Münchens letzter ernst zu nehmender Prominentenwirt findet auch keinen Gefallen mehr an diesem Titel: »Geh, der Promistatus ist mir doch wurscht. Meine Mutter täte mir heute noch eine schmieren, wenn ich mir darauf etwas einbilden würde.« Alfons Schuhbeck unterstreicht sein Bekenntnis durch entschlossenes Rudern mit dem Löffel im Kaffee, den er in der fensterlosen Barockstube zu sich nimmt – jenem Teil seines Restaurants am Platzl also, in dem Münchens Prominenz sich besonders wohl, weil unbeobachtet fühlen darf. »Promiwirt heiß ich doch nur«, führt Schuhbeck nach ein paar Sekunden Bedenkzeit aus, »weil ich nie gleich die Presse angerufen hab, wenn ein Prominenter zu mir kam.«
Der Prominentenwirt, der so recht keiner mehr sein mag, macht heute lieber Schokolade fürs gemeine Volk. Die verkauft er seit drei Monaten in seinem neuesten Laden am Platzl, gleich gegenüber dem Hofbräuhaus. Tolle Angebote habe er gehabt, wie er meint, »New York, Australien«, aber Schuhbeck wollte lieber in Bayern bleiben. Nach und nach hat er in den vergangenen vier Jahren das Herz Münchens am Platzl erobert. Sein Schokoladen liegt strategisch günstig neben seinem mit einem Michelinstern ausgezeichneten Restaurant, seiner Weinstube, seinem Eisladen, seiner Kochschule, seinem Gewürzladen – »So spar ich mir ein Hin-und-her-Gefahre«.Der alte Gewürzladen lief einfach zu gut (Schuhbecks Renner: 1. Erotischer Curry. 2. Das Sex-Gewürz. 3. Hochzeitscurry). Ein Kaschmirladen machte im Nachbarhaus Platzl 4 a Pleite, Schuhbeck verschob also kurzentschlossen den aus allen Nähten platzenden Gewürzladen nach Platzl 4 und gründete einen Schokoladen am alten Ort um die Ecke. »Hab eh schon lang mit dem Gedanken gespielt«, sagt Schuhbeck so, als wäre es für einen Sternekoch das Naheliegendste der Welt, eben auch mal Zartbitter-schokolade mit Chili zu verkaufen. »Die Chance wollt ich mir einfach nicht entgehen lassen.« Natürlich arbeitet er längst an einer eigenen Marke, die unter seinem Namen verkauft werden soll. Alles in allem hat Schuhbeck inzwischen über einhundert Angestellte. Denn neben seinem Imperium am Platzl führt Schuhbeck noch eine Eisdiele in München, kocht in zwei Fernsehsendungen, fliegt seinem Partyservice mit dem Hubschrauber hinterher, wenn das die prominenten Partygast-geber wünschen. Um den Münchner Fuß-ballverein FC Bayern kümmert sich der Fußballfan ohnehin oft persönlich – »Das geht bis dahin, dass ich den jungen Spielern erkläre, warum Gewürze so wichtig für die Ernährung sind«. In einem Zelt kocht Schuhbeck auch noch: Seinen Kochzirkus nennt er »Palazzo«. Irgendetwas in der Aufzählung vergessen? Natürlich: »Meine Kochbücher. So um die 25 müssten es inzwischen sein.« Und im November wird er noch ein Restaurant am Platzl übernehmen: das »Orlando«.
Nein, ein klassischer Prominentenwirt ist Alfons Schuhbeck schon lange nicht mehr. Obwohl die Prominenz ihm natürlich auch bei seinem Umzug vor vier Jahren vom oberbayerischen Waging nach München folgte. Aber der Prominentenwirt Schuhbeck findet für sein Eis, seine Schokolade, seine Gewürze ein so breites Publikum, dass man ihn viel eher Volkswirt nennen muss. Mit seinen 58 Jahren hat Schuhbeck so großen Erfolg wie nie zuvor, und Volkswirt ist durchaus die geeignete Bezeichnung für jemanden, der – wie seine Fans schwärmen – die bayerische Küche vor dem Erstickungstod in Fett und Langeweile gerettet hat. Zumal das Volk die eine oder andere Eskapade seines Kochs so leicht verzeiht wie sonst wohl nur dem legendären Monaco Franze.
Wie also wird man so ein Volkswirt, jedermanns Liebling, der bayerische Vorzeigekoch sogar im hohen Norden? Schuhbeck erzählt die Geschichte von Paul Bocuse, als der ihn noch im alten Lokal in Waging einmal besuchte und in der Küche als Erstem nicht Schuhbeck, sondern dem Spüler die Hand reichte – »Diese Geste hat mich unglaublich beeindruckt«. Die Botschaft des Volkswirts lautet also: »Wir sind ein Team. Ohne die anderen geht nichts in der Gastronomie. Das darf man sein Leben lang nicht vergessen. Man muss für jeden ein Ohr haben. Jede einzelne Putzfrau ist wichtig.«
Auch Eckart Witzigmann habe er viel zu verdanken. »Dass der mir im ›Aubergine‹ einen Job gab, war mein größtes Glück. Zuvor hat er mich 35-mal abgelehnt. Der hat ja Hunderte Bewerbungen jeden Monat bekommen und nur zehn Köche gebrauchen können.« Beim 36. Versuch habe er Witzigmann förmlich aufgelauert vor dem Hintereingang des »Aubergine«. Schuhbeck wusste, an welchem Wochentag Witzigmann mit der gesamten Küchenmannschaft Fußball spielte. Als Witzigmann schließlich aus der Tür trat, fragte er den wartenden Schuhbeck, ob er denn spielen könne. Schuhbeck spielte also im Englischen Garten Fußball, mit den anderen damals noch jungen, unbekannten Assistenzköchen Johann Lafer, Hans Haas, Karl Ederer. Nach dem Spiel drehte sich Witzigmann zu Schuhbeck um und sagte nur: »Morgen neun Uhr in der Früh.«
Witzigmann sagt heute über Schuhbeck: »Für Alfons Schuhbeck könnte die Fabel vom Wettstreit zwischen Hase und Igel erfunden worden sein. Wann immer man den Fernseher einschaltet: Der Alfons Schuhbeck ist schon da. Enorm fleißig war er stets.« Will sagen: Schuhbeck ist mit seinem »Palazzo« inzwischen nicht nur ein direkter Konkurrent von Witzigmanns »Bajazzo«, beide sind auch besessene Perfektionisten.
Schuhbecks Tag beginnt morgens um sieben, in seiner Wohnung über dem Platzl. Um acht das erste Mal rüber in die Küche, die Speisekarte besprechen. Um zehn ins Büro, er zeichnet jede Quittung seines Imperiums eigenhändig ab – »Sonst verlierst du den Überblick. Das hat nichts mit fehlendem Vertrauen zu tun.« Dazwischen und den ganzen Tag über: »Mit den Leuten reden. Bei jedem Einzelnen erkundige ich mich, ob er ein Problem hat. In allen Läden.« Mittags im Restaurant nach dem Rechten schauen, Saucen abschmecken, nachmittags in die Kochschule, er lässt es sich nicht nehmen, in jedem einzelnen Kurs eine Stunde zu übernehmen. Kurz vor Mitternacht dann ins Fitnessstudio zu seinem griechi-schen Freund, einem ehemaligen Weltmeister im Bodybuilding. Zirkeltraining, mindestens eine halbe Stunde pro Tag – »Ich fühle mich mit 58 fitter als vor 15 Jahren«.
Wenn er dann gegen ein Uhr nachts noch mal im Lokal vorbeischaut, gönnt er sich mitunter einen Schluck Wein. »Bevor der letzte Gast gegangen ist, trinkt niemand.« Selbst der Volkswirt Schuhbeck kennt Regeln. Eine davon heißt eben: kein Alkohol. Ein Spüler hat sie vor Kurzem gebrochen, Schuhbeck hat ihn auf die Straße gesetzt. Demnächst wird er ihn wieder einstellen – »der ist über fünfzig und findet doch sonst nix mehr«. Streng scheint Schuhbeck vor allem zu sich selbst zu sein: Urlaub hat er dreißig Jahre lang nicht gemacht, und wenn er sich doch mal ein paar Tage frei nimmt, der Freundin wegen, dann schreibt er halt schnell ein Kochbuch.
Ob er heute besser kochen kann als früher? »Geschmeckt hat’s bei mir schon immer. Aber heute weiß ich viel mehr«, sagt Schuhbeck und beginnt, seine Botschaft zu verkünden: 1. Nur mit den besten Zutaten kochen. 2. Nicht zu heiß, sonst killt man alle Vitamine. 3. Die Gewürze! – »Die Gewürze sind der größte Radikalenfänger, besser als jedes Gemüse: Die Nelke hat 125 Millimol, die Artischocke nur 4,4. Und Chili ist der beste Fatburner, Ingwer in Verbindung mit Knoblauch ein unschlagbarer Bakterienkiller.« Die Gewürzmischungen seien schon immer sein größtes Talent gewesen. »Aber was ich früher aus dem Bauch heraus gemacht habe, geschieht jetzt überlegt.«
Der große kräftige Schuhbeck redet über seine Gewürze mit der gleichen Begeisterung wie ein Kind über sein Lieblingsspielzeug. Kochen hört sich jedenfalls sehr einfach an, wenn Schuhbeck in charmantem Bairisch über seine Gewürze spricht. Selbst im Fernsehen.Dass ihn die Menschen vielleicht auch deswegen so gern mögen, weil er manches Mal ins Straucheln geriet, darüber will Alfons Schuhbeck selbst nicht spekulieren. »Geh, über den alten Schmarrn möchte ich nicht mehr reden. Ich war ein Depp, als ich bei dem Anlagebetrüger mein Geld zum Fenster rauswarf. Aber auf die Schnauze fallen ist noch keine Schande. Wer weiß, wofür es gut war. Jetzt schau ich nur mehr nach vorne.« Alfons Schuhbeck redet wirklich nicht gern über seine Vergangenheit. Aber er glaubt an seine Botschaft: »Die Menschen lieben die gute Küche, sie kommen wegen des Essens, nicht wegen mir.«
Es klopft an der Barockstube: Wolfgang, Schuhbecks Restaurantleiter und einer von drei Mitarbeitern, die aus Waging mitkamen. Wolfgang will wissen, was Schuhbeck denn morgen dem Gottschalk zum Frühstück mitbringen wolle. »Bestell mir einen Leberkäs in der Küche, für sechs Leut, und ein paar Brezen vom Bäcker, um halb sieben muss ich zum Flughafen, schau, dass mir beim Bäcker jemand aufmacht«, antwortet der Prominentenwirt Schuhbeck. Dann fragt Wolfgang noch nach Bargeld für einen Vorschuss, der Spüler will auf Urlaub nach Afghanistan zu seiner Familie. »Ein fleißiger Mann«, sagt der Volkswirt Schuhbeck und blättert tausend Euro aus der Brieftasche.