»Manchmal muss man eben skrupellos sein«

Stefan Dudzus arbeitet seit mehr als 40 Jahren als Privatermittler in Berlin. Er überführt untreue Ehepartner und spürt entführte Kinder auf. Doch beim Fall seines Lebens wünscht er sich, er hätte ihn nie gelöst.

Privatdetektiv im Profil: Stefan Dudzus aus Berlin 

SZ-Magazin: Herr Dudzus, erzählen Sie uns vom Fall Ihres Lebens?
Stefan Dudzus: Eine Frau kam 1986 in mein Büro in West-Berlin. Nennen wir sie Frau A. Ihre Begleitung war ihr Lover. Ein berühmter Berliner Anwalt aus der Schicki-Micki-Szene. Nennen wir ihn Herr S. Die beiden waren total aufgeregt und bereit, mir jede Summe zu zahlen. Sie sagten, dass die Kinder von Frau A. entführt worden seien. Von deren Vater. Den nennen wir hier Herr W.

Wer war dieser Herr W.? 
Ein Promi-Zahnarzt aus Berlin. Er hatte das Sorgerecht an seine Ex-Frau A. verloren. Damals war es üblich, dass die Mütter das alleinige Sorgerecht erhielten. Aber Herr W. wollte nicht, dass seine Kinder dem Einfluss ihres neuen Mannes, dem Anwalt Herr S., ausgesetzt waren. Deshalb entführte er die Kinder.


Warum wollte er seine Kinder vor S. schützen?
Herr S. war ein in Berlin berüchtigter Anwalt und Bauunternehmer. Später war er in eine Korruptionsaffäre verwickelt und soll sogar einen Mord beauftragt haben. In West-Berlin war er bekannt für krumme Dinger. Einmal war ich in seinem Wohnzimmer. Auf dem Tisch stand zur Begrüßung der Gäste eine Schale voll mit Kokain. Aber das wusste ich natürlich alles nicht, als ich den Auftrag annahm.

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Wohin führte Ihre erste Spur?
Die Spur zum Kindesvater führte ins Münsterland. Ich hatte einen Tipp bekommen, dass er dort im Krankenhaus läge. Während der Flucht mit den Kindern war er offenbar krank geworden. Ich fuhr über die Transitstrecke in den Westen und schlich mich ins Krankenhaus. Da lag Herr W. mit Tropf im Arm. War wohl nur ein Routineeingriff. Aber so wusste ich, dass er erstmal außer Gefecht war.

Jetzt hatten Sie den Entführer gefunden. Aber wo waren die Kinder?
Ich spürte die Mutter von Herrn W. auf. Sie wohnte in der Nähe der Klinik, in der ihr Sohn lag. In Münster kaufte ich mir einen Arztkittel. Bei einem Schlüsseldienst ließ ich mir ein Schild machen, auf dem »Dr. Dudzus« stand. Ich fuhr zu seiner Mutter und gab mich als Arzt aus. Ich erfand irgendwas über seinen Zustand und fragte beiläufig nach den Kindern.


Das ist ziemlich skrupellos.
Auf jeden Fall. Detektiv zu sein, ist ein emotional harter Job. Manchmal muss man eben skrupellos sein. Ein bisschen Illegalität kann helfen, legale Zustände wieder herzustellen. Das gehört zum Job. Die Mutter von Herrn W. hat mich allerdings später für diese Täuschung verklagt, ich musste 5000 D-Mark bezahlen. Zurecht, wie ich heute finde.

Woher kommt dieser Sinneswandel?
Aus der Erfahrung von mehr als 40 Jahren Ermittlertätigkeit.

Gibt es auch Dinge, die Sie nicht tun würden?
Häufig kommen Familien zu mir, die sagen, ihre Tochter sei abgehauen. Dann frage ich immer zuerst, wie alt die Tochter sei. Oft kommt die Antwort: Über 18. Dann sage ich: Ich werde ihre Tochter finden. Aber dann werde ich sie Ihnen nicht zurückbringen. Wenn die Tochter zustimmt, dann stelle ich ein Treffen auf neutralem Boden her, bei dem ich anwesend bin. Dann können Vater und Tochter reden. Aber nur, wenn die Tochter das will.

Wo ziehen Sie sonst noch Grenzen?
Es kommt immer auf das berechtigte oder rechtliche Interesse des Auftraggebers und auf den Kontext an. Es kommen Menschen zu mir, die haben jemanden gesehen, den sie gut finden. Dann wollen sie, dass ich diesen Schwarm aufspüre. Ich tue das. Sage aber niemals, wo sich diese Person aufhält, wo sie arbeitet oder wohnt. Der Auftraggeber darf einen Brief schreiben. Mit einem Foto von sich. Den händige ich aus. Einmalig. Wenn nichts zurückkommt, dann hat der Auftraggeber Pech gehabt. Dann will die andere Person einfach keinen Kontakt und dabei bleibt es auch. Ich lasse sie in Ruhe und bohre nicht weiter. Für kein Geld der Welt. Detektive wollen Stalkern schließlich keinen Vorschub leisten.

Zurück zum Fall von Herr W. und Frau A. Fanden Sie über die Großmutter die Kinder?
Sie sagte mir, dass das Kind in einem Krankenhaus in Ahlen läge. Auch das Kind war also auf der Flucht krank geworden. Ich fuhr hin. Aber ich war zu spät. Die Großmutter hatte nach meinem Besuch ihren Sohn, Herrn W., angerufen und so wusste sie, dass ich kein echter Arzt war. Herr W. war vor mir am Krankenhaus in Ahlen und holte das Kind ab. Ich stand wieder bei null.

Wo spürten Sie die Kinder schließlich auf?
Meine Mitarbeiter und ich haben den Vater überwacht und in seinem Freundeskreis recherchiert. Da bekamen wir den Hinweis, dass die Kinder in Bremerhaven sind. Gleichzeitig druckte die Bild damals eine ganze Seite mit dem Fall. Herr S., der Anwalt und Lover der Mutter, hatte seine Kontakte spielen lassen. Daraufhin kamen Hinweise aus der Bevölkerung. Die Polizei holte dann die Kinder ab. Herr W. wurde später zu einer Bewährungsstrafe wegen Kindesentziehung verurteilt.

Sie spürten den Täter also gleichzeitig mit der Polizei auf. Wie geht es Ihnen heute mit diesem Fall?
Gemischte Gefühle. Klar, man darf keine Kinder entführen, auch nicht die eigenen. Aber am Ende sehen die Dinge oft ganz anders aus. Die Kinder wurden Frau A. zurückgebracht. Nach zwei Wochen wurde Herrn S. und ihr das Leben als Eltern zu langweilig. Sie brachten die Kinder zu ihren Großeltern und kümmerten sich nicht mehr um sie.

Woher wussten sie das?
Ich habe Herrn W. später kennengelernt. Er war ein ernsthafter, hart arbeitender Mann mit absolut verantwortungsbewusstem Handeln. Er erzählte mir seine Sicht der Dinge und berichtete auch, wie das Leben seiner Kinder bei den Großeltern und der Mutter verlief. Das war die Seite, die ich zuvor nicht gesehen hatte. Heute ermittle ich immer erst gegen meine Auftraggeber, damit ich nicht vor den falschen Karren gespannt werde.

Wie ging es weiter mit den beiden?
Herr S. setzte sich wegen seiner Machenschaften nach Südamerika ab. Frau A. wurde in Kopenhagen aufgegriffen, mit 250.000 D-Mark, die sie ihm schicken wollte. Ein paar Jahre später spürte ein BKA-Zielfahndungskommando Herrn S. an der Copacabana in Brasilien auf, brachte ihn zurück nach Berlin.

Wie ging es mit den Kindern weiter?
Keine Ahnung. Als ich sie aufgespürt hatte, endete mein Fall.

Warum war dieser Fall so prägend für Sie?
Als ich Herrn W. später persönlich begegnete und wir uns unterhielten, kam ich zum ersten Mal ins Grübeln. Hatte das Gericht die richtige Entscheidung getroffen, Herrn W. zu bestrafen? Hatte ich dazu beigetragen, dass einem eigentlich guten Vater die Kinder entrissen wurden? Heute bin ich mir sicher: Er hätte sich gut um sie gekümmert. Soweit ich weiß, hat die Mutter das nicht getan. Damals dachte ich immer, es gibt Recht und Unrecht. Er hat die Kinder entführt, also hat er Unrecht getan. Heute sehe ich die Welt differenzierter, mehr in Graustufen, nicht mehr nur schwarz und weiß. Mittlerweile entscheide ich ausschließlich aus der Sicht der Kinder, von wem ich mich engagieren lasse.

Haben Sie auch Fälle mit Happy End?
Ja, klar. Eine Frau hatte Angst, dass ihr Ehemann sie auf einer jährlichen stattfindenden Geschäftsreise betrügt. Jedes Jahr flog er auf die Insel Gomera, seit neun Jahren. Ich flog ihm hinterher und observierte ihn. Checkte im selben Hotel ein. Bereits am zweiten Abend sah ich ihn zufällig in der Morgendämmerung auf seinem Balkon, voll in Leder gekleidet, Klammern in den Brustwarzen, bei SM-Spielchen mit einer anderen Frau. Seiner Sachbearbeiterin vom Finanzamt, wie sich später herausstellte.

Was taten Sie dann?
Ich reiste zurück nach Berlin und erzählte meiner Auftraggeberin, dass ihr Mann auf die härtere Gangart beim Sex steht und diese auf Gomera auslebt. Für sie brach anfangs eine Welt zusammen. Ich konnte sie jedoch beruhigen und wir entwickelten gemeinsam einen Plan, um die Ehe zu retten.

Und der war?
Wir holten ihren Mann gemeinsam am Flughafen Tegel ab. Sie trug ein komplettes SM-Outfit. Ihrem Mann fielen die Augen aus dem Kopf. Dann sagte sie trocken: »Wir warten jetzt auf deine Freundin.« Als die Sachbearbeiterin aus der Flughafenkontrolle kam, begrüßte meine Auftraggeberin sie mit den Worten: »Ich bedanke mich bei Ihnen, dass sich mein Mann in Ihrer Obhut immer so gut erholt hat, aber ab jetzt lassen Sie die Finger von ihm. Die Qualen, die er so liebt, erhält er zukünftig von mir.« Dann nahm sie ihn bei der Hand und sagte: »Wir gehen jetzt an einen Ort, der wird Dir gefallen.« Die beiden haben sich dann unter ihrem Dach eine komplette SM-Location eingerichtet – vom Andreaskreuz bis zum Käfig. Ich sage immer, dass Menschen miteinander reden und Hemmungen überwinden müssen. Leider sind viele Männer dazu zu feige.

»Ich fighte für die Kinder. Dass ich dabei meine Gesundheit aufs Spiel setze, das ist okay für mich«

Noch heute klären Sie hauptsächlich Kindesentführungen auf. Zudem rufen Sie auf Youtube gerade zu Spenden für einen Mandanten auf, dessen Kind mutmaßlich nach Albanien entführt wurde. Warum?
Der Junge wird jetzt vier Jahre alt. Die Mutter hatte ihn als Kind misshandelt und im März 2022 entführt. Sie ist extrem bindungsgestört und kontrolliert jeden Schritt des Kindes. Der Vater ist bodenständig, ein Schornsteinfeger, und verzweifelt. Ich habe das Kind in Albanien aufgespürt. Dem Vater ist aber bei der Suche nach dem Kind das Geld ausgegangen. Er kann die Gerichtskosten nicht mehr bezahlen. Jetzt helfe ich ihm dabei, Spenden zu sammeln.

Wie schaffen Sie es, diese Geschichten nicht zu nahe an sich heranzulassen?
Gar nicht. Ich habe elf Herzkatheter hinter mir. Mir wurden schon 19 Stents gesetzt. Mich nehmen diese Geschichten richtig mit. Ich fighte für die Kinder. Dass ich dabei meine Gesundheit aufs Spiel setze, das ist okay für mich.

Aber warum wollen Sie so leben?
Es gibt Menschen, die Hilfe brauchen und ich bin einfach ziemlich gut in meinem Job als Detektiv. Es ist wie ein Schachspiel mit einem Gegner, der mit den weißen Figuren schon fünf Züge Vorsprung hat. Ich liebe die Herausforderung. Ich fühle mich gebraucht und wenn ich meinen Job erfolgreich erledigt habe, erfüllt mich das. Deshalb will ich auch noch nicht aufhören.

Wann dachten Sie zum ersten Mal: Ich will Detektiv werden?
Das ist keine Entscheidung, die man in der Berufswahl nach der Schule trifft. Meinen ersten unnatürlichen Tod habe ich mit zwölf Jahren aufgeklärt. Ich bin in einer Siedlung im Berliner Wedding aufgewachsen. Eines Tages lag vor unserem Haus eine tote Katze. Das hat mich sauer gemacht. Ich wollte wissen, wer sie überfahren hat. Mein Bruder und ich zogen uns Cordwesten an, schnappten uns Taschenlampen und spielten Sherlock Holmes.

Waren Sie erfolgreich?
Zwei Tage lang stromerten wir in der Siedlung umher. Wir checkten die Reifen jedes Autos. Und dann fanden wir einen Wagen, an dem Blut und Reste von Tierfell klebten.

Erzählten Sie Ihren Fahndungserfolg dann Ihren Eltern?
Nein. Wir machten die Ventile kaputt und ließen die Luft aus den Reifen. Der Nervenkitzel und das Adrenalin in Blut können süchtig machen.