Ihr erstes gemeinsames Produkt sollte eigentlich das letzte bleiben. Der Recycled Racer war eine Art Jogginghilfe, ein hüfthohes Gestell aus Baumarktplunder, pink angemalt und auf einen Gummireifen montiert. Zur Premiere an der Universität Adelaide zogen sich die Zweitsemester Emma Aiston und Daniel To auch noch rosa Hemden über. »Bei der Präsentation fiel das Ding auseinander. Grauenhaft! Peinlich!« Die 27-jährige Emma lacht bei der Erinnerung. »Wir beschlossen, nie wieder etwas zusammen zu entwerfen.«
Zum Glück änderten die Australier ihre Meinung, ebenso ihren Stil und ihre Qualitätsansprüche. Inzwischen sind sie ein Ehepaar und gehören zu den meistbeachteten jungen Industriedesignern ihres Landes. Innerhalb der vergangenen sechs Jahre bestritten sie zwei Dutzend Ausstellungen und gewannen Australiens wichtigste und einige internationale Preise. Für Objekte, die simpel sind und robust, selten größer als eine Faust, dafür oft überraschend: das Gefäß, das nicht von einem Deckel, sondern von vier Kunstharzkugeln bedeckt wird; der Zylinder, der Nadeln hält; der magnetische Holzturm, an dem Büroklammern haften. Produkte von Daniel.Emma sind Alltagsutensilien, die nicht mehr sein wollen, als sie sind – und doch meist viel mehr halten, als sie versprechen.
Die beiden leben in Adelaides Vorort Rosewater: Papageien jagen Krähen durch Eukalyptusbäume, der Postbote macht per Moped seine Runde. Vom gewölbten Verandadach blättert der Anstrich auf verblühte Tomaten, Dackel Frankie bewacht im Garten die Werkstatt aus Wellblech. Emma Aiston öffnet die blaue Holztür. Das einstige Arbeitercottage liegt 25 Minuten vom Zentrum entfernt, in zehn Minuten ist man mit dem Fahrrad an einem der weißen Strände der südaustralischen Hauptstadt. In Berlin oder Sydney wäre so eine Gegend das nächste Hipster-Revier.
»Vielleicht wäre es anderswo leichter«, sagt Daniel To, der nach der Uni mit Emma zwei inspirierende Jahre in London verbracht hat, mit Praktika bei Marc Newson und Thorsten van Elten. Zurück kamen sie 2009 eigentlich nur zum Heiraten. Aber dann blieben sie. Der Grund: Australier brauchen in Europa Arbeitsvisa, die sie an Firmen und Verträge binden – für das kreative Duo wenig verlockend. Und inzwischen wissen Daniel und Emma die Vorteile der Designdiaspora auf der Südhalbkugel zu schätzen: »Wir vergleichen uns nicht permanent mit anderen, wir machen hier einfach unser Ding«, sagt Emma. Und Daniel ergänzt: »Vielleicht bleiben unsere Entwürfe so auf ihre Art pur.« Zudem sind ihre Hypothekenzahlungen für Haus und Werkstatt nicht annähernd so hoch wie die Miete ihres klappbettkleinen Studios in London. »Mehr Platz, weniger Druck, weniger Kompromisse.«
Und sogar von Australiens ohnehin überschaubarer Designszene trennt Daniel und Emma eine Flugreise. Die Designfestivals, die kreativsten Läden und Ateliers sind in Melbourne zu Hause. In Sydney konzentriert sich alles auf Object, das dortige Design Center, und einige mutige Möbel- und Modemacher. Adelaide dagegen war immer die Stadt der Schafzüchter und Weinbauern. Grundsolide und ruhig, mit hübschen Steinhäusern, vielen Parks, noch mehr Kirchen. »Ideen moderner Ästhetik oder gutes Gestalten haben sich bis hier noch nicht herumgesprochen«, sagt Emma Aiston, lacht und schiebt den schwarzen Pony aus der Stirn. Emmas Familie lebt seit Generationen in Südaustralien, Daniels Eltern zogen vor 35 Jahren aus Hongkong dorthin. Dass Designer ein Beruf sein kann, akzeptierte auch seine traditionelle Medizinerfamilie erst, als den ersten Preisen Veröffentlichungen in Vogue und Elle folgten. »Was internationale Magazine drucken …«, beginnt Emma – und Daniel vollendet, »… könnte ja vielleicht doch Zukunft haben.« Beide lachen.
Seit der Pleite im zweiten Semester haben sie viel gelernt. »In einem Team gibt es meist eine Hierarchie, als Paar kann jeder eine starke Meinung haben«, sagt Daniel, »das Design-Duo Committee zum Beispiel, ist auch ein Paar, ich habe bei denen in London hospitiert und erlebt, wie gut das funktioniert.« Bis heute halten sie sich an den Tipp des Londoner Paares: »Arbeitet nur an der Idee eines Partners weiter, wenn sie den anderen überzeugt. Muss einer zu stark drängeln und überreden, lasst es sein.«
Das Konzept der doppelten Akzeptanz ist erfolgreich. Für die Designmesse 100 % Futures London entwarfen sie 2008 »Shapes«, eine Serie aus Ventilator, Tisch, Stühlen, Radio, Schrank. Die Arbeit bescherte ihnen Anerkennung – und drei wichtige Einsichten: 1. Es ist schwer, in einer Miniaturwohnung riesige Tische zu bauen. 2. Es ist schwer, große Möbel in der U-Bahn zu transportieren. 3. Nicht jeder Designer ist auch ein talentierter Handwerker.
»Danach beschlossen wir: Die nächste Kollektion muss in die Handtasche passen«, sagt Emma. Zur »Solids«-Linie 2009 gehörten ein schlankes Thermometer, eine apfelrunde Wanduhr, eine fingerlange Stiftbox. Auch ihre Beiträge für Londons folgende Messen blieben transportfreundlich. Emma stellt einen Behälter aus der Serie »D.E Vessels« auf den Tisch: ein Gefäß aus tasmanischer Eiche, handhoch und halbrund ausgebuchtet. »Wir lieben solche kleinen Alltagsgegenstände und versuchen, tägliches Leben als etwas Besonderes zu sehen. Dieses Gefühl soll jedes unserer Produkte vermitteln.«
Angefertigt wurde das Holzgefäß wie alle neuen Objekte in Adelaide. Die kleinen, aber verblüffend schweren Messingschalen schmiedete Steve, ein Metallarbeiter aus der Nachbarschaft, der sonst für die Flugzeugindustrie Präzisionsgeräte fräst. Die Holzobjekte sägt ein tischlernder Milchbauer aus den Adelaide Hills. »Von den Handwerkern und Herstellern lernen wir eine Menge über die Materialien, zugleich können wir uns auf das konzentrieren, was wir besser machen: Dinge entwerfen.«
Der Flugzeugmechaniker half auch beim nächsten Projekt: Für die
»Handmade«-Ausstellung 2012 in Mailand paarte die Zeitschrift Wallpaper junge Designer mit renommierten Firmen. Daniel.Emmas Pendant war Guerlain, so entstanden Puderdose, Lippenstift- und Eyelinerhülle aus Messing und Aluminium. Guerlains Kosmetik verschwand in Kugeln, Halbkreisen und Säulen. Erst wer die Stücke in die Hand nimmt, begreift ihre Funktion. »Ich mag es, wenn Gegenstände überraschen«, sagt Emma, die auch für die Farben zuständig ist. Daniel: »Hätte ich allein das Sagen, wäre alles sehr weiß und ein klein wenig schwarz und silbern.« – »Ich würde viel zu sehr in die Farbtöpfe greifen«, lacht Emma. Die Balance funktioniert, das Rosa aus dem zweiten Semester ist Vergangenheit.
Spätestens seit die beiden 2010 den Bombay Sapphire Design Discovery Award gewannen, einen hoch dotierten australischen Designpreis, hat die Branche die beiden Adelaider im Visier. Gerade verhandeln sie mit richtig großen Firmen. »Für Unternehmen zu entwerfen, die uns Produktion und Vertrieb abnehmen, ist ohnehin aufregend«, sagt Daniel, »aber dass jetzt tatsächlich australische Firmen bei uns Design in Auftrag geben, ist ein riesiger Schritt nach vorn.«
Fotos: Felix Friedmann