Die letzte Aufregung um Claus Kleber rückt eine Instanz des Fernsehens neu ins Blickfeld: den TV-Moderator der Hauptnachrichtensendung. Der englische Begriff »Anchorman« drückt es treffend aus: Entscheidend ist hier nicht die Funktion, ein verbindendes Element zwischen unterschiedlichen News-Beiträgen zu sein – sondern vor allem die Kunst, mit der ganzen Persönlichkeit für eine bestimmte, nicht näher erklärbare Weltsicht einzustehen.
Nur durch diese geheimnisvolle Qualität kann ein Nachrichtenmoderator tatsächlich zum »Ankerpunkt« eines Fernsehabends werden und im Chaos der Meldungen seinen Standort behaupten. Der gescheiterte Versuch, Claus Kleber zum Chefredakteur des Spiegel zu machen, zeugt vom steigenden Wert dieses identitätsstiftenden Charismas in allen Medien. Die ereignislose Ruhe um Klebers Tagesthemen-Kollegen Tom Buhrow dagegen wirft allmählich die Frage auf, ob er nach bald 15 Monaten im Amt wirklich den Sprung zum »Anchorman« geschafft hat.
Als Geburtsstunde des Phänomens im deutschen Fernsehen kann der Amtsantritt von Hanns Joachim Friedrichs in den Tagesthemen im Oktober 1985 gelten – vor allem deshalb, weil damals der Moderator zum Mitglied der Redaktion erhoben und damit offiziell von seiner nur dienenden Funktion befreit wurde. Wenn man im Archiv für diesen Monat nach seinem Namen sucht, findet man nur einen einzigen Artikel über seine Persönlichkeit: in der Bunten. Der Rest der Presse befasst sich mit den Änderungen im Format und notiert nur am Rande den neuen Moderator.
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Friedrichs war damals 58 Jahre alt und ein sehr bekannter TV-Haudegen. Trotzdem wäre niemand auf die Idee gekommen, seitenlang über seine Nase, seine Körpergröße und seine Käse-Vorlieben zu berichten. So konnte er ungestört zum »Mister Tagesthemen« reifen.
Sabine Christiansen hatte es schwer gegen ihn, wurde als »Maus« und »Ex-Stewardess« verhöhnt und stand im Verdacht, ihre Texte nicht selbst zu schreiben. Trotzdem etablierte sie, in ihrer unbeirrbar kühlen Art, ein erfolgreiches Gegenmodell, an dem sich fortan die Frauen orientieren mussten. Im Juli 1991, als Ulrich Wickert kam, wurde seine Eignung schon vorab extensiv untersucht. Ungezählte Artikel hinterfragten nicht seine journalistischen Qualitäten, sondern seine Persönlichkeit. Sein Glück war, dass er eine hatte, gewillt war, endlos über sein Vorleben in Frankreich und sein mühsam erworbenes »Savoir-vivre« zu reden, und man ihm schließlich alles vorwerfen konnte, nur nicht, ein Mann von gesichtsloser Glätte zu sein.
So gelang das Kunststück, den Nimbus des Amts fast vollständig auf ihn zu übertragen. Sein Nachfolger Tom Buhrow, der vor seinem Start schon laut überlegte, was er Wickerts »geruhsamer Nacht« entgegensetzen könnte, zeigte damit zwar Problembewusstsein, fand am Ende aber keine Lösung.
Was ihm und seiner Kollegin Caren Miosga fehlt, und damit zunehmend schmerzlich den ganzen Tagesthemen, lässt sich nur schwer definieren. Kompetenz und Natürlichkeit sind es nicht unbedingt – aber diese Qualitäten waren auch für Christiansen nicht entscheidend. Eher sind sie immer mehr Funktionsträger und immer weniger »Typen«. Der Schatz an gelebtem Leben, über den in solchen Positionen verfügt werden kann, wird offenbar von Jahr zu Jahr kleiner. Wickert war genauso alt wie Buhrow, als er bei den Tagesthemen begann, aber sein Gesicht erzählte schon damals ungefähr tausend Geschichten, Buhrows bis heute eher keine.
War’s das also? Oder: Was kann heutzutage überhaupt noch helfen auf dem Weg zur Fernsehpersönlichkeit? Eine Aura von Geheimnis zum Beispiel vielleicht – wie Anne Will sie bis vor Kurzem noch hatte. Oder jener Schuss Wahnsinn, der zuletzt Claus Kleber zum »Anchorman« reifen ließ: In ihm scheint jeden Abend eine unbändige Eitelkeit gegen den eisernen Entschluss anzukämpfen, sich nichts anmerken zu lassen – und gerade das macht ihn unverwechselbar.