Patrik Johannson, 45, war Hochseefischer und Manager einer Kaffeeplantage auf Madagaskar, er hat Gourmet-Meersalz hergestellt und vertrieben und eine Consultingfirma für Technologieunternehmen gegründet. Jetzt aber hat er gefunden, was ihn glücklich macht: »Ich bin ein Buttermann!«, sagt er.
An manchen Tagen isst Johannson nichts anderes als Butter, er löffelt sie einfach so aus dem Topf. Er mag kein Brot dazu, weil das, wie er meint, den Geschmack verdirbt. Nur manchmal schmilzt er sie über einem Stück Fleisch.
Vor vier Jahren machte er seine IT-Consulting-Firma dicht und kaufte sich ein kleines rotes Holzhaus in den Wäldern nordwestlich von Göteborg. Hier gibt es kein fließendes Wasser, das Klo ist eine Senkgrube im Wald, zu dem Grundstück führt ein Schotterweg, und auch der endet an einer bunten Wiese, etwa 200 Meter unterhalb des Hauses. Die meiste Zeit kümmert sich Johannson um seine Hühner und die zwei Schweine, die nicht weit vom Haus in einem Gehege im Schlamm wühlen. Etwa dreimal pro Woche aber zieht er sich zusammen mit seiner Lebensgefährtin Zandra in ein nahe gelegenes Lagerhaus zurück. Dort stehen ein paar Töpfe, Kühlschränke und eine kleine Zentrifuge. Hier machen sie die derzeit begehrteste Butter der Welt. Nachts, wenn die Schweine schlafen.
Wenn es so etwas wie eine internationale Buttermacher-Szene gibt, dann ist Johannson ihr Star. Seine Butter landet auf den Tischen des »Noma« in Kopenhagen, das seit drei Jahren als bestes Restaurant der Welt gilt; die Gäste des »Frantzén/Lindeberg« in Stockholm, zwei Sterne, bekommen sie vorgesetzt; Heston Blumenthal will seine Butter für das »Fat Duck« in London (drei Michelin-Sterne). Und Jamie Oliver hat ihn
eingeladen, mit ihm live auf der Bühne Butter zu machen. Johannson will Oliver einen Rucksack mit Rahm geben und ihn auf einem Trampolin springen lassen. Dass man so tatsächlich Butter machen kann, hat er mit seinem sechsjährigen Sohn bereits ausprobiert.
Schon Johannsons Großmutter war Buttermacherin in dem Dorf bei Göteborg, in dem er sich nun sein Haus gekauft hat. In der Gegend erzählt man sich gern, dass es die Wikinger gewesen seien, die den Franzosen das Buttermachen beibrachten. Bis 1885 war Schweden der größte Butterexporteur der Welt. Noch 1960 gab es 6000 Molkereien und, glaubt man den Einheimischen, mehr Hartkäse-Sorten als in Frankreich. Dann begann der Milchkonzern Arla die kleineren aufzukaufen und zuzusperren. Heute ist Arla die viertgrößte Molkereigenossenschaft der Welt, und in Schweden verkaufen nur mehr eine Handvoll Betriebe Milch. »Da ist so viel Wissen verloren gegangen«, sagt Johannson. Er will diesen Schwund aufhalten. Etwa 250 Kilo Butter produziert er pro Jahr und tausend Liter Crème fraîche, das meiste für die Spitzengastronomie.
Berühmt gemacht hat ihn eine neue Kreation: seine sogenannte Virgin Butter. Optisch erinnert sie an Vanilleeis, selbst frisch aus dem Kühlschrank ist sie weich. Kalt sollte man sie aber sowieso nicht essen, erst warm entfaltet sie ihren vollen Geschmack. Ihre Konsistenz ist cremig, fast wie Frischkäse, sie schmeckt intensiv buttrig und gleichzeitig viel saurer, frischer. Wer sie probiert hat, versteht, dass Johannson sie ohne Beilage löffelt – weil sie einfach süchtig macht. Einige begeisterte Esser rund um die Welt haben bereits versucht, sie nachzumachen. Gelungen ist es bisher niemandem. Das Kilo kostet um die 17 Euro, seine normale Butter ist etwas günstiger. Kaufen können sie auch Normalsterbliche, allerdings nur Selbstabholer.
Um seiner Butter den charakteristischen Geschmack zu geben, hat der Buttermacher Hunderte wissenschaftliche Arbeiten über Milchsäurebakterien gelesen. In Datenbanken der Universität Stockholm hat er alte Texte über die Kunst des Buttermachens studiert, aus Deutschland, England oder Schweden. Er hat ein Jahr lang mit der Milch verschiedener Kühe experimentiert, mit Schleuderzeiten und Temperatur. »Das Geheimnis des Buttermachens«, sagt Johannson, »liegt darin, wie man seine Bakterien behandelt.«
Virgin Butter
Johannsons Rahm stammt von der Milch gewöhnlicher Kühe einer nahen Molkerei. Sie wird pasteurisiert, weil ihm das Gesundheitsamt Rohmilchbutter verbietet, für den Geschmack macht das seiner Meinung nach keinen großen Unterschied. Der Rahm muss aber erst zwei Tage stehen und sauer werden, bevor er geschleudert wird – in genau dieser Zeit entsteht das Aroma.
Er wird mit vier verschiedenen Kulturen geimpft, zwei fürs Aroma und zwei für die Säureproduktion. Anschließend wird er erst langsam auf knapp unter 40 Grad erhitzt, dann darf er wieder langsam abkühlen.
Während des Reifungsprozesses kostet Johannson regelmäßig, um den idealen Zeitpunkt zum Schleudern zu bestimmen. Erklären könne er es nicht, meist sei das aber um halb zwei Uhr in der Früh. Da wird die Virgin Butter dann 15 Minuten geschleudert und geschlagen, damit viel Buttermilch in der Butter bleibt und sie so cremig wird. Auf das Waschen der Butter, ein sonst üblicher Schritt, verzichtet Johannson. Es macht sie zwar länger haltbar, nimmt ihr aber einige der sauren Aromen.
Gäbe es kein Gesundheitsamt, er würde eine Butter machen, die nur mit den wilden Milchsäurebakterien von jenem Gras geimpft wird, das die Milchkühe gefressen haben. Für den Heimgebrauch hat er das bereits probiert und war überwältigt. Statt vier verrichten dann Hunderte Bakterienkulturen ihr Werk – und verleihen der Butter ihr eigenes, mikrobiologisches Terroir.
Ähnlich wie der Geschmack von Wein geprägt wird vom Boden, auf dem er gewachsen ist, werden auch Lebensmittel, die ihr Aroma Mikroorganismen verdanken, von ihrem Entstehungsort geprägt. Industrielle Butter wird fast ausschließlich aus Süßrahm geschlagen. Das Problem: Sie schmeckt nach viel weniger, weil der Rahm von Kühen aus verschiedenen Regionen stammt. Die regionalen Eigenheiten gehen verloren. Ihr fehlen all die sauren und nussigen Noten, vor allem aber die sogenannten Butandione, jene Stoffe, die Butter erst so richtig buttrig machen.
Bis Johannson sein Grasbutter-Projekt umsetzen darf, widmet er sich anderen Experimenten: Im Restaurant »Noma« in Kopenhagen säuerte er seinen Rahm einmal mit Bakterien von den Händen der Mitarbeiter, einmal mit jenen der Frauen (köstlich), einmal mit jenen der Männer (ekelhaft); er bat einen befreundeten Wissenschaftler um Proben eines 6000 Jahre alten Sauerteigs aus einem Pharaonengrab und ließ dessen Kulturen auf seinen Rahm los (zu sauer). Und seit einigen Monaten hat er einige Kilo Butter bei sich im Wald vergraben.
Über ganz Skandinavien, England und Irland verteilt finden Archäologen immer wieder im Torf vergrabene Butterfässer, das älteste 5000 Jahre alt. Die Butter darin war, nun ja, nicht köstlich, aber noch essbar. Warum die Menschen ihre Butter vergruben, weiß bisher niemand so genau. Johannson will herausfinden, wie sich das Vergraben auf den Geschmack auswirkt. Er hat mehrere Butterlaibe in Leinentücher gewickelt und im Wald im Morast vergraben. Einer wird alle paar Monate gekostet, schon nach ein paar Wochen schmeckte er zwar noch mild, aber bereits gereift. Ein anderer soll mindestens sieben Jahre ruhen, bevor er ausgegraben wird. Magnus Nilsson, der verrückte Spitzenkoch des »Fäviken« in der Einöde Nordschwedens, ist sehr interessiert an dem Produkt, genauso wie das Nordic Food Lab und Wissenschaftler der Universität Oxford.
Auch die »Mövenpick«-Hotelkette interessiert sich für Johannson und seine Butter. Sie haben angefragt, ob er nicht ihre Häuser beliefern will. Will er aber nicht. Dann müsste er umbauen und viel mehr Butter machen. Für die Schweine und Hühner bliebe dann kaum noch Zeit.
Fast hätte Tobias Müller keine Bog Butter kosten können. Johannson stocherte 15 Minuten vergeblich mit dem Schirm im Torf, bis er sie doch noch fand. Sie schmeckte relativ mild, gar nicht nach Wald. Sie lagerte aber auch erst ein paar Wochen.