Wer Gott im stillen Gebet begegnet, braucht kein Gequatsche. Zisterzienser arbeiten hart, beten viel, und sie schweigen sogar beim Essen. Sie legen kein Schweigegelübde ab, so wie die Kartäuser, aber sie reden nicht öfter als unbedingt nötig. Einige manchmal tagelang nicht. Das Klosterleben auf Saint-Honorat ist streng geregelt, inmitten einer sanften Natur. Im Frühsommer riecht die Insel nach Lavendel. Palmen und Zypressen stehen an den Alleen. Auf der Nachbarinsel Sainte-Marguerite war einmal der Mann mit der eisernen Maske inhaftiert, den Alexandre Dumas in seinem Roman zum Helden machte. Saint-Honorat liegt gerade mal zwanzig Minuten von der Croisette in Cannes entfernt. Sie gehört der Abtei, ist Frankreichs einzige Insel in Privatbesitz und hat idyllische Buchten.
Mit der ersten Fähre frühmorgens bricht der Lärm vom Festland über die Insel herein, nur vierzig Hektar ist sie groß, in einer Stunde hat man sie gemütlich zu Fuß umrundet. 103 000 Besucher kamen im Jahr 2015 nach Saint-Honorat. Die meisten waren Tagesbesucher, die im Sommer zum Baden kommen oder im Herbst bei der Weinernte helfen. Einige besuchen die Messe oder das alte Fort auf der Südseite, kaufen Lavendel im Inselshop, wenige ergattern einen Tisch im Restaurant »La Tonnelle«, das die Mönche verpachtet haben. Zu Thunfisch-Tatar, Stockfisch und Seebarsch wird der Chardonnay der Mönche serviert. Zuvor ein Mojito mit grünem Lérina-Likör, auch der wird in der Abtei gebrannt. Ein Schlauchboot fährt Essen und Getränke zu Yachten, die vor der Insel ankern. Im Hochsommer hüpfen barbusige Frauen von den Booten ins türkisfarbene Wasser, während die Mönche auf dem Feld auch bei dreißig Grad in der Kutte arbeiten – Jetsetleben und Mittelalter liegen auf Saint-Honorat gerade einmal 300 Meter auseinander.
Der Westen gehört den Besuchern, der Osten den Mönchen. Doch eine strenge Trennung lässt sich auf der Insel nicht durchhalten. Strandläufer bahnten sich einen Trampelpfad, um die Insel zu umrunden. »Reserviert für Mönche« steht auch auf einem Schild vor dem Toreingang zu den Weinreben, darunter die schwarzen Konturen einer Mönchskutte. Sieht hübsch aus, flößt aber kaum jemandem noch Ehrfurcht ein. Zwanzig Schilder wurden im vergangenen Jahr geklaut. Jetzt hängen die Mönche keine neuen mehr auf.
Die Fähre gehört der Glaubensgemeinschaft, die den Zugang selbst regulieren möchte und anderen Fährunternehmern das Anlegen an der Privatinsel bisher untersagt. Abends sollen die Tagesbesucher die Insel wieder verlassen. Wer die letzte Fähre verpasst, muss im Kloster um einen Schlafplatz bitten. 21 Mönche plus Abt leben auf Saint-Honorat, im Alter zwischen 29 und 86. Franzosen, Spanier, Italiener, ein Belgier, auch ein Vietnamese lebt im Orden – in Südostasien waren die Zisterzienser stark vertreten. In Vietnam gibt es heute so viele Glaubensbrüder wie in ganz Europa. Cannes platzt aus allen Nähten, die Bauspekulanten von der Côte d’Azur hoffen darauf, dass der Nachwuchs auf der Insel bald ganz ausbleibt. Drei junge Männer kommen immer wieder und überlegen seit mehr als einem Jahr, ob sie dem Orden beitreten. »Es ist wie beim Schwimmenlernen«, sagt Bruder Antoine über das Zögern vor der Entscheidung: »Irgendwann muss man einfach springen und darauf vertrauen, dass man nicht ertrinkt.«
Ein Bruder auf der Insel war in seinem früheren Leben Rettungsschwimmer, er geht jeden Tag ins Meer, morgens noch vor der ersten Fähre. Bruder Marie war Elektriker in Nizza, Bruder Antoine war Seelsorger in einer Gemeinde im Elsass. Antoine ist seit 19 Jahren auf der Insel: »Seit dem 14. Oktober 1997, 9 Uhr 30 am Morgen.« Das Meer ist ihm fremd geblieben, er geht nie zum Schwimmen.
Bruder Marie ist noch zehn Jahre länger dabei. Erst hat er Likör gebrannt. Dann hat der Abt ihn zum Weinmachen abkommandiert. Kräuterlikör sei leicht zu machen, sagt er. Könne jeder, der das Rezept für den Lérina kennt und die 44 Pflanzen dazu hat. Wein nicht.
Er musste alles von der Pike auf lernen: dass man Pinien um die Weinreben pflanzt, damit sie das Salzwasser fernhalten, denn das lässt die Weinblätter leicht verbrennen. Dass die salzhaltige Luft Pestizide überflüssig macht. Bruder Marie hat Önologie studiert und auf großen Weingütern in der Provence hospitiert. Die Rebstöcke auf der Inselmitte hat er großteils selbst gepflanzt. Vor 25 Jahren war das. Inzwischen ist sein Wein so gut, dass er ihn nach Australien, Japan und in die USA verschickt. Es sind moderne, eher leichte Weine, die die konservative Glaubensgemeinschaft anbaut. Im Herbst kommen Sterneköche aus der Provence zum Einkauf auf die Insel. 26 Euro kostet die günstigste Flasche Chardonnay, 380 eine Magnum vom Pinot Noir. Die Welt zahlt gern für einen gesegneten Rausch. Ist ja alles Handarbeit von gottesfürchtigen Männern.
Bruder Marie, 61 Jahre alt, rote Backen, sportliche Statur, wacher Blick, verkündet eine frohe Botschaft: Wer jeden Tag Wein trinke, sei noch lange kein Alkoholiker. Ein, zwei Gläser trinken seine Mitbrüder und er jeden Mittag nach der Messe. Sonntags und an Festtagen sogar den eigenen selbst gekelterten. Der Wein von der Insel Saint-Honorat vor Cannes ist zu gut, als dass die Mönche ihn sich jeden Tag gönnen würden; ihren täglichen Tischwein kaufen sie von fremden Klöstern. Den selbst gebrannten Likör gibt es auch nur an Namenstagen. So handhaben die Mönche den Umgang mit Alkohol auf der kleinen Insel vor Cannes seit 400 Jahren.
Cannes ist kein klassisches Weinanbaugebiet, die Sonneneinstrahlung sehr direkt, der Salzgehalt in der Luft hoch, die Reben brauchen tiefe Wurzeln. Aus neun Hektar gewinnen die Mönche gerade mal 35 000 Flaschen, in guten Jahren 40 000. Chardonnay und Clairette, die beide nach Birne schmecken, Pinot Noir und Syrah mit Heidel- und Johannisbeergeschmack. Dazu kommen 10 000 Flaschen Kräuterlikör, der grüne Lérina mit 50 Prozent Alkohol, der gelbe mit 43. Alles im Inselshop zu kaufen. Auch online kann man inzwischen bestellen (excellencedelerins.com), seit ein weltlicher Verkaufsleiter angestellt wurde: Samuel Bouton soll den Wein verkaufen, aber möglichst ohne Medienrummel. »Sie verstehen mich nicht, wenn ich von Marketing rede«, sagt Bouton. »Die Mönche sind nicht von dieser Welt.«
Antoine, der Bruder aus dem Elsass, hat die Geschäftsführung 2015 übernommen. Kein leichter Job. Das Kloster soll sich selbst tragen, aber die Zahlen stimmen nicht. Reden soll er, hat ihn der neue Verkaufsleiter gebeten. Ein Interview geben. Zeitungen und Fernsehsender stehen Schlange. Fernsehen wollen die Brüder auf gar keinen Fall, bringt zu viel Unruhe auf die Insel. Also schön, ein deutsches Magazin. Redet er halt mal einen Vormittag lang. Dann schnell wieder zurück in den Alltag, in das Leben im Schweigen.
So sieht es aus: Aufstehen um 4:10 Uhr morgens, um 4:30 Uhr das erste von sieben gemeinsamen Chorgebeten, anschließend geistige Lesung in der Zelle, so nennen sie das, wenn sie sich in Bibeltexte vertiefen und einzelne Sätze hin und herwenden. Um 7:30 Uhr das Morgengebet, danach Arbeit, um 11:30 Uhr die heilige Messe, um 12:30 Uhr Mittagsgebet und anschließendes Essen, ein Mönch liest aus dem Evangelium vor. Dann Abspülen – »es sind immer dieselben, die sich davor drücken«, sagt Bruder Antoine. Nachmittags arbeiten die Mönche, viel in der Landwirtschaft, denn körperliche Arbeit gilt bei den Zisterziensern als besonders würdevoll. Abends liest ein anderer Bruder vor, der Abt kommentiert Bibelstellen. Gegen 21 Uhr machen die Mönche das Licht aus. Kein Fernsehen, kein Radio, selten eine Zeitung. Bruder Antoine hat einen Computer. Muss er ja als Geschäftsführer. Rein zufällig zeigt sein Computer auch mal ein Fußballspiel, während rein zufällig zwei, drei Mitbrüder um ihn stehen.
Wer will, darf das volle Programm mitmachen: Von Ostern bis Oktober kann man sich in der Abtei einmieten. 35 bis fünfzig Gäste haben Platz in einem eigenen Gästeflügel. Drei Monate im Voraus muss man sich anmelden. Für mindestens zwei Nächte, längstens eine Woche. Die meisten kommen immer wieder. Selbst aus Mexiko und den USA. Auch Frauen. Es sind sogar mehr Frauen als Männer, die bei den Mönchen in Klausur gehen.
Eine Mönchsklause ist spartanisch: ein Bett, ein Schrank, ein Stuhl, eine Glühbirne an der Decke. Nicht mal eine Leselampe. Natürlich keine Klimaanlage. Auch Kloster-gäste essen und trinken im Gästetrakt schweigend. Den Wein gibt es nur mittags. Abends trinkt man auf der Insel Kräutertee. Auch das Restaurant hat da längst geschlossen. Muss man mögen, die Stille, in der nachts nur Mücken zu hören sind.
44 Euro kosten die Zimmer pro Nacht, inklusive Vollpension, 55 Euro mit eigener Dusche. Manche bedürftige Gäste zahlen gar nichts, andere mehr. Für Cannes-Verhältnisse ist die Übernachtung in jedem Fall spottbillig – und heiß begehrt, auch bei Atheisten, die sich gern für ein Badewochenende einmieten. Das ist nicht Sinn der Sache, und deswegen müssen alle Bewerber inzwischen ein spirituelles Anliegen vortragen, das auf der Insel in Klausur gelöst werden soll. Sie reichen ihre Frage bei Bruder Marie ein, der dann entscheidet, ob ein Zimmerbewerber eher Sinn oder nur einen günstigen Badeurlaub sucht. Ein, zwei Chorgebete jeden Tag sollte man schon mitmachen, sagt Bruder Marie, aber er weigert sich bis heute zu kontrollieren, wer die Kirche besucht und wer nicht.
Die Mönche vermissen wenig auf ihrer Insel und benutzen ihre Fähre nur selten. Für einen Zahnarztbesuch oder wenn sie zum Schuster müssen. Es gibt wenige akzeptable Gründe, die Insel für länger als einen Tag zu verlassen. Der Geburtstag der eigenen Mutter sei es nicht, sagt Bruder Antoine. Die Taufe des Neffen dagegen schon.
Er fährt gern in seine alte Heimat, das Elsass, des guten Essens wegen. Der Wein von Saint-Honorat kann es mit denen aus dem Elsass ja längst aufnehmen.
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