Der Begriff des Herrenzimmers hat mich durch meine Kindheit begleitet, es war dem Großvater meiner Freundin vorbehalten, der zwei Häuser weiter wohnte. In diesem Herrenzimmer standen ein riesiger Schreibtisch und ein großer Aschenbecher, nach dem Essen zogen sich die männlichen Gäste dorthin zurück, meistens zum Rauchen. So hat man es mir erzählt. Ein Relikt aus einer Zeit, bevor in den Sechzigerjahren die Party- und Hobbykeller kamen, ausgestattet mit Bar beziehungsweise grobem Arbeitstisch, gezimmert von denen, die sich selbst dort hauptsächlich aufhielten, Männern. Vor fünfzehn, zwanzig Jahren dann wurden die Man Caves berühmt, Männerhöhlen. Wer auf sich hielt und es sich leisten konnte, bestückte einen Raum mit Flachbildschirmfernseher und Playstation, einer alten Ledercouch, einer Soundanlage und idealerweise einem Billardtisch.
Doch dann hatten die Frauen dieser Männer eine Idee. Stand nicht in vielen Gärten ein Schuppen aus dem Baumarkt, vollgestopft mit Rasenmäher, Dachständer, Rädern, Winterreifen? Und wie gering war der Aufwand, ihn leer zu räumen, die Holzlatten in der Lieblingsfarbe anzustreichen, ein größeres Fenster einzusetzen und ihn innen so einzurichten und zu dekorieren, wonach den Frauen die Lust stand? Das »She Shed« kam in die Welt, das Gartenhaus für Frauen, abgeleitet vom englischen Wort Shade, Schatten. Ein Trend, längst groß in Nordamerika und Großbritannien, wo es traditionell üppige Gärten und eine hoch entwickelte Gartenkultur gibt. Nun schwappt er zu uns. Ein Verweis auf die englische Schriftstellerin Virginia Woolf erleichtert vielfach das Argument, dass ein eigenes Refugium bei Frauen Großes hervorbringen kann, schließlich zog Woolf sich vor bald hundert Jahren in ihr Gartenhaus zurück, auch um dort so berühmte Romane wie Orlando zu schreiben. Außerdem war der Titel ihres Essays A Room of One’s Own einer der meistzitierten Sätze der modernen Frauenbewegung: ein Zimmer für sich allein. Das hatte und hat fast keine Frau, die mit Mann und Kindern lebt.
Auf Pinterest kann man rauf und runter nach Inspirationen suchen, wie man solche Häuschen einrichtet und für seine Zwecke nutzt, im Shedblog fahnden Infizierte nach gebrauchten oder originellen Gartenhäusern, in Facebookgruppen beratschlagen Frauen, ob eines aus Metall oder Holz besser geeignet sei für einen Yogaraum, wie man den Schneidertisch und das Regal voller bunter Garnspulen anordnet oder ob das Lesezimmer in Hellgrau oder Petrol besser zur Wirkung komme. Und braucht ein richtiges Atelier nicht mindestens zwei große Fenster? Noch gibt es aus Deutschland keine Zahlen, aber Baumärkte in den USA verzeichnen bereits zweistellige Zuwachsraten in eigens eingerichteten She-Shed-Abteilungen, knapp tausend Dollar für die einfache Ausführung, je größer, aufwendiger und besser isoliert, desto teurer. Der Baumarkt schickt auch Fachleute, um die Sheds aufzubauen.
Die einen haben spitze Giebel, die anderen flache Bauhausdächer, solche mit Kamin gibt es und welche fast ganz aus Glas. Bei Weitem nicht alle sind schön, das lässt sich schon von außen sagen: pink angestrichen, als ob Barbie Geburtstag feiert, ochsenblutrot, als käme gleich Pippi Langstrumpf herbeigeritten. Innen sehen manche aus, als stünde das viktorianische Zeitalter in voller Blüte, da hängen Spitzengardinen vor den Fenstern, Kronleuchter an der Decke, Myriaden von Kissen mit Rosenmustern liegen auf dem Bett, aber es gibt natürlich auch sehr schöne, gemütliche, schlichte, moderne, alles eben, wie immer.
Viele Frauen bauen sich davor eine kleine Terrasse mit Holzplanken und bunten Stühlen für den Sommer, eine Einladung an Freunde und Familie – und doch ist klar: Dies ist meines, da bau ich mir die Welt, so wie sie mir gefällt, und tue darin, was ich gern tue, nur ohne euch, liebe Kinder und lieber Mann. Kurzurlaub kann man nämlich auch im eigenen Garten verbringen. Allein.
Bei der Wahl zum »Shed of the Year« aber lagen im vorigen Jahr zwei Männer auf den ersten beiden Plätzen, zum Sieger erkoren wurde Kevin Herbert aus Berkshire. 15 000 Zuschauer des englischen Privatsenders Channel4 hatten für sein umweltfreundliches Häuschen gestimmt: das Holz recycelt, das Dach mit wilden Gräsern bewachsen. Acht Jahre lang hatte Kevin Herbert daran gebaut, mitsamt Architekt, technisch und statisch perfekt geplant sollte es sein. Wäre ja auch ein Wunder gewesen, wenn die Männer den Frauen mal kampflos das Feld überlassen hätten.
Fotos: Mark Gaymor, Jeff Doubet, Dominic Bonuccelli, Gabriel Frank, Susan Mintun aus dem Buch She Sheds: A Room of Your Own, Erika Kotite, erschienen bei Cool Springs Press