Wenn einer in nahezu jedem Medium Verkaufsrekorde bricht und ein Stadion mit 70 000 glücklichen Fans füllt, ohne dass jemand eine plausible Erklärung dafür hätte – dann brennt bei den Kritikern, die doch bezahlt werden, um die Welt zu verstehen, gern mal eine Sicherung durch.
Als »Kollateralschaden der Demokratie« wird Mario Barth dann beschimpft oder als »Zeremonienmeister des Prekariats«; dann bringt er die »deutsche Spießerseele zum Kochen« und/ oder fällt in Sachen Sexismus und Dummheit »hinter die letzte Steinzeit zurück« – insgesamt laufe da, so die warnende Stimme der Intellektuellen, eine »fatale Mischung aus Kindergeburtstag und Reichsparteitag«. Nun ja. Klingt irgendwie interessant. Es klingt zumindest so, als habe Barth, der inzwischen einen Kinofilm vollendet hat und damit am Wochenende einen neuen Rekord einfahren will – sechs Filmpremieren in sechs verschiedenen Städten innerhalb von zwölf Stunden –, die Form seines Auftretens konsequent zugespitzt. Als verfüge er über eine gewisse Schärfe, Gnadenlosigkeit, Verwerflichkeit – über die man, wenn schon nicht lachen, so doch wenigstens wütend werden kann, im Geist großer Tabubrecher-Komiker wie Richard Pryor, Lenny Bruce oder Chris Rock. Schön wär’s –nur stellt es die ganze schreckliche Wahrheit leider exakt auf den Kopf.
Der Schock nämlich, wenn beispielsweise ein klassischer Komödiant wie Woody Allen in der Lage wäre, Mario Barth zu erleben, könnte fundamentaler kaum sein. Es gibt in Barths inzwischen im Guiness-Buch verzeichneter Live-Show Männer sind primitiv, aber glücklich! eine gefühlt mindestens halbstündige Passage, die unter dem Stichwort »Fabrikverkauf« johlend begrüßt wird und im Grunde ein einziger Witz ist, der davon handelt, wie Barth von seiner Freundin gezwungen wird, in eine Stadt namens Nußloch (frenetischer Applaus) zu fahren, wo sie bei einem Fabrikverkauf (ohrenbetäubender Jubel) nach allerlei Verwicklungen zu günstigen Konditionen eine Handtasche kauft.
»Wofür brauchstn’ die?«, fragt er sie am Ende – und über ihre Antwort kann Barth sich selbst präventiv schon halb totlachen, womit er die Enthüllung noch zwei weitere Minuten hinauszögert. Dann die Auflösung: »Und meine Freundin sagt: Die kann man so halten…«
Was man nun drehen und wenden kann, wie man will, aber es ist nach keiner denkbaren Definition eine Pointe. In der ganzen Geschichte des Witzeerzählens gibt es sicher kein ungünstigeres Verhältnis zwischen Vorlaufzeit und finalem Humorertrag – und so funktioniert die ganze Show. Dafür fliegen dem Mann auf der Bühne aber tatsächlich alle Herzen zu, auch die weiblichen. Weil seine Geschichten über Mann und Frau so banal, so ungestaltet, so gänzlich form- und sinnlos sind, dass sie wahr sein könnten; weil man darin offensichtlich dem Leben lauscht, in all seiner furzenden und kalauernden Alltäglichkeit, und sich darin wiedererkennt.
»Die Sachen, die ich auf der Bühne erzähle, hab ich zu neunzig Prozent selbst erlebt«, behauptet Mario Barth. Und ja, in Nußloch gibt es tatsächlich ein »Betty Barclay Fashion Park Outlet«, das man bei Google finden kann. Also bitte.
Beginnende Glatze, leichter Rettungsring unterm Labber-T-Shirt, immer ein nicht lustiger Gute-Laune-Spruch auf den Lippen – Barth ist der laute, irgendwie unterhaltsame, aber nicht bedrohliche Kumpel in Perfektion. Neben ihm darf sich jeder ein bisschen kultivierter und schlauer fühlen. Er versammelt all jene im Land, für die sich ein klassisch guter Witz – kurze straight line, böse punch line – schon wieder zu künstlich, zu angestrengt, zu sehr nach elitärem Virtuosentum anfühlt. Das sind unfassbare Massen.
Wie ein Alchemist hat er eine Zauberformel gefunden, die den alltäglichen Dreck seines Lebens in Gold verwandelt, ohne dass er noch groß daran herumfeilen müsste. Und für alle, die finden, dass das ein bisschen arg leicht verdientes Geld sei, hat er einen freundlichen Rat auf Lager: Dann macht’s doch einfach genauso.
(Foto: dpa)