Inneneinrichtung

Auch ein bisschen arg viel Design: Die moderne Medizin ermöglicht dem Menschen die jährliche Komplettrenovierung.

Jede anständige Zeiterscheinung hat ihre Opfer. Auch das neumodische Phänomen, den eigenen Körper nach eigenen Vorstellungen formen und gestalten zu können. Vor etwa einem Jahrzehnt diskutierten Mediziner auf einem Kongress erstmals das Krankheitsbild des »Dorian-Gray-Syndroms«, ein Begriff, der die seelische Unfähigkeit zu altern beschreibt sowie den exzessiven Gebrauch von Verschönerungs-Angeboten der Medizin. Bislang sollen allein in Deutschland fast 2,5 Millionen Menschen betroffen sein – mit steigender Tendenz.

Design, definiert als Formgebung und Gestaltung, ist längst bei unseren Körpern und Seelen angekommen. Seitdem Medizin nicht mehr ausschließlich der Heilung, sondern immer mehr der Selbstverwirklichung dient, mutieren wir zu Körper-Designern, die sich aus einem immer größer werdenden Werkzeugkasten bedienen: »Lifestyle-Medizin« nennt sich dieser rasant wachsende Industriezweig, der Angebote aus plastischer Chirurgie, Dermatologie, Ernährungswissenschaften, Zahnmedizin umfasst und Medikamente gegen Symptome wie Übergewicht, Haarausfall, Hautalterung, Stress. Laut einer Studie der Deutschen Bank wird der Umsatz dieser Lifestyle-Medikamente bis zum Jahr 2010 auf 41 Milliarden US-Dollar weltweit ansteigen, womit er sich in einem Zeitraum von acht Jahren verdoppelt hätte.

Dass sich die Haltung gegenüber der Medizin im letzten Jahrzehnt so fundamental verändern konnte, hat viele Gründe: Die Menschen werden immer älter, haben sich aber fest vorgenommen, das Alter zu genießen. Die Leistungsgesellschaft verwandelt sich zur Erlebnisgesellschaft, weg von der Pflicht, hin zur Selbstverwirklichung. Und eine Gedankenkette hat sich in unseren Gehirnen eingenistet, die sich ungefähr so liest: gutes Aussehen = bessere Karrieremöglichkeiten = beruflicher Erfolg = soziale Anerkennung = Glück. Der Fachausdruck dafür kommt aus den USA: »Lookism« nennt man die Beurteilung von Menschen aufgrund von gutem oder schlechtem Aussehen, und schon gibt es Initiativen, die mit erhobenem Wurstfinger den Schlachtruf »Fight Lookism« brüllen.

Meistgelesen diese Woche:

Das Produkt Medizin, das man sich heute wie eine Handtasche kaufen kann, verändert jedoch nicht nur die Körper der Menschen, sondern auch eine ganze Branche: Praxen und Apotheken sehen aus wie Jil-Sander-Flagshipstores; Adressen von Ärzten werden gehandelt wie die von Dealern; Pharmakonzerne teilen Menschen nicht mehr in Patienten-, sondern in Lebensstil-Gruppen ein (gestresste Manager, kinderlose Frauen).

Diese Menschen verbringen ihren Urlaub in den Kathedralen der Lifestyle-Medizin, den Gesundheitszentren, und absolvieren in kürzester Zeit ein für sie zusammengestelltes medizinisches Programm, um sich am Ende so zu fühlen, als hätte jemand ihre »Turbo Reset«-Taste gedrückt: alles noch mal auf Anfang. Die Ärzte in diesen Gesundheitszentren ziehen das Beispiel einer Autowerkstatt heran und vergleichen ihr Angebot mit einem »jährlichen Ölwechsel«, so die ärztliche Leiterin des Gesundheitszentrums Lanserhof in Österreich.

Außerdem gibt es einen neuen Typ Privatklinik, der es den Lebensstil-Gruppen einfach macht: Auf der Homepage der London Medical Clinic etwa kann jeder unter dem Button »Services« das medizinische Angebot seiner Wahl anklicken: Augen, Herz, Osteoporose, Diabetes, Gewicht, Hormone, Gesundheits-Check, Wellbeing & Lifestyle, Klinische Psychologie.

Investmentbanker, Oligarchen-Frauen und halb Dubai checken in Kliniken und Gesundheitszentren wie diesen mit Wunschlisten ein, die sich so lesen: schlanker Körper, strahlender Teint, ausgeglichenes Gemüt bitte schön! Anliegen, die die Ärzte gern erfüllen, indem sie die Vorzüge der Oberlidplastik oder der Bioimpedanzanalyse erläutern und ein ausgefeiltes Programm zusammenstellen. Diese Mentalität hat das ehemals paternalistische Verhältnis zwischen Arzt und Patient verändert: Heute ist der Arzt Dienstleister, der Patient Kunde, der Medizin als Investition ins Lebensglück betrachtet.

Zahlreiche Fragen der Zukunft, die sich wie Geröllhaufen auftürmen, bleiben dabei noch unbeantwortet: Schafft der Body-Design-Terror einen optischen Leistungsdruck, dem sich niemand mehr entziehen kann? Verwandeln sich unsere Körper in ewige Baustellen? Zählen Gesichtsfalten bald als Zeichen sozialer Verwahrlosung?

Evolutionsbiologen halten es für möglich, dass in der Geschichte der Erde etliche Tierarten deshalb ausgestorben sind, weil ihre Partnerwahl rein durch Schönheit bestimmt war. So betrachtet könnte man der eigenen Cellulite als Zeichen des gesunden Fortbestands der Menschheit durchaus gelassen gegenüberstehen.