Wenn früher jemand mit der Berufsbezeichnung »Experte« angekündigt wurde, der gerade vor die Kameras einer Nachrichtensendungen oder Talkshow trat, war das nicht zuletzt eine Art Vorabentschuldigung der Fernsehmacher bei ihrem Publikum. Da war jetzt einer, hieß das, der möglicherweise nicht sehr telegen aussah, eher wie gerade aus dem Bett geklingelt; der sich sofort weitschweifig in Details verlor und nur durch scharfe Nachfragen zur Räson gebracht werden konnte; der am Ende, wenn sein Auftritt vorüber war, vielleicht nur unverständliches Zeug gesagt hatte. Egal. Er verfügte über ein Wissen, das sonst keiner hatte, er war eine Autorität auf seinem Gebiet – und genau deswegen musste er als Fremdkörper ins Fernsehsystem hereingeholt werden.
Diese Art des professoralen Experten gibt es zwar noch, aber er hat mächtige Konkurrenz bekommen. Immer mehr TV-Sender, zuerst in den USA, inzwischen aber auch in Deutschland, halten sich nun hauseigene »Experten«, die mit Bindestrich an ihre Anstalt gekoppelt sind. Nach jedem größeren Terroranschlag zum Beispiel bevölkern jetzt »Terrorismusexperten« den Bildschirm. »CNN Terrorism Analyst« Peter Bergen, »ZDF-Terrorismusexperte« Elmar Theveßen, die ARD hält sich mindestens Joachim Wagner, Holger Schmidt, und so fort. Diese Leute sehen meist recht proper aus, wie ganz normale Fernsehjournalisten, sie reden flüssig und nicht zu kompliziert, wie man’s als Fernsehjournalist gelernt hat, kurz gesagt: Sie sind ganz normale Fernsehjournalisten. Dass sie nun insistierend als »Experten« verkauft werden, ist allerdings das Symptom eines Vertrauensverlusts.
Denn mal ehrlich: Jeder Journalist eines größeren Mediums, der eine klar umrissene Aufgabe hat, ist selbstverständlich Experte auf seinem Gebiet. Ohne passendes Fachstudium geht in den meisten Ressorts schon lang nichts mehr, sodann beschäftigen sich viele Kollegen nur noch mit Teilgebieten wie Automobilindustrie, Gentechnik oder Klassischer Musik. Je einflussreicher ein einzelner Autor in seinem Fach wird, desto weniger ist es nötig, ihn hausintern mit dem Zusatz »Experte« zu versehen. So war es zumindest bisher.
Erst in dem Moment, in dem einer vielleicht die tägliche journalistische Arbeit aufgab, um als Buchautor sein Glück zu versuchen, konnte er als externer »Experte« dann wieder als Gast im System auftauchen – wie z.B. Peter Scholl-Latour, der aber neulich bei Anne Will schon ausdrücklich darauf beharrte, nicht »Terrorismusexperte« genannt zu werden.
Was also zeigt der Boom des nun allseits strapazierten »Experten« aus eigenem Hause? Im Grunde ist es ein Ausdruck der Hilflosigkeit. Als Folge von 9/11 sahen sich auch die Sender zur Aufrüstung gezwungen und erfanden den allzeit bereiten Terrorfachmann: Elmar Theveßen, unsere Antwort auf Osama bin Laden.
Viel zu viele Journalisten, die sich mit der kritischen Information über Ermittlungsbehörden und Geheimdienste beschäftigen sollten, haben sich dann aber durch ihr teilnehmendes Gebrabbel zum »War on Terror« als ahnungslos offenbart – am Ende fehlten nicht nur Saddams Massenvernichtungswaffen, auch die Glaubwürdigkeit der Berichterstatter war dahin.
Bushs Täuschungssystem wirkte in einer Hinsicht eben doch aufklärerisch – darin nämlich, dass man angeblichen »Insidern« nun besser gar nichts mehr glaubt. Nicht viel besser ging es übrigens der Bruderdisziplin, den Militärexperten, denen das Kunststück gelang, mit nahezu jeder Vorhersage zum Irakkrieg danebenzuliegen. Seither blinzeln wir eher müde, wenn Herr Theveßen wieder »Informationen aus Geheimdienstkreisen« zitiert und Herr Wagner von Hinweisen spricht, die »offiziell dementiert werden«. Jungs, denken wir da, ihr habt doch auch keine Ahnung – kein Wunder, dass ihr euch jetzt Experten nennen müsst.