 450 NoiseGuard durch die Gegend, und bei jeder zufälligen Spiegelung in einem Schaufenster erschrecke ich über das peinliche Bild, das ich damit abgebe. Kopfhörer-Designer würden das natürlich leugnen, aber optische und akustische Lustgefühle scheinen sich gegenseitig einfach auszuschließen. Also ist eine Entscheidung gefragt, und bei mir siegt momentan die Welt des Klangs. Geschwätzige Großmütter, Mitreisende mit Handy am Ohr, der Lärmterror eines internationalen Großflughafens: Das alles kann ich nun auf einen freundlichen Stummfilm mit Musikbegleitung reduzieren, durch den ich mich entspannt und schwerelos bewege. Letztlich muss dabei die Würde der inneren Haltung über den optischen Eindruck siegen. Der verstorbene Großschauspieler Ulrich Mühe, dessen Bild mit den unförmigen Stasi-Kopfhörern zur Oscar-Ikone wurde, noch dazu in dieser Idiotenjacke, die jeden anderen Mann zur Wurst reduziert hätte – er ist in dieser Hinsicht mein neues Vorbild.