Rem heißt die neue Herausforderung für Carole Baijings und Stefan Scholten. Rem ist ein Baby, vier Monate alt und sehr aufgeweckt. Da bleibt vieles liegen und das Bett der Eltern schon mal ungemacht. Eine ziemliche Umstellung, nach all den selbstbestimmten Erwachsenenjahren zu zweit. »Ist aber gut so«, sagt Stefan Scholten, der gerade 42 geworden ist, »wenn die Dinge, die wir entwerfen, im Babychaos gut aussehen, haben sie sich bewährt.« Wie die Bettwäsche, die selbst zerwühlt noch richtig was hermacht.
Die holländischen Designer Carole Baijings und Stefan Scholten sind seit dem Jahr 2000 privat ein Paar, geschäftlich Partner und längst eine feste Größe in der Welt des Designs: Acht neue Produkte präsentieren sie dieses Jahr auf der Mailänder Möbelmesse. Ihre Auftraggeber sind renommierte Design-Labels wie Hay aus Dänemark, Karimoku aus Japan, Thomas Eyck aus Holland. 2012 präsentierten sie ihre Vision für den Mini der Zukunft auf der Automobilmesse in Mailand. Museen wie das Centraal Museum Utrecht, das Stedelijk Museum Amsterdam und das niederländische Textilmuseum Tilburg stellen ihre Arbeiten aus. In den vergangen zwei Jahren gewannen sie den Dutch Design Award in der Kategorie Produktdesign und den Wallpaper Design Award.
Er, groß und bodenständig im khakigrünen Hemd, hantiert in der Küche, trinkt starken Kaffee und antwortet meist als Erster, steht aber ständig im Blickkontakt mit seiner Frau. Sie, blond, blass, apart, trinkt dünnen Tee und führt seine Erklärungen aus: »Bettwäsche muss für den, der drinliegt, einen anderen Anspruch erfüllen als für den, der draufschaut. So wie das Fußende anders aussehen muss als das Kopfende.« Daraus folgt: Beide Seiten haben unterschiedliche Farben, die zusätzlich von oben nach unten von zart zu kräftig verlaufen.
Farbverläufe kombiniert mit geometrischen Mustern sind eine Spezialität von Scholten und Baijings. Damit haben sie das vernachlässigte Küchenhandtuch so wirkungsvoll wiederbelebt, dass es ein Verkaufsschlager im Sortiment des dänischen Einrichters Hay wurde – es gab sie nur im Doppelpack: eines neon-, eines pastellfarben. Bevor 2006 die Küchenhandtücher in die Läden und den Online-Versand gingen, schickte Hay ein Foto von den Paletten, die mit Tausenden Exemplaren beladen waren. Scholten und Baijings, die vorher nicht annähernd für so große Stückzahlen produziert hatten, erschraken: Die mussten alle verkauft werden. Nach vier Monaten waren sie weg und wurden in noch größerer Menge nachproduziert. Da konnten Scholten und Baijings plötzlich gut leben von ihrer Arbeit.
Sie hätten natürlich auch gleich versuchen können, das Sofa neu zu erfinden, sagt Scholten. Oder den Tisch, den Schrank. Aber es waren die Gebrauchsgegenstände, die es ihnen angetan hatten. Die Welt im Kleinen verschönern. Akzente setzen: hier einen Farbtupfer und dort einen. Eine Entscheidung, die sich als richtig erwiesen hat.
Zum Beispiel die Wolldecke. Sie entschieden sich für ein Plaid aus Merinowolle. Gewebt, mit Farbverläufen und Blockstreifen in Pink, Rosa, Grasgrün, Lindgrün, Senfgelb, in weichen Pastelltönen und hellen, leuchtenden Farben. Der Trick an einer Decke wie dieser: »Wenn man sich dran satt gesehen hat«, sagt Scholten, »faltet man sie zusammen und legt sie schön aufs Sofa.« – »Mal mit den kräftigen Farben oben«, ergänzt Baijings, »und dann wieder anders herum«.
Stundenlang können sie erzählen, wie tief sie eintauchen in ihre Farbexperimente. Wie sie für ein Tafelservice jahrhundertealte japanische Keramiken analysiert haben, um deren Farben und all ihre Bestandteile zu recherchieren. Wie sie all ihre Farben selbst mischen, am liebsten aus natürlichen Pigmenten. Wie genau Farben aufeinander abgestimmt sein müssen, damit die Decken, Teppiche und Tassen leuchten, als würde Licht darauf fallen. Was nur dann passiert, meint Scholten, wenn sanfte Farben die grellen unterstützen. Wie ein Orchester den Solisten. »Wir mögen knallige Farben«, sagt Stefan Scholten. »Aber sie dürfen nicht ordinär wirken«, ergänzt Carole Baijings.
So wie sie in der Natur nie aufdringlich wirken. »Sehen Sie sich die Schmetterlinge an«, sagt sie. An der Wand im Arbeitszimmer hängen sie hinter Glas, in Köngisblau, Zitronengelb, Metallisch-Grün, Orange, gefleckt, gepunktet, wild gemustert. »Schmetterlinge sind grell und bunt, aber billig wirken sie nie.«
Hin und wieder bekommen die beiden Besuch von lebendigen Schmetterlingen. Sie haben einen Garten, in Amsterdam eine Rarität. Nachdem Carole Baijings Großmutter letztes Jahr mit 94 starb, kauften sie das alte Haus und bauten es nach ihren Vorstellungen aus: weiße Wände, weißes Sofa, dann erst Farbe, überall zwar, aber dezent und gut verteilt. So haben sie den Holzrahmen ihres Betts mit Wollplaids überzogen, denn angestrichenes oder eingefärbtes Holz leuchtet nicht so warm wie Wolle in Pink.
»Zusammen sind wir drei.«
Zum Arbeiten fahren die beiden in ihr Atelier am Westerdoksdijk, einem neu erschlossenen Viertel im ehemaligen Hafengebiet von Amsterdam, durch die Straßen von Haarlem, vorbei an Stegen voller Hausboote, vor denen Kinderräder liegen und Hunde in der Sonne dösen. Als sie anfingen, für große Unternehmen zu entwerfen, waren die erschrocken, wie unbekümmert Scholten & Baijings arbeiteten: Ihr Atelier im Erdgeschoss ist von weither einsehbar wie ein Aquarium. Seit sie international so gefragt sind, müssen sie ständig Verschwiegenheitserklärungen unterzeichnen und haben die Kreativwerkstatt in den ersten Stock verlegt.
Gegen mehr Veränderung sträuben sie sich. Sie möchten sich nicht zu sehr abschotten, das täte ihrer Arbeit nicht gut. Außerdem trauen sie sich zu, schnell genug und der Konkurrenz immer eine Idee voraus zu sein. »Niemand kopiert ja einen Designprozess«, sagt Scholten, »sondern das fertige Produkt. Und wenn das auf dem Markt ist, sind wir längst wieder mit ganz anderen Dingen beschäftigt.«
Carole, sagt Stefan Scholten und guckt sie ernst an dabei, sei die Intuitive der beiden: »Sie weiß, wann ein Entwurf fertig ist. Vor allem aber weiß sie, wann er noch nicht fertig ist. Das kann für alle sehr anstrengend sein. Aber sie hat immer recht.« Stefan, sagt Carole, ist sehr gut darin, die Dinge voranzubringen: »Er erkennt das Potenzial von Menschen und Ideen und macht alles möglich.« Sie kneift ein Auge zu. »Es ist nämlich so«, setzt sie nach: »Zusammen sind wir drei.«
Egal ob zu Hause oder im Studio, egal ob morgens, mittags, abends, Scholten und Baijings reden fast immer über Gestaltung. Sie können die Arbeit nicht vom Privatleben trennen, sagen sie. Unvorstellbar. Nicht einmal ihr Baby hat sie bekehrt. Im Gegenteil: Rem hat sie zu Kinderbettwäsche und Kinderplaids inspiriert.
Ihre Herangehensweise an einen Entwurf ist handwerklich geprägt. Sie handeln meist, bevor sie denken. Heißt: Sie werkeln, weben, knüpfen, flechten, hämmern, schneiden aus, kleben zusammen, malen an. Für jedes Produkt, das sie entwickeln, fertigen sie von Hand ein perfektes Modell an, aus Plastik, Pappe, Holz, Wolle, Filz. Das Regal im Aquarium steht voll davon.
An den Modellen tüfteln sie lange. Für den Mini der Zukunft heckten sie einen Kotflügel aus, dessen Blech aussieht wie zerknittertes Goldpapier. Ein Kotflügel, der schön bleibt, auch wenn man ständig Beulen in sein Auto fährt. Oder andere einem Beulen ins Auto fahren. Damit verschönern sie die Welt nicht nur, sie vereinfachen sie auch.
Dann: Gläser mit Goldverzierungen. Man sollte meinen, die gibt es schon in allen Varianten. Das ist für Scholten und Baijings jedoch eher Anreiz als Abschreckung. Unter dem Boden ihrer Wassergläser befindet sich nun ein großer goldener Punkt. Im Glas funkelt das Wasser wie Champagner.
Scholten und Baijings sind enorm stark darin, traditionelle Formen und Objekte mit Farben und Mustern so zu kombinieren, dass wirklich etwas Neues entsteht. Sie nutzen Gitter, Lichteffekte, Farben, Transparenz, bleiben dabei aber immer minimalistisch und praktisch. Bei ihren Gebrauchsgegenständen also. Ein paar Möbel stehen allerdings jetzt schon herum. Stühle, die ein wenig an die »Ameisen« von Arne Jacobsen erinnern, mit Löchern. Und ein Schrank: »Amsterdam Armoire«. Grau ist er, mit nur wenig Farbe.
Grau ist auch das neue Teeservice, »Paper Porcelain«. Es entstand, weil sie wie immer Prototypen aus Papier bastelten. Sie falteten Pappe zu Tellern und Tassen, dachten plötzlich: Sieht ganz schön gut aus. Und entschieden sich, das Geschirr so töpfern zu lassen, als wäre es aus gefalteter Pappe. Darum bleibt es grau, pappegrau.
Kommt jetzt plötzlich die Revolution aus dem bunten Hause Scholten und Baijings, die Revolution in Grau? Es war immer schon der graue Himmel über Holland, sagt Carole Baijings, der sie zu ihren Entwürfen inspiriert habe.
Der graue Himmel mit seinen Stapelwolken, der so mächtig ist, dass er die Bilder der berühmten holländischen Maler zu drei Vierteln eingenommen hat. Der graue Himmel, der überhaupt nur deshalb so mächtig ist, weil ihm das flache Land so viel Raum gibt.
Scholten und Baijings schauen auf den Kanal vor ihrem Studio. Im Wasser spiegelt sich der Himmel, aus dem es leicht nieselt. Ihre Mission, unseren Alltag ein bisschen bunter und damit fröhlicher zu machen, ist noch lange nicht zu Ende.
Fotos: Jaap Scheeren