SZ-Magazin: Sie waren von 1980 bis zu Ihrer Pensionierung 2014 Kriminalhauptkommissar und Experte für Kunstfälschungen beim LKA Baden-Württemberg. Sind Sie mit dem Gedanken zur Polizei gegangen, in diesem Bereich zu arbeiten?
Ernst Schöller: Nein. Ich fing 1974 bei der Polizei an, und im Rahmen der Ausbildung lernte ich ganz unterschiedliche Bereiche kennen, Einbruch, Diebstahl, Rauschgift, Staatsschutz. Dann erfuhr ich, dass es beim LKA die Dienststelle Kunst und Antiquitäten gab. Dort bewarb ich mich 1980, weil ich die Möglichkeit sah, mein Hobby mit dem Beruf zu verbinden. Ich war schon immer kunstaffin, hatte ein ausgeprägtes Interesse an moderner Kunst, habe auch immer mal auf dem Flohmarkt nach Kunstwerken geguckt, oder die antiken Nachttischchen meiner Oma restauriert.
Wie sah Ihr Aufgabenbereich damals aus?
Es ging damals noch nicht so sehr um Kunstfälschungen, sondern mehr um Kunstdiebstahl. Hoch im Kurs bei den Dieben standen damals Antiquitäten, Perserteppiche und vor allem sakrale Kunst. Es gab Diebesbanden, die den gesamten süddeutschen Raum heimsuchten, Kunst aus Kirchen, Kapellen und Kreuzwegstationen klauten und diese dann aus dem Kofferraum weiterverkauften. Mitunter wurde die Kunst auch verändert, um die Ermittlungen zu erschweren. Einmal hoben wir eine Bande auf einem Landsitz aus. In der Scheune hatten sie eine Werkstatt, in der dutzende sakrale Figuren lagerten. Denen sägten sie dort die Köpfe und Gliedmaßen ab, um diese auf die Torsi anderer Heiligenstatuen zu setzen. So entstanden neue Statuen, die für uns Ermittler kaum mehr zuzuordnen waren.
Und der Fokus verlagerte sich mit der Zeit auf Fälschungen?
Ja, etwa Mitte der Achtziger. Der erste bekannte Fall war Wolfgang Lämmle, ein Stuttgarter Künstler und gelernter Drucker. 1988 wurde er hochgenommen, in der Vernehmung sagte er zu mir: »Wissen Sie, Herr Schöller, für meine eigenen Bilder bekomme ich 500 Mark. Wenn ich aber einen entsprechenden Künstlernamen draufschreibe, bekomme ich 5000 Mark.« Er konnte der Versuchung nicht widerstehen. Ende der Achtziger, Anfang der Neunziger waren Fälschungen dann das bestimmende Thema. 1992 stellten wir über einen Kunsthandel im Raum Stuttgart ca. 2500 Dalí-Grafiken als Fälschungen sicher, deren Herkunft wir - über die Schweiz und über Südfrankreich- bis nach New York nachweisen konnten. Dort entdeckten wir in einer Lagerhalle fast 80.000 gefälschte Druckgrafiken von Dalí, Miró, Picasso und Chagall. Dalí galt damals als der meistgefälschte Künstler der Welt, auch, weil es von ihm kein umfassendes Werkverzeichnis gab. Es konnte also jeder, der wollte und ein bisschen Know-how hatte, etwas produzieren, das nach Dalí aussah, das Bildsignieren, mit einer fiktiven Nummer versehen – und kein Händler, Käufer oder Sammler konnte im Werksverzeichnis nachprüfen, ob es echt ist.
Erinnern Sie sich an Ihre erste entdeckte Fälschung?
Ja, bei einem italienischen Gastwirt im Schwarzwald. Er betrieb eine Pizzeria und handelte nebenher ein wenig mit Kunst. Es gab einen Tipp von einem Auktionshaus, dass etwas nicht ganz sauber war. Wir fanden bei ihm gefälschte Gouachen von Paul Klee und Pablo Picasso, die er immer wieder bei Auktionshäusern unterzubringen versuchte, obwohl diese ihm teilweise schriftlich bestätigten, dass es sich um Fälschungen handelte. Die waren übrigens sehr plump, schon an der fürchterlichen Picasso-Signatur zu erkennen. Aber ob er sie selbst gefälscht hatte oder nur verkaufen wollte, war schwer zu ermitteln. Glücklicherweise hatten wir den Schriftverkehr mit den Auktionshäusern, der belegte, dass er um die Fälschungen wusste. Das war entscheidend, einen Kunstfälschungsparagrafengibt es im Strafgesetzbuch nämlich gar nicht. Man braucht, um hierzulande Kunstfälscher zu überführen, Hilfsparagrafen. Also etwa die Urkundenfälschung, wenn der Fälscher das Bild signiert. Oder eben Betrug, wie im Falle des Gastwirts.
Worauf achtet man, wenn man ein möglicherweise gefälschtes Bild unter die Lupe nimmt? Was sind die Arbeitsschritte?
Das Allerwichtigste ist das eigene Auge. Das Objekt wirklich ansehen – und das, was man sieht, mit der Frage abgleichen, ob es logisch ist, was man sieht. Wenn eine Leinwand auf einen Keilrahmen aufgenagelt ist, aber die Nägel sind neu, ist das dann logisch? Es könnte natürlich sein, dass das Bild neu aufgespannt wurde. Aber dann müssen auch Spuren der alten Nagelung vorhanden sein. Oder die Altersspuren. Ist es logisch, dass Altersflecken auch unter dem Rahmen zu finden sind, wo das Licht gar nicht hinkommt? Häufig gibt es auf der Rückseite des Rahmens auch Aufkleber, die zeigen, in welchen Galerien oder Museen das Bild hing oder wie und von wem es transportiert wurde. Solche Aufkleber sind nicht ungewöhnlich, können aber Verdachtsmomente sein. Denken Sie an den Fall Beltracchi.
Der berühmte Fälscher Wolfgang Beltracchi, der 2011 aufflog.
Genau. Den ersten Verdacht gegen ihn gab es, weil er auf der Rückseite eines Bildes einen Aufkleber des Galeristen Alfred Flechtheim verwendete, der bis dahin unbekannt war und anders aussah, als die bekannten Flechtheim-Aufkleber. So etwas passiert immer wieder: Warum sollte auf einem Van Gogh hinten eine alte Eintrittskarte des Stedelijk-Museums kleben? Und würden Sie, wenn Sie einen unbezahlbaren Rembrandt besitzen, einen Aufkleber eines Transportunternehmens auf den Rahmen kleben?
Sollte ich je in die Situation kommen, wohl eher nicht.
Eben. Es ist nicht logisch. Es gibt also einerseits die wissenschaftliche Beurteilung: Ist die Leinwand zuneu? Ist das Holz falsch? Passen die Maße? Sind die Pigmente maschinell hergestellt? Denn dann sind sie immer gleichgroß, wohingegen handgeriebene Pigmente immer unterschiedlich groß sind. Und dann gibt es die kunsthistorische Beurteilung: Stimmen der Malstil, der Pinselaufstrich? Sind da Fehler im Motiv? Oder Fehler bei der Nummerierung? Passt die Signatur zur Schaffensphase? Da kooperiert die Polizei immer sehr eng mit Gutachtern und Museen. Und es gibt ja nicht nur Fälschungen, es werden auch echte Bilder verfälscht.
Wie das?
Indem die Fälscher echte alte Bilder kaufen und entsprechend der Marktlage verändern. Ein Beispiel: Vor 15 bis 20 Jahren herrschte ein regelrechter Hype um Bilder der russischen Avantgarde. Und so tauchten auf dem Markt Bilder auf, bei denen wir feststellen konnten, dass es zwar echte alte Bilder von europäischen Malern waren, die allerdings jemand auf Russisch umfrisiert hatte. Landschaftsbilder, denen Birken hinzugefügt worden waren, um es nach russischer Tundra aussehen zu lassen. Oder ein Kirchturm, der um ein koptisches Kreuz ergänzt worden war. Ein paar Pinselstriche nur, aber beim Verkaufspreis konnte man dadurch eine Null dranhängen – und aus 30.000 Euro wurden 300.000 Euro. Ich erinnere mich an eine Versteigerung von 55 Bildern der russischen Avantgarde in einem Auktionshaus. Sie wurden alle versteigert. Und im Nachhinein stellte sich heraus, dass alle 55 gefälscht waren.
Was sind die Arbeitsmaterialien eines Kunstfälschungsfahnders?
Zunächst nur eine Lupe und ein Maßband. Sehr viel mehr als ansehen und ausmessen kann ich im Auktionshaus ja auch nicht. Alle Methoden darüber hinaus sind laborgebunden. Röntgenstrahlen, Mikroskope, Pigmentbindemittel, Papieranalysen, dendrochronologische Untersuchungen. Da ist mittlerweile viel möglich. Man kann zum Beispiel die Holzrahmen untersuchen und durch die Ringe im Holz nicht nur ihr Alter feststellen, sondern auch, woher das Holz stammt. Da gibt es umfangreiche Datenbanken. Wenn Sie dann drei Bilder von 1800 haben, aus Deutschland, Frankreich und Österreich, aber das Rahmenholz bei allen dasselbe ist, ist das ein Verdachtsmoment. Denn dass Holz aus Polen genau um 1800 in halb Europa auftauchte und für Bilderrahmen verwendet wurde, ist sehr unwahrscheinlich.
Hatten Sie besonders kuriose Fehler, die Fälscher machten?
Wir hatten einen Fall, bei dem der Fälscher sich nicht mit römischen Zahlen auskannte und einen Picasso falsch nummerierte, weil er nicht in der Lage war, 85 in römischen Zahlen zu schreiben. Wir haben auch mal eine Fälschung schon im Internet als solche erkannt, auf der Homepage eines großen New Yorker Auktionshauses. Dabei ging es um Marc Chagalls berühmte »Blätter für die Bibel«. In einem Interview hatte Chagall gesagt, dass er diese Serie nur ganz klein signiert habe, um den religiösen Charakter der Bilder nicht zu stören. Auf dem Bild auf der Homepage sah man aber eine große Chagall-Signatur quer über das Bild. Da war klar, dass etwas nicht stimmt.
»Wenn Sie einen Giacometti vor sich haben, braucht es tiefergehende Materialuntersuchungen«
Wie findet man denn überhaupt die Fälle?
Informanten, Tipps, Recherche. Vor vielen Jahren traf ich auf einer Antiquitäten- und Kunstmesse einen Händler, zu dem ich bereits ein gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte. Er wollte mich unbedingt sprechen, sagte dann beim Kaffee aber nur: »Es gibt viele schöne norddeutsche Möbel hier in diesem Jahr.« Das war für mich ein Tipp, also bin ich zur Messeleitung und habe mir die Ausstellerlisten besorgt und nachgesehen, welche Aussteller aus Norddeutschland antike Möbel anboten. Das waren nur drei. Deren Möbel habe ich dann etwas genauer unter die Lupe genommen. Dabei fielen mir ein Schrank von 1617 und ein Tabernakelsekretär von etwa 1700 auf – angeboten jeweils für einen sechsstelligen Betrag. Bei genauerer Betrachtung bemerkte ich die Holzwurmlöcher. Befallen Holzwürmer Holz, fressen sie sich natürlich in die Tiefe, es gibt normalerweise also nur kleine Löcher. Bei diesen Möbeln waren aber längliche, quer verlaufende Holzwurmgänge zu sehen, was darauf schließen ließ, dass jemand gezielt holzwurmbefallenes Holz benutzt hat, um das Möbelstück alt aussehen zu lassen. Denn das würde ja der Originalkünstler oder auch ein Restaurator nie machen. Und so war es auch. Wir kauften die Möbel, an der Kasse zückte ich meinen Dienstausweis – und Schrank und Sekretär stehen heute im LKA als Aktenschränke.
Der Fall Ihres Lebens sind aber gefälschte Skulpturen des Schweizer Bildhauers Alberto Giacometti, von dem die teuersten Skulpturen der Geschichte stammen. Wie fing dieser Fall an?
Wir ermittelten seit 2003 wegen 16 gefälschter Giacometti-Bildhauereien, 2007 kam es zu einem Verfahren gegen drei Männer. Während der laufenden Verhandlung, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, erfuhren wir davon, dass erneut falsche Giacomettis angeboten wurden. Diesmal von einer vierten Person, jemand, der sich als Graf ausgab, und dem wir Kontakte zu einem der Angeklagten, einem Kunsthändler aus Mainz, nachweisen konnten. Also nahmen wir Ermittlungen auf und stellten über einen verdeckten Ermittler, der sich als Interessent ausgab, den Kontakt her. Es kam zu einem Treffen in einem Flughafenhotel in Frankfurt. Dort präsentierte uns der »Graf« etwa 15 Giacometti-Skulpturen, die wir ihm für mehrere Millionen abkauften. Er wurde noch in der Hotellobby verhaftet, genauso wie der Kunsthändler und seine Ehefrau.
Was machte diesen Fall so besonders?
Die Betrüger hatten sich eine ausgeklügelte Geschichte zu den Fälschungen überlegt. Der Graf, der keiner war, gab sich als »Reichsgraf von Waldstein« aus und behauptete, ein Freund von Alberto Giacomettis Bruder Diego zu sein. Eigentlich war er ein Bahnarbeiter aus der ehemaligen DDR. Interessierten Käufern erzählte er, dass Diego Skulpturen seines Bruders beiseitegeschafft hatte. Um diese Geschichte zu stützen, hatten die Betrüger sogar ein Buch drucken lassen, »Diegos Rache«, in dem diese Geschichte scheinbar belegt war.
Wie ging es weiter?
Über die Kontobewegungen des Kunsthändlers stießen wir auf einen Lagerraum in Mainz. Darin fanden wir über 1000 gefälschte Giacometti-Figuren. Das waren relativ gute Fälschungen. Giacometti macht es Kunstermittlern sowieso nicht leicht, weil es auch bei ihm kein abschließendes Werksverzeichnis gibt. Wenn Sie also einen Giacometti vor sich haben, braucht es tiefergehende Materialuntersuchungen. Aber wenn Sie wissen, dass in ganz Europa pro Jahr nur etwa vier bis fünf Giacomettis gehandelt werden, und dann machen Sie einen Keller auf und stehen vor tausend Skulpturen, ist relativ schnell klar, dass es sich um Fälschungen handelt. Trotzdem mussten wir jede Figur begutachten lassen. Wir haben uns auch mit den Gießereien in Verbindung gesetzt, bei denen Giacometti damals seine Skulpturen gießen ließ. Eine Firma hatte noch die alten Gussprotokolle, in denen für jede Figur die Größe, das Gewicht etc. verzeichnet waren. Der alte Gießer kam persönlich mit den Protokollen nach Mainz und glich sie mit den Figuren ab. Sie hatten diese Figuren nie gegossen.
Was macht man mit tausend falschen Giacomettis?
Wir haben sie spektakulär zerstört. Die tausend Skulpturen wurden samt und sonders eingeschmolzen, bis auf jeweils ein Exemplar pro Motiv und Größe, die wir für einen direkten Vergleich behielten, sollten weitere Fälschungen auftauchen. Die Gipsformen für die Abgüsse haben wir mit einem Bagger zerstört. Dabei bestätigte sich noch einmal, dass es sich um Fälschungen handelte. In den Gipsen waren nicht nur Drahtgestelle, sondern auch Kunststofffäden, die es zu Giacomettis Zeiten noch gar nicht gegeben hatte. Ebenso fanden wir Zeitungsreste in den Gipsen. Über die Wortfolge der erkennbaren Satzfetzen konnten wir ermitteln, dass es sich dabei um eine niederländische Zeitung aus dem Jahr 2003 handelte – und nicht etwa um eine aus den Sechziger Jahren.
Der Fälscher wurde erst später gefasst. Warum?
Er war nach Thailand geflohen, wo er sich letztlich selbst verriet. Er hatte im Spiegel einen Artikel über Wolfgang Beltracchi gelesen, in dem dieser als der größte Fälscher der Geschichte bezeichnet wurde. Daraufhin rief er wutentbrannt in der Redaktion an, um sich zu beschweren, er sei nämlich der größte Fälscher der Geschichte. Er erklärte sich sogar bereit, einen Reporter zu empfangen. Bevor dieser Reporter nach Thailand flog, traf ich mich mit ihm und bat ihn, ein paar meiner Fragen einfließen zu lassen. Fragen, mit denen er, wenn er sie wahrheitsgetreu beantwortete, ein Geständnis ablegen würde. Und so kam es, er gab alles zu. Nicht nur die Giacometti-Fälschungen, sondern auch noch andere. Er prahlte richtiggehend, das Interview wurde später als eine Art Vernehmung mit in die Akten aufgenommen. Denn kurz darauf wurde er am Amsterdamer Flughafenverhaftet, er wollte Weihnachten bei seiner Familie verbringen. Er bekam fünfeinhalb Jahre Haft, der »Graf« neun Jahre und der Kunsthändler sieben Jahre. Es sind bislang die längsten Verurteilungen für Kunstfälscher in Europa.