Katharina Staab tritt an diesem Abend im September 2017 als Letzte auf die Bühne. Ihre Konkurrentinnen waren schon dran, eine Stunde lang musste Staab warten. Auf den Zuschauerrängen im überhitzten Saalbau in Neustadt an der Weinstraße jubeln Freunde und Familie, sie schwingen Fahnen und Plakate mit Staabs Konterfei. Alle Kameras sind jetzt auf Staab gerichtet da oben, der SWR überträgt live. Eine verdeckte Flasche steht bereit, und ein Glas Weißwein.
Dreißig Sekunden hat Staab, um den Wein zu verkosten, Rebsorte und Anbaugebiet zu nennen. Sie riecht ins Glas, »Aprikose, Birne, ein Hauch Trockenobst«, nimmt einen Schluck, schlürft und nickt anerkennend, »schöne Säurestruktur«. Sie tippt auf Riesling. Von der Mosel. Der Moderator enthüllt die Flasche im goldenen Licht, und der Wein, der Katharina Staab, 27 Jahre alt, aus Oberhausen an der Nahe, zur 69. Deutschen Weinkönigin macht, ist ein trockener Riesling mit straffer Säure. Von der Mosel.
Als die Entscheidung der siebzig Juroren eine halbe Stunde später verkündet wird, kreischt das Publikum, und Katharina Staab schüttelt ungläubig den blonden Kopf, auf den ihr die Vorgängerin eine goldene Krone setzt. In deren Mitte glitzert eine Weintraube. Staab bekommt ein Mikrofon unter das Kinn gehalten und stammelt: »Super, Super, alles ist super!« Gedacht hat sie aber, so erzählt sie es heute: »Ach du Scheiße!«
Vor Katharina Staab lag damals ein Jahr mit mehr als 250 Terminen, sie würde um die Welt reisen und den deutschen Wein vertreten und damit auch Deutschland. Hinter ihr lag bereits ein Jahr als Gebietsweinkönigin der Nahe. Hauptberuflich arbeitet Staab im Marketing eines großen Mainzer Weinhandels. In ihrem Privatleben ging sie auf Partys in der Stadt. In ihrem Königinnenleben pendelte sie zu Festen in der Provinz. Neben Bürgermeistern und Landräten kam sie sich oft vor wie reine Zierde. Für ihre Weinkenntnisse interessierte sich kaum jemand, Hauptsache, sie lächelte für das Foto in der Kreiszeitung. »Ich hatte mit dem Weinköniginsein eigentlich schon abgeschlossen, als ich Deutsche Weinkönigin wurde«, sagt Staab, »Ich wartete darauf, dass mein normales Leben weitergeht.«
Es ist eine der sonderbarsten Institutionen des Landes: die Deutsche Weinkönigin. Jedes Jahr wird in jedem der dreizehn deutschen Weinanbaugebiete eine Weinkönigin gewählt. Ein Jahr später treten diese Frauen in zwei Runden zur landesweiten Ausscheidung an. Mit Katharina Staab trug nun jemand die Krone, der sie gar nicht recht wollte. Denn Staab hatte als Gebietsweinkönigin erlebt, wie es ist, ein Rolle zu bekleiden, die viele belächeln. Aber: Sie kennt sich nun mal aus mit Wein. Sie redet gern über Wein. Und ihre Mutter hatte sich so gewünscht, den ruhmreichen Titel einmal in die Familie zu holen. Dort, wo Katharina Staab herkommt, steht in Weindörfern auf großen Plaketten an den Elternhäusern ihrer Vorgängerinnen: »Geburtshaus der Weinkönigin«. Staab hatte nie erwartet zu gewinnen. »Da war Freude, aber noch mehr Angst«, sagt sie über den Krönungsabend.
Zunächst bestätigt sich Staabs Skepsis. Der erste Termin führt sie knapp zwei Wochen später auf den Winzerfestumzug nach Neustadt, 90 000 Besucher. Im letzten von 98 Wagen sitzt Katharina Staab und winkt und lächelt und winkt und lächelt. Dreieinhalb Stunden. Sie habe sich gefühlt wie im Käfig, sagt sie.
Die Deutsche Weinkönigin vereint, wie niemand sonst in diesem Land, Folklore mit modernen Ansprüchen. Sie trägt ein altbackenes Krönchen (seit 1981 immerhin kein Dirndl mehr) – und wird um die Welt geschickt, inzwischen auch, um den deutschen Wein neu zu positionieren. Sie geht auf Weinfeste im ganzen Land, sagt ein paar belanglose Worte, posiert – und fliegt am nächsten Tag nach Hongkong, um ausgeklügelte Seminare für Sommeliers, Gastronomen und chinesische Händler zu halten. Für Leute, in die deutsche Winzer große Hoffnungen setzen. Die Deutschen trinken nämlich vor allem Wein aus dem Ausland, da sind sie Import-Weltmeister: 15,2 Millionen Hektoliter jährlich. Leider wird umgekehrt immer weniger Wein von hier exportiert. Das muss sich dringend ändern. Zu Hause muss mehr deutscher Wein getrunken werden und in der Ferne auch.
Als Katharina Staab zur Deutschen Weinkönigin gewählt wird und eine kleine Sinnkrise erlebt, befindet sich die deutsche Weinbranche also in einer etwas größeren Krise. Aber kein Winzer kann es sich leisten, ständig unterwegs zu sein und seine Weine zu repräsentieren. Also schickt man: die Weinkönigin. In die hintere Pfalz und nach New York. Sie soll es richten, zumindest ein wenig. Mit ihrem Aussehen und Auftreten soll sie das geschichtsträchtige, schöne Rebenland Deutschland verkörpern. Und mit ihrem Fachwissen über Spontanvergärung und Maischestandzeit soll sie beweisen, dass gestern und heute sich nicht ausschließen. Katharina Staab soll dafür sorgen, dass deutscher Wein in der Welt nicht mehr als süße Plörre gilt. Mehr noch, Katharina Staab selbst soll sein wie der deutsche Wein: Traditionsbewusst, aber cool, lieblich, aber vielschichtig. Sie soll, mit einem Krönchen auf dem Kopf, das sie selbst nicht ganz ernst nehmen kann, garantieren, dass deutscher Wein ernst genommen wird.
Staab hat die Vita dafür: Sie ist auf einem Weingut in Oberhausen an der Nahe großgeworden. Es war früh klar, der ältere Bruder wird Winzer, den Betrieb übernehmen. Katharina Staab zog es fort, weit weg. Sie ging für ein halbes Jahr als Au-Pair nach Kanada, danach kam ein duales Studium in BWL bei einem großen Pharmakonzern, Auslandssemester in Prag, dazu viele Reisen. »Ich liebe meine Heimat«, sagt Staab, »aber ich hatte immer den Drang, mehr von der Welt zu sehen.« Doch irgendwann, während eines Meetings über Abführmittel, merkte Staab, dass sie weit weg etwas vermisste: »Mir fehlte die Liebe zum Produkt, die Leidenschaft.« Ihr fehlte der Wein.
Staab machte ihren Master in Lissabon. Schon dort wurde sie zu einer inoffiziellen Weinbotschafterin: Sie brachte im Übergepäck gute Tropfen aus Deutschland mit, erklärte ihren Kommilitonen Riesling und Spätburgunder. In einer Marktforschungs-Agentur in London, die sich auf die Weinbranche spezialisiert hat, machte sie dann ein Praktikum. Sie kehrte zurück nach Deutschland, fing in Mainz bei dem Online-Weinhändler an. Den deutschen Wein zu predigen, wie sie es in Lissabon getan hatte, taugte ihr so sehr, dass sie sich nebenbei als Gebietsweinkönigin an der Nahe bewarb.
März 2018, sechs Monate nach Staabs Krönung. Kalter Wind weht über die noch kargen Weinberge in Rheinhessen. Staab ist mit den beiden Weinprinzessinnen, der Zweit- und Drittplatzierten der Wahl zur Weinkönigin, auf Antrittsbesuch. Sie fahren in jedes der dreizehn Anbaugebiete, lernen Winzer und die Eigenheiten der Region kennen. Sie besuchen einen Winzer, der Vorreiter im biodynamischen Anbau ist, eine ehemalige Weinkönigin und Winzerin, die einen Film über Frauen in der Weinbranche macht, und eine Gruppe, die sich dafür einsetzt, dass Weingüter mehr in die Qualität ihrer Weine investieren.
Ein Winzer hat zehn Flaschen seines besten Rieslings verhüllt aufgestellt, eine Blindprobe der vergangenen zehn Jahrgänge. Staab nimmt eine Kostprobe, schlürft und spült, malmt mit dem Kiefer und spürt den Aromen nach. Sie spuckt die Flüssigkeit in einen schwarzen Plastikbecher. »Ich würde sagen, der Sechzehner-Jahrgang.«
Wer einen Wein blind verkostet, muss ihn lesen wie ein Bergführer Weg und Wetter. Jede Kleinigkeit ist wichtig. »Richtig«, sagt der Winzer. Unbeeindruckt. Hier ist jedem klar: Die Frauen kennen sich aus. Nur die Lokalpresse ist mehr an Krone und Lächeln interessiert. Dahin bitte, ja, zum Fass, tolles Motiv, Lächeln, super!
Staab muss nicht nur das Land mit seinem Wein versöhnen und den Export ankurbeln, sie steht mit diesem Amt, dem Lächeln, der Krone außerdem mitten in einer gesellschaftlichen Debatte um die Rolle der Frau. Staab hat auch die Aufgabe übernommen, ein reaktionäres Amt in Zeiten von #MeToo mit Würde zu bekleiden. Ja, womöglich sogar neu zu definieren – und das in einem Land, in dem die einen Staatsfeminismus befürchten und die anderen sich in einer Männerdiktatur fühlen.
In einem ihrer ersten Interviews sagt Staab, sie würde ihr Amt gern auch für Männer öffnen
Die Institution Weinkönigin hat ihre Schritte ins Heutige zwar durchaus schon vor Katharina Staab gemacht, parallel zu denen der großen Frauenemanzipation, aber immer ein bisschen zaghafter. 1950 beschrieb die Süddeutsche Zeitung die Kandidatinnen zur Weinkönigin-Wahl als »echte Töchter der Weinberge, von kräftiger Statur, kerngesund und apfelbäckig«. Eine Weinkönigin musste zuallerst, das hatte schon den Nationalsozialisten gefallen, ein gutes, braves Mädel sein, mit gewissen Reizen, versteht sich. Lange eine der wichtigsten Prüfungen im Finale: Walzer tanzen. 1966 wich das unnütze Zepter einem Weinglas, das die Königin auf Fototerminen in der Hand hielt. Seit 1999 muss die Weinkönigin nicht ledig sein. In den Achtzigerjahren war aus dem Rebensaft-Pin-up eine Art Weindiplomatin geworden, die mit Regierungsdelegationen ins Ausland flog. Das neue Deutschland grinste nicht nur, es hatte jetzt auch was zu sagen. In der Regel allerdings das, was die Herren Winzer ihr diktierten. Julia Klöckner, wie Katharina Staab von der Nahe stammend, war 1995/ 1996 Deutsche Weinkönigin, heute ist sie Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft. Zumindest schließt ein Weinamt ein politisches nicht mehr aus. Das war der letzte Schritt, Zeit für den nächsten.
Am Tag nach der Blindverkostung trifft Staab die Winzer vom roten Hang bei Nierstein, Rheinhessens wichtigster Lage. Alle großen Winzer haben hier eine Parzelle – oder hätten gern eine. Hipping, Pettenthal, Rothenberg, das sind Namen, die Riesling-Liebhaber träumen lassen. Graue Wolken hängen am Himmel, als Staab vom Vorsitzenden der lokalen Gebietsweinwerbung begrüßt wird. Stolz sei er, die Weinmajestäten willkommen zu heißen. Mit den Winzern macht man sich auf den Weg, spricht über Bodenformationen und die rote Erde, bevor es aus dem Vorsitzenden platzt: »Ich bin ja froh, dass die Weinkönigin noch weiblich ist.«
Das sei ja schon ein Ding gewesen. Das Interview mit der Deutschen Presse-Agentur. »Ich bin eben dafür, dass auch Männer dieses Amt ausführen dürfen«, sagt Staab. »Ich habe es eher mit der holden Weiblichkeit«, sagt der Vorsitzende.
Katharina Staab hat etwas ins Rollen gebracht in der deutschen Weinwelt. Ein paar Tage nach der Wahl dachte sie, so erzählt sie es: »Wenn ich das Amt nun innehabe, kann ich es auch ausfüllen, so wie ich bin.« Staab wollte beweisen, was schon länger stimmt, aber kaum wahrgenommen wurde: dass die Weinkönigin eine Expertin ist. Keine Hostess, kein Schmuck. Und so stellt Staab die Systemfrage. Sie trägt Jeansjacke statt Kleid auf der Autogrammkarte. Sie will nur Auftritte absolvieren, wo sie inhaltlich etwas beitragen kann. Sie gestaltet ihren Terminkalender, so weit es geht, selbst. Sie schreibt alle Reden. Und sie gibt drei Monate nach der Wahl dieses Interview, in der sie der dpa unter anderem, angesprochen auf die Krone sagt: »Man muss ein bisschen vorsichtig sein, dass das Amt nicht ins Lächerliche und ins Märchenhafte abrutscht.« Sie sagt außerdem, dass sie das Amt am liebsten auch für Männer öffnen würde. Aus dem ausführlichen Gespräch landen ein paar Sätze in der Presse – einige Zeitungen und Webseiten machen daraus die Überschrift: »Weinkönigin trägt ungern die Krone«.
Es folgt Empörung. Zumindest eine Weinwelt-Empörung. Die Weinwelt kommuniziert sehr viel auf Facebook. Und die meisten aus der Weinwelt, fast nur Männer, schrieben, wer keine Krone will, solle sich nicht zur Wahl stellen.
»Ich habe aber auch viel Rückhalt erfahren«, sagt Staab. Es ist fast so, als sehnten sich Leute in der Weinrepublik danach, dass sich mal was ändert. Auf Facebook begrüßten nach der ersten Aufregung viele, dass Staab das Weinkönigin-Image ändert. »Genau das wollte ich«, sagt Staab. Das Deutsche Weininstitut (DWI), das die Auftritte der Weinkönigin organisiert und finanziert, hat sich immer hinter Staab gestellt. Im November 2017 diskutiert das DWI aus aktuellem Anlass mit den Verantwortlichen aller Weinbaugebiete das Thema »Männliche Bewerber«. Auch, weil ein schwuler Dorfweinkönig von der Mosel schrille Schlagzeilen machte. Man kommt zu dem Schluss, dass – in Ermangelung männlicher Bewerber für das Amt der Deutschen Weinkönigin – keine »Notwendigkeit« bestehe, »männliche Bewerber zur Wahl von Gebietsweinköniginnen und damit auch nicht zur Wahl der deutschen Weinmajestäten zuzulassen.«
Mitte März 2018 in Düsseldorf, »ProWein«, die bedeutendste Weinmesse der Welt, 60 000 Besucher. Händler und Gastronomen suchen Weine für ihre Betriebe, Journalisten und Blogger suchen Neues zum Verkosten. 470 000 Gläser werden dreimal pro Tag gespült. Ein Winzer, der hier zur richtigen Zeit, mit dem richtigen Händler spricht, hat sein Jahr finanziert. An jedem Stand wird der Wein zurück in große Metallbehälter gespuckt, die manchmal überlaufen. Hier verliert Wein seinen Charakter, hier ist er reines Business. Mittendrin steht Katharina Staab.
Ihr Tag ist durchgetaktet, Eröffnung der Organic Lounge, Händeschütteln mit Weinagenten aus Kanada und den USA, kurze Interviews für Journalisten: »Wie war der Jahrgang?« Im Minutentakt wollen Menschen Fotos: »Sie sind doch die Deutsche Weinkönigin!« Autogrammkarten werden ihr vors Gesicht gehalten: »Für Marc, bitte!« Fototermine: »Tun Sie mal so, als ob Sie lesen, in der Broschüre, ja, jetzt das Weinglas heben, stellen Sie sich mal so, das Glas ein bisschen höher, höher!« »Das ist doch unrealistisch, kein Mensch hält so ein Glas«, sagt Staab. »Prima, danke«, sagt der Fotograf.
Staab prämiert heute den »coolsten« Wein Deutschlands, ein neuer Preis des Weininstituts. Staab saß in der Jury. Für ein Interview will ihr ein Fernsehredakteur ein Mikrofon anstecken, er greift beherzt in Richtung Bluse, stoppt und erklärt ihr doch, wie sie das Kabel selbst unter dem Stoff durchführt. Er wendet sich um und sagt: »Ich bin noch nüchtern und deswegen nicht mutig genug.« Staab sagt nur: »Besser so!« Das Interview danach ist unangenehm, für den Redakteur.
»Ich bin in einem emanzipatorischen Haushalt aufgewachsen«, sagt Staab, angesprochen auf solche Momente, von denen es einige gibt, wenn man mit ihr unterwegs ist. Sie sei es nicht gewohnt, von Männern so behandelt zu werden. Aber es jucke sie nicht.
Knapp zwei Monate später hat Staab einen großen Auftritt auf dem Ball des Weines des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter, VDP, in Wiesbaden. Der VDP ist die erste Bundesliga des Weins. Man trägt Smoking oder Abendkleid, die teuersten Karten für 635 Euro, es gibt deutschen Rosé-Sekt und Austern. Vor dem Eingang steht Staab mit den Weinprinzessinnen und -königinnen der deutschen Regionen. Es ist ein Abend voller Inszenierungen. Bekannte und weniger bekannte Prominente werden in Oldtimern vorgefahren, Staab schüttelt Hände, bis der Saal voll ist und sie auf der Bühne steht. Ihre Rolle: Moderatorin der elegantesten Weinveranstaltung Deutschlands.
Staab ist mittlerweile routiniert. Sie hat ihre hauptberufliche Stelle reduziert, auf zwanzig Prozent. Vom Deutschen Weininstitut erhält sie hundert Euro Tagessatz, 130 Euro bei Auslandsreisen. Staab ist jede Woche unterwegs.
In Wiesbaden spricht an diesem Abend auch Julia Klöckner, die 47. Deutsche Weinkönigin. »Sehr verehrte Hoheit«, sagt sie zu Staab, »Sie machen das ganz großartig.« Klöckner blinzelt Staab zu, als wüssten in diesem Saal nur sie beide, was es bedeutet, wenn jeder in einem das sehen will, was er im Wein sieht. Die Provinzbürgermeister das Verwurzelte. Die honoren Galagäste das Weltgewandte. Das Weinland Deutschland ist zersplittert, viele Regionen, viele Winzer, viele Weine, die meisten arbeiten auf eigene Rechnung, und doch machen sie jedes Jahr eine Frau zu ihrem Oberhaupt, das für die Arbeit aller stehen soll.
Katharina Staab war eine Botschafterin vieler Botschaften, eine einsame Anführerin. Es blieb ihr gar nicht anderes übrig, als nur für sich zu sprechen. Wenn sie in Hongkong nach schier endloser Fahrt aus dem Aufzug stieg und, gedämpft von schweren Hotelteppichen und ahnungslosem Schweigen, einer Reihe chinesischer Kinostars gegenüberstand, die sie von den Vorzügen deutscher Weine überzeugen sollte, dann erzählte sie von sich und dem Wein, der sie von der Nahe bis an den Shing-Mun-Fluss gebracht hatte – weil sie wie keine andere vom Geschmack erzählen kann.
Am 28. September 2018 wurde die neue Deutsche Weinkönigin gewählt: Carolin Klöckner. Bei der Krönung kritisierte die Namensvetterin und Bundesministerin Julia Klöckner den Namen »Weinkönigin«, das klinge »als sei man Königin und nur Krone und viel Weiteres nicht dahinter«, Klöckner schlug »Weinbotschafterin« vor.
Katharina Staab war in Kanada, China, Japan und Dänemark, sie hat Angela Merkel getroffen und Günther Jauch. Sie hat sich ein Jahr lang mit einer Krone verkleidet. Und in dieser Rolle mit allem gekämpft, mit dem progressive Frauen heute in Deutschland kämpfen müssen. Staab hat dumme Sprüche gehört und mitbekommen, wie über ihr Aussehen geredet wurde. Es habe sie abgehärtet, sagt Staab. Ihre Oma habe ein Sprichwort gehabt: Man weiß nie, wozu es gut ist.
Am Ende der Gala in Wiesbaden hat Staab die Krone abgenommen und in dem kleinen Etui verstaut, in dem sie auch ihre Autogrammkarten trägt. Staab hat ein Glas Feierabendwein in der Hand. »Vielleicht müssen wir kleine Schritte gehen«, sagt sie. Staab meint die deutsche Weinwirtschaft. Viele kleine Schritte vom Weinfestimage zum Weltniveau. Aber sie meint auch die Deutsche Weinkönigin. Viele Schritte vom Krönchen zur Kernkompetenz. Ja, und vielleicht meint sie die Emanzipation der Frau. Viele Schritte von der, die gekrönt wird, um schön auszusehen, zu der, die diese Legitimation nutzt, um eigene Vorstellungen zu äußern.
Noch gibt es keine Zahlen, an denen sich ablesen ließe, ob Katharina Staab erfolgreich war – ob in oder nach ihrer Amtszeit mehr exportiert wurde und ob der deutsche Wein im Inland wirklich »cooler« wird. Aber wenn man mit Leuten aus der Branche spricht, hört man Hochachtung für Staab. Sie habe gezeigt, dass der deutsche Wein überraschen kann. Und eigenwillig ist. Ja, diese neue, jeansjackige Weinkönigin habe dem heutigen deutschen Wein Ehre gemacht, heißt es.
Wieder wird so getan, als habe Katharina Staab nur irgendwas dargestellt. Als präsentiere sie die Ideen älterer Herren. Aber Staab ist nicht nur die Überbringerin einer neuen Wein-Geschichte, sie ist Teil davon. Wenn der deutsche Wein eine Zukunft haben soll, das hat Staab gezeigt, dann braucht es Leute wie sie, die mit dem Gestern vertraut sind, aber mit dem Heute nicht überfordert.
Und die verhasste Krone? Die Krone erzeuge Aufmerksamkeit, sagt Staab, damit beginne jede Konversation. Klar finden irgendwelche Norweger es erst mal lustig und fragen danach, aber als Antwort bekommen sie einen Vortrag, in dem sie etwas lernen. Es ist Staab gar nicht leicht gefallen, die Krone abzugeben. Sie hat sie richtig lieb gewonnen. Warum auch nicht? Eine Krone steht für Macht.