Die Gewissensfrage

Ist es unhöflich seine Korrespondenz nicht mit Dein.../Ihr... zu beenden?

»Es ist üblich, Postkarten, Briefe oder E-Mails an Verwandte, Freunde oder gute Bekannte mit ›Dein … /Ihr … ‹ zu beenden. Das widerstrebt mir, denn so möchte ich eigentlich nur eine Korrespondenz mit meiner Ehefrau oder meiner Tochter abschließen. Bin ich unhöflich?« Manuel F., Bielefeld

Ihre Bedenken sind nachvollziehbar. So ohne Weiteres sollte man sich einem anderen nicht als »Dein« verschreiben. Wie schon die Bezeichnung Possessivpronomen – besitzanzeigendes Fürwort – nahelegt, geht es dabei um Besitzverhältnisse, und das führt, soweit es sich um Personen, vor allem die eigene, handelt, doch recht weit.

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Das zeigt auch eine Sentenz, an die man unwillkürlich denken muss: »Ich bin dein Geselle, / Und mach ich dir’s recht, / Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!« Mit diesen deinreichen Worten aus Goethes Feder dient Mephistopheles sich bei Faust an. Für Faust zunächst wenig problematisch. Doch for-dert Mephistopheles im Gegenzug Entsprechendes von ihm: »Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden, / Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn; / Wenn wir uns drüben wiederfinden, / So sollst du mir das gleiche tun.«

Raffiniert wie Mephistopheles nun einmal ist, erwartet er – damit sind wir bei Ihrem Problem –, dass Faust dazu ein Schreiben verfasst und gewissermaßen mit »Dein Heinrich« unterschreibt: »Nur eins! – Um Lebens oder Sterbens willen / Bitt ich mir ein paar Zeilen aus.« Faust sträubt sich ähnlich wie Sie: »Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt, / Ist ein Gespenst, vor dem sich alle scheuen.« Doch Mephistopheles beharrt: »Ist doch ein jedes Blättchen gut. / Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.« Faust tut es, und das Drama nimmt seinen Lauf.

Es scheint also wesentlich sicherer, so wie Sie mit »Dein« nur dann zu unterschreiben, wenn man es mit Herzblut machen kann, also bei denen, die einem wirklich am Herzen liegen – nicht notwendigerweise nur Frau oder Tochter. Darüber hinaus ist ein sparsamer Gebrauch dieser Formulierung aber auch allgemein sinnvoll, um Persönliches nicht zu einer leeren Floskel verkommen zu lassen.

Quellen:

Johann Wolfgang von Goethe, Faust. Eine Tragödie, Tübingen 1808. Originalausgabe als Faksimile und Text im Deutschen Textarchiv.

Ein einfacher Textzugriff ist über Projekt Gutenberg möglich.

Die Szene des Paktes zwischen Faust und Mephistopheles kann man im Zusammenhang hier nachlesen.

Im Buchhandel sind die verschiedensten Ausgaben erhältlich und »Faust« gehört zu den meistgespielten Stücken auf deutschen Bühnen.

Die bekannte Gründgens-Inszenierung von 1956/57 am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg mit Gustaf Gründgens als Mephisto ist ein einer Verfilmung aus dem Jahr 1960, die man immer wieder gerne sieht, als DVD erhältlich.

Illustration: Serge Bloch