»Ich tat, was ich tun musste: Ich kaufte alles«

Wir haben Kreative und Prominente nach ihrem Lieblingsobjekt gefragt. In Teil 2: ein Revolver, ein seltsames Meereswesen, ein Fotoapparat und ein 1-Liter-Auto. Mit Antworten von Matthias Brandt, Ingo Schulze, Marie-Luise Marjan, Axel Hacke, Ross Lovegrove, Igor Levit und viele andere.

    See-Wesen - Axel Hacke

    Der 1956 in Braunschweig geborene Kolumnist des »SZ-Magazins« lebt in München und hat 22,5 Bücher veröffentlicht, die in 18 Sprachen übersetzt wurden.

    Vor einer Weile sah ich im Fenster eines Antiquitätenladens in München eine kleine Sammlung seltsamer See-Lebewesen, getrocknet und präpariert: einen aufgeblasenen, stacheligen Fugu-Fisch, einen großen Seestern, eine aus Holz nachgebildete Koralle ... Der Mann im Laden erklärte mir, das alles stamme aus einer Art Wunderkammer, wie es sie früher gab: eine Kollektion lehrreicher, seltener und bestaunenswerter Objekte. Wer weiß?! Ich tat jedenfalls, was ich offenbar tun musste: Ich kaufte alles. Nun steht die kleine Schar von Präparaten in meinem Büro, und das eigenartigste dieser in meinem Arbeitszimmer noch eigenartiger als irgendwo sonst wirkenden Dinge ist das auf dem Bild. Was mag das für ein Wesen gewesen sein? Wo hat es gelebt? Wovon hat es sich ernährt, wie hat es geatmet, warum sieht es aus, wie es aussieht? Man kann sich das alles fragen, man kann es aber auch lassen. Denn wichtig an diesem See-Wesen, das von der Evolution oder meinetwegen auch direkt von einem um interessante Einfälle ja bekanntlich nie verlegenen Schöpfer geformt wurde, ist mir gerade seine Rätselhaftigkeit, die sich unter schrundig-gelblicher Haut in diesem verwunderlich geformten, sofakissenartigen Körper verbirgt, bei dem ich übrigens bisweilen das Gefühl habe, er bewege sich ganz leicht, ja, er atme langsam ein und aus, während aus seinem Inneren ein tiefes gleichmäßiges leises Brummen dringt. Dieses Ding hatte da im Schaufenster auf mich gewartet! Vor langer Zeit hat es irgendwo in einem fernen Meer seine Reise zu mir angetreten. Nun ist es angekommen.

    Meistgelesen diese Woche:

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    VW XL1 - Ross Lovegrove

    Der 59-Jährige gilt als einer der einflussreichsten Industriedesigner Großbritanniens. In den Achtzigerjahren entwarf er den Sony-»Walkman« sowie Computer für Apple. Später kamen Kameras, Möbel und Architekturprojekte hinzu. Seine Markenzeichen: eine organische Formensprache, innovative Materialien wie Carbon und Kunststoff sowie in den vergangenen Jahren verstärkt ökologische Aspekte.

    Diese beeindruckende Konzeptstudie eines Ein-Liter-Wagens von Volkswagen ist noch kein fertiges Auto, sondern der wunderbare Versuch, mithilfe neuester Wissenschaft und Technik ein modernes, leichtes und hocheffizientes Niedrigenergiefahrzeug zu entwickeln. Der »XL1« ging 2014 im Werk Osnabrück in Kleinserie, 200 Stück. Mit seinem Zehn-Liter-Tank soll man etwa 500 Kilometer weit kommen. Sollte sein philosophischer und konzeptioneller Ansatz irgendwann einmal in ein alltagstau-gliches Familienauto münden, wäre das ein großer Schritt in Richtung einer wünschenswerten Mobilität der Zukunft. Das Foto zeigt meinen Freund Peter Gabriel und mich in meinem Studio in London bei der Besichtigung eines »XL1« – die Testfahrt kam anschließend.

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    Leica M - Christoph Niemann

    Die Arbeiten des deutschen Illustrators zieren die Titel internationaler Magazine wie dem »New York Times Magazine« oder dem »New Yorker«. Darüber hinaus entwirft er Google-Doodles, zeichnet Kinderbücher und entwickelt interaktive Kinder-Apps, wie zuletzt »Chomp«.

    Ich habe keine »Leica M«. Und wahrscheinlich werde ich in absehbarer Zeit auch keine haben. Sie ist a) zu teuer, b) passt sie nicht in meine Hosentasche, und eigentlich reicht mir c) mein iPhone für unterwegs und meine »Canon D6« für das Atelier. Vor Kurzem jedoch hielt ich für ein paar Minuten eine in den Händen: schwer, traumhaft klobig, sehr, sehr schwarz. Alles an ihr strahlt Perfektion und Autorität aus. Mir war sofort klar, dass meine lebenslange Unfähigkeit, brauchbare Fotos zu schießen, in der Sekunde gelöst wäre, in der ich meine eigene »Leica M« aus der Box nehmen würde. Das stimmt natürlich nicht. Meine schlechten Fotos verdanke ich meiner Ungeduld, meinen zappeligen Händen und vor allem meiner Ignoranz der Tatsache, dass ein gutes Foto einfach nicht so schnell und präzise planbar ist wie eine Bleistift-zeichnung. Aber solange ich eine »Leica M« weder besitze noch benutze, kann ich viel besser mit meinen unscharfen, unterbelichteten Bildern leben. Der pure Glaube an die Wunderkräfte dieser Kamera macht mich glücklich. Und mehr kann man von grandiosem Design nicht erwarten.

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    Medaille - Erol Sander

    Der deutsche Schauspieler mit türkischen Wurzeln stellte Kommissare, Könige und Liebhaber dar.

    Einen besonderen Stellenwert nimmt für mich ein wunderschönes, wertvolles, etwa dreißig Zentimeter großes Designobjekt ein, welches ich vor mehr als einem Jahr geschenkt bekommen habe. Es ist nicht nur ein Glücksbringer, sondern symbolisiert alles, was mir lieb und teuer ist - meine Familie. Zugleich ist das Kunstobjekt eine Auszeichnung und Ehre für mich als Papa. Wenn ich monatelang von zu Hause entfernt bin, um zu arbeiten, gibt mir der Gegenstand Halt, Zuversicht, Hoffnung und Lebensmut. Bei dem Kunstgegenstand handelt es sich um eine Medaille von meinem heute sechsjährigen Sohn Elyas mit der Aufschrift: Für den besten Papa – 1.

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    Memphis-Vasen - Karim Rashid

    Der in Ägypten geborene US-Amerikaner ist laut »Time Magazine« der »berühmteste Industrie-designer Amerikas«. Sein Portfolio umfasst Parfumflakons, Mineralwasserflaschen, Turnschuhe, Küchengeräte und Möbel. Dank seines extravaganten Kleidungsstils (vornehmlich weiß und rosa) und seiner bunten Formensprache gilt er als Popstar der Branche.

    Als ich Student in Italien war, lehrte mich mein Lehrer Ettore Sottsass, dass Designer nie versuchen sollten, Künstler zu sein. Ich besitze ein paar seiner Vasen und diverse Möbel seines legendären Designkollektivs »Memphis«. Ihre Schönheit inspiriert und bestärkt mich in meiner Philosophie, nach der Designobjekte Freude bereiten und dabei immer den Status quo infrage stellen sollten.

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    Stoffbeutel - Igor Levit

    Der russisch-deutsche Pianist zählt zu den bedeutendsten Klaviersolisten der Gegenwart. 2014 bekam er den Klassik-Echo für seine Einspielung der späten Sonaten von Ludwig van Beethoven.

    Ich bin sehr viel unterwegs. Möglichst mit leichtem Gepäck. Im Bild mit meinem aktuellen Lieblingsstück: einem Beutel mit einem #Beast in Glitzer-Optik. Das ist ein Mahlerwear-Beutel. Mein Freund Hannes Malte Mahler ist Diplomkünstler und hat Mahlerwear erfunden – genau auf der Grenze zwischen Kunst und allem, was nicht Kunst ist. Wir haben uns in New York getroffen, und eigentlich war der Beutel für Glenn Lowry, den Chef des Museum of Modern Art. Da der sehr beschäftigt war, ist das Beast jetzt mein ständiger Begleiter.

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    Dual-Plattenspieler – Matthias Brandt

    Der jüngste Sohn des Ex-Kanzlers Willy Brandt ist Schauspieler, zum Beispiel gibt er den Kommissar im Münchner »Polizeiruf 110«.

    An einem Vormittag, drei Jahre wird es her sein, kam ich an einer Stadtteilbücherei vorbei, vor der ein kleiner Verkaufsstand aufgebaut war. Auf den Biertischen lagen abgestoßene Romane, Sprachkurse für brasilianisches Portugiesisch auf Kassette und Ratgeber zu Lebensfragen, welche ich mir nie gestellt hatte. Dann fiel mein Blick auf zwei etwas abseits stehende dunkelgraue kleine Kästen. Ich kenne niemanden meines Alters, der nicht voller Liebe von seinem ersten Plattenspieler spricht. Oft waren das Monogeräte gewesen, sogenannte Partykoffer, der »Mister Hit« von Telefunken etwa, oder, wie in meinem Fall, ein »Dual P 54«. Auf diesem hatte ich die Bands gehört, die von einem Tag auf den anderen mein Leben veränderten und an meiner Statt herausbrüllten, wofür mir die Worte und Töne gefehlt hatten. Es war also kein nüchternes Interesse, als ich die beiden offenbar intakten Modelle des »Dual P 54« dort stehen sah, sondern Rührung und pochende Wiedersehensfreude. Nach gründlicher Begutachtung kaufte ich denjenigen der beiden Apparate, der etwas weniger brummte. Vorsichtig schnallte ich ihn auf den Gepäckträger und schob mein Rad nach Hause, statt zu fahren. Die rechte Hand behielt ich den ganzen Weg über an der Fracht, den zwar unversehrten, aber eben nicht mehr ganz neuen Apparat haltend. Ab und zu strich ich mit dem Daumen über den feingeriffelten Einschaltknopf.

    Der »P 54« steht seitdem in meinem Zimmer, daneben ein paar LPs, die ich aus dem Keller heraufgeholt habe. Ungefähr so viele, wie ich besessen hatte, bevor ich mit meiner Plattensammlung Mädchen beeindrucken wollte. Oder konnte. Oder nicht wollte, weil ich nicht konnte. Mein Plattenspieler klingt sehr schön. Er macht auch Geräusche, die nicht in direkter Verbindung zur Musikwiedergabe stehen, aber es ist nur ein kleiner mausgrauer Kasten und meine Kammer nicht das Theater von Epidauros. In letzter Zeit höre ich darauf oft das David-Bowie-Doppelalbum, welches daneben zu sehen ist. Ich bekam es 1975 zu Weihnachten geschenkt, das Cover zeigt manche Spuren unseres wechselvollen gemeinsamen Lebens. Der rechte obere Rand war von einem Sittichpaar namens Peek und Cloppenburg angefressen worden und die Rettung meines kostbaren Albums dramatisch verlaufen – mehr werde ich aber keinesfalls erzählen. Könnte ich beschreiben, was mir diese beiden Platten bedeuten? Nein, das ist unmöglich. Jedenfalls tröstet mich der »P 54« neuerdings auch in meiner tiefen und anhaltend schmerzvollen Trauer um den Thin White Duke.

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    Postkiste - Michael Krüger

    Der Schriftsteller und Verleger leitete mehr als 25 Jahre lang den Münchner Hanser-Verlag. In seiner Amtszeit wurden zehn Hanser-Autoren Literaturnobelpreisträger, darunter Herta Müller und Orhan Pamuk.

    Aus meinem vierzigjährigen Berufsleben als Buchverleger habe ich mir - heimlich - einen einzigen Gegenstand mitgenommen, weil er, mehr noch als das einzelne Buch, zum Symbol meiner Tätigkeit geworden ist: die gelbe Postkiste, mittleres Format. Am Anfang des bürgerlich-bürokratischen Zeitalters steht die Aktentasche, ein ledernes Objekt mit eigentümlichen Schnallen, das abends und nachts schlaff unter der Mäntelablage dahindämmert, morgens dagegen mit Brotbüchse, Thermoskanne und einem dünnen Aktendeckel sich aufplustert. Sie wurde von einem scharfkantigen Koffer abgelöst, der durch die Erfindung des Fastfood-Restaurants keine Esswaren mehr aufnehmen musste, dafür unzählige Medikamente und Vitaminpräparate. Ich dagegen habe immer die gelbe Postkiste vorgezogen, auf der ein altes Posthorn aufgedruckt ist und der Verweis: Eigentum der Deutschen Post. In diese gelbe Plastikwanne passen genau zwölf Bücher und zehn Manuskripte, also rund viertausend Seiten, mit anderen Worten die Menge an Lesestoff, die man als passionierter und damals beruflicher Leser für ein Wochenende braucht. Das feste Plastik verhindert, dass die Bücher angestoßen werden und die Manuskripte leiden. Nie seit ihrer Gründung hat die Post einen so durch und durch mythischen Gegenstand hergestellt. Sie steht vor mir, Tag für Tag, erschütternd in ihrer Einfachheit, ein Äquivalent von was?

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    Porzellanspiegelei - Marie-Luise Marjan

    Seit 1985 mimt die Schauspielerin die Mutter Beimer in der »Lindenstraße«. Sie galt schon als Mutter der Nation, als Angela Merkel noch an der Uni war.

    In meiner Küche hängt ein runder Teller aus schneeweißem Porzellan an der Wand. Auf dem Teller ein Spiegelei mit einem goldgelben Dotter, der ein paar leichte Einkerbungen hat. Wenn der Betrachter davorsteht, streckt er unwillkürlich die Hände aus, da er fürchtet, das Ei könnte vom Teller rutschen. Es rutscht aber nicht. Versucht man, an der kleinen bräunlichen Kante des Spiegeleis zu zupfen, merkt man, dass das Spiegelei aus Porzellan ist. Ein Spiegelei, im Ofen gebrannt - ein wahres Kunstwerk, ein Geschenk meines Schweizer Mutter-Beimer-Fanclubs. Das Spiegelei ist ein Synonym für Helga Beimer aus der Lindenstraße. Der Anblick des Tellers erfreut mich jeden Morgen beim Frühstück.

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    Paulistano Chair - Jean Jullien

    Der französische Grafiker mit Sitz in London illustriert unter anderem für den »New Yorker«, den »Guardian« und das »SZ-Magazin«.

    Den »Paulistano«-Freischwinger habe ich zu meiner Hochzeit geschenkt bekommen. Er wurde 1957 vom brasilianischen Architekten Paulo Mendes da Rocha entworfen. Auf ihm zu sitzen, ist sehr entspannend, es fühlt sich an, als läge man in einer Hängematte. Er steht in einer Ecke meiner Wohnung an einem Fenster. Manchmal zeichne ich darin, meistens aber lese ich - zurzeit am liebsten Popeye, ein japanisches Magazin.

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    Beintablett - Ingo Schulze

    Der aus der DDR stammende Schriftsteller, geboren 1962, wurde mit dem Roman zur Wende berühmt: »Simple Storys«.

    Mehrmals in der Woche komme ich an einem Geschäft vorüber, an dessen Eingang wirbt eine unübersehbare britische Flagge für »Britische Geschenke und Lebensmittel«. Von bitterer Orangenkonfitüre und süß-salzigem Teegebäck über Schafwollseife und Parfums bis hin zu Wolldecken oder eine sehr vornehm und hoheitsvoll winkenden Queen-Puppe - wer aus Großbritannien kommt, kann Mitbringsel hier gut sortiert nachkaufen. Unverwechselbar ist allerdings der Duft, der sich von diesen insularen Gabentischen erhebt. Er ließe sich als herb-frisch und zugleich vanilleartig beschreiben. In diesem Geschäft habe ich vor zwei Jahren einen Gegenstand erworben, dessen genaue Bezeichnung ich jetzt erst erfragen musste. Ich hätte ihn entsprechend der von mir bevorzugten Verwendungsart Beintablett genannt (um es nicht Oberschenkel- oder Schoßtablett nennen zu müssen). Dieses Ding ist ein Kentaur der Dingwelt. Es besteht aus einer Fläche - farbige Abbildungen von altertümlichen Teekannen auf einem hellen Untergrund sind zu einem siebenreihigen Muster angeordnet -, das von einer weinroten Leiste umgrenzt wird. Den unteren Teil dieses Mischwesens bildet eine Art samtener Sandsack im selben Farbton, der es ermöglicht, das Tablett waagerecht auf den Oberschenkeln abzustellen, wobei ein leises Rascheln und Rieseln zu vernehmen ist. Denn natürlich ist das kein Sandsack! Dieser Nicht-Sandsack ist ungefähr zur Hälfte mit etwas gefüllt, das sich wie kleine Perlen anfühlt und kaum Gewicht hat. Überhaupt ist das ganze Ding sehr leicht. Durch einen gewissen Druck und geringfügige Verschiebungen lässt sich das Tablett auf dem Perlensack in jeden gewünschten Neigungswinkel versetzen - ideal als Unterlage für meinen Laptop. Von hier an artet jeder weitere Satz unweigerlich in einen Werbespruch aus: Machen Sie das Schreiben zur Erholung!

    Ob Liegestuhl oder Couch, Autositz oder Sessel - mit dem Beintablett steht Ihr Laptop immer richtig! Schreibtischakkord war gestern, entspannen Sie Ihren Körper, damit Ihre Gedanken locker bleiben! Ich will keinesfalls gegen den Schreibtisch zu Felde ziehen. Aber der Wechsel macht’s! Warum habe ich trotzdem ein gespaltenes Verhältnis zu meinem Beintablett? Nicht, dass ich mich dafür schämen würde. Doch wenn Besuch kommt, räume ich es zur Seite, als müsste ich alte Filzlatschen unterm Sofa verschwinden lassen. Im Gegensatz zu allen anderen bemerkte ich erst allmählich, dass das Image meines Beintablettes - euphemistisch ausgedrückt - hausbacken ist. Schon bei den ersten Vorführungen sah man mich belustigt bis ratlos mitleidig an, wie ich da mit diesem Ding auf dem Schoß erwartungsfroh verharrte. Der Funken meiner Begeisterung wollte einfach nicht überspringen! Trotzdem erkor ich das britische Beintablett zum Geschenk für befreundete Geistesarbeiter - und spürte bereits im Moment des Darreichens die Irritation, wie sie typisch für Taktlosigkeiten sind. Als gäbe ich eine Krücke für einen Spazierstock aus. Ungeachtet der ausbleibenden Bestätigung durch meine Umwelt wächst die Verbundenheit mit meinem Beintablett. Seit einiger Zeit leiste ich mir den Luxus, es auf Reisen mitzunehmen, wobei es im Koffer beinah ein Drittel des Platzes einnimmt. Das erspart mir schon im Zug den Kampf um die Tischplätze. An die merkwürdigen Blicke habe ich mich gewöhnt. Für das Schreiben dieser Zeilen erkundigte ich mich heute nach dem richtigen Namen meines Beintabletts. »It’s a lap tray«, sagte der Verkäufer. Im Netz finden sich sogar Abbildungen des »lap tray«, die meine Verwendungsart - also mit »lap top« - anpreisen. Das hat mich irritiert, allerdings nur kurz. Zwar muss ich nun meinem Anspruch, eine originelle Anwendung des lap tray entdeckt zu haben, aufgeben. Dafür gewinne ich aber ein völlig neues Argument: Every lap top needs a lap tray!

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    DIY-Ghettoblaster - Martino Gamper

    Der 1971 in Meran geborene Künstler und Möbeldesigner ist bekannt für seine verspielten und hybriden Entwürfe für Hersteller wie Ercol und Moroso - und dafür, Gebrauchtes mit Neuem zu kombinieren. Für sein Projekt »100 chairs in 100 days and its 100 ways« sammelte Gamper 100 alte Stühle, nahm sie auseinander und fertigte aus ihren Bestandteilen 100 neue Stuhlunikate.

    Kaum ein Gegenstand hat mich in letzter Zeit so fasziniert wie der selbst gebaute Ghettoblaster, der den Zimmermännern gehört, die gerade an unserem neuen Haus arbeiten. Er dient nicht nur als Musikabspielgerät, sondern auch als zusätzliche Stromquelle, und besteht aus einer roh zusammengenagelten Holzbox, einem Autoradio, vier Lautsprechern und einer Doppelsteckdose. Ich mag die handgemachte Ästhetik, sie erzählt so viel über die menschliche Improvisationsgabe. Vor allem aber finde ich: Mehr elektrische Geräte sollten über eine Zusatzsteckdose verfügen!

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    Revolver - Thomas Glavinic

    Der 1972 geborene österreichische Schriftsteller hat elf Romane geschrieben, »Die Arbeit der Nacht« und »Das bin doch ich« zählen zu seinen bekanntesten. Zuletzt erschien 2016 »Der Jonas-Komplex« bei S.Fischer.

    Die National Rifle Association in den USA wird das gern lesen, aber sie würde mich missverstehen. Ich bin niemand, der Waffen glorifiziert. Dennoch kann ich mich der Schönheit meiner »Smith & Wesson, Modell 36« nicht entziehen. Sie ist perfekt. Ihre Form: kühl, präzise, zweckorientiert. Sie ist schwer. Wenn ich sage, sie fühlt sich noch schwerer an, als sie ist, versteht man das? Dieser schwarze Revolver ist mehr als ein Gegenstand. Er bringt so vieles mit. Erinnerungen. Geschichte. Kriege, Attentate, Massaker. Gewalt. Wenige positive Assoziationen. Aber der Revolver kann nichts dafür. Wenn jemand beispielsweise den schwarzen Gürtel im okinawanischen Karate hat, ist er auch eine Waffe. Ist er böse? Jeder, der eine Waffe in die Hand nimmt, sollte sich der Verantwortung bewusst sein, die er in diesem Moment hat. Wenn mein Revolver geladen ist, stecken in seiner Trommel sechs Patronen. Sechs Leben, die ausgelöscht werden könnten, innerhalb weniger Sekunden. Dieser so ästhetische Gegenstand wurde erfunden, um Menschen zu töten. Denn auf die Jagd geht man mit einem Revolver Kaliber .38 nicht.

    Wenn man Wild schießen will, um seinen Hunger zu stillen, nimmt man ein Gewehr und nicht etwas so Kurzläufiges wie einen Revolver. Ein Revolver ist dafür entwickelt worden, auf nicht allzu weit entfernte Ziele zu schießen. Mein Revolver ist nur dafür gedacht, auf Scheiben zu schießen. Entgegen dem, was man über regelmäßige Amok-läufe hört, gibt es durchaus Menschen, die Schießen als Sport begreifen und ihren Mitmenschen keineswegs das Lebenslicht ausblasen wollen. Ich verspüre keinerlei Aggression gegenüber meinen Mitmenschen und keine Tendenz, jemanden verletzen zu wollen. Ich finde es faszinierend, wie meine Konzentration erst nach fünf Minuten ein Niveau erreicht, auf dem ich in der Lage bin, aus zehn Meter Entfernung alle sechs Kugeln ungefähr dahin zu bringen, wo ich sie haben will, und ebenso faszinierend, wie ich nach 15 oder zwanzig Minuten fast nur noch danebenschieße. Dazwischen muss ich nicht denken. Es funktioniert von allein. Ich muss eigentlich nicht zielen. Ich weiß, ich werde treffen. Dieser tranceartige Zustand hält nicht lange. Eine Schuss-waffe ist schwerer, als sie ist. Und die Kraft, die man fühlt, wenn man sie abfeuert, kann schwächere Charaktere korrumpieren. Deswegen sollten nicht viele Menschen Waffen besitzen. Am besten nur ich.

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    (Fotos: Markus Burke, Leica, Niemann, Gunter Glücklich/Knaus Verlag, Karen Fuchs, Hannes Malte Mahler, Matthias Schauer, Tanja Kernweiss)